Als ausgewiesene Fremdin gründete ich vor ein paar Jahren eine interkulturelle Antiberatung, die so genannte "Fremdfirma Mobile". Es blieb allerdings beim Werbeprospekt - die hilflosen Ratsuchenden in Sachen fremde Kulturen sollten während der geleisteten Fachhilfe mobil bleiben, und zwar mit mir einher schwimmen, dabei reden und zuhören, für ein entsprechendes Entgelt natürlich. Nach einer Stunde Schwimmen, so versprach ich, würde sich jedes fremdartige Problem im Wasser auflösen. Ein wenig nach altgriechischem Vorbild eines Sokrates, der mit seinen Jüngern spazierend philosophierte, da er überzeugt war, dass die Bewegung des Körpers auch die Gedanken bewege. Doch niemand meldete sich, und Mobile ist eingegangen, bevor sich ihre Kiemen weiten konnten. So schwimme ich wie eh und je unentgeltlich und ohne fremde Kundschaft. Nur meine Landsleute schwimmen mit, genauer gesagt Wasserleute, eine eingeschworene Gemeinschaft mit hervortretenden Schwimmbrillen und engen Gummis über den Köpfen, schnaufend, spritzend, scheinbar sinnlos hin und her, doch so sieht es nur für Nichteingeweihte aus. Bitte, nicht zu verwechseln mit gelegentlich Planschenden oder solchen, die sich zwei Mal im Hochsommer für drei Längen hergeben. Die Definition des Schwimmens: Sich in einen euphorischen Zustand durch wohlbekannte Bewegungen einzupendeln und eine gewisse Dauer und Regelmäßigkeit einzuhalten.
Wenn ich schwimme, bin ich zuerst ein Fremdkörper im Wasser, aber durch das Schlagen der Arme und Beine weiß das Wasser nicht mehr, wie dicht oder lose seine Moleküle sind. Nach einer halben Stunde haben wir uns durchmischt. Das Wasser meint, ich sei ein Teil von ihm, und ich denke es ebenfalls. Ich sehe beim Rückenschwimmen Schwalben über mir kreisen oder ein Flugzeug, das den Himmel zerschneidet und danach bleibt eine weiße Narbe zurück. Ich borge dem Wasser meine Augen, und das Wasser ist mir dankbar, Schwalben und Flugzeuge sehen zu können. Ohne mich wäre es blind. Und ich bin dem Wasser dankbar, dass es mich beim Schauen trägt.
Schwimme ich, also bin ich - im Jetztzustand. Die Vergangenheit liegt weit zurück und die Zukunft ist nah und verheißungsvoll wie der nächste Beckenrand. Die Lebenslänge hat nach drei Minuten von neuem 50 Meter. Nichts von Vorgestern bekümmert mich auf dieser klaren Strecke, und was Morgen kommt, soll kommen, ich werde schwimmend darüberhechten. Bin ich gerade im Schreibprozess, bildet sich im Wasser die nötige Distanz zum Text, Formulierungen fallen mir zu, harte Wortknäuel lösen sich auf.
Auf meinem Terminkalender steht in jener besonderen Jahreszeit, in der die Freibäder offen sind, täglich eine Stunde Schwimmen, es steht dort nicht, denn es gehört zum neuen Tag wie Frühstück. Ich gehe schwimmen, sage ich, und dieses ernste Vorhaben mag überflüssig wie Zeitvertreib klingen, wie etwas, das ich ohne Weiteres auslassen könnte - so meinen die Nichtschwimmer. Irrtum, ich lasse stattdessen das Treffen mit den Nichtschwimmern aus. Laden mich Ahnungslose in ein Café ein und finden es das Normalste auf der Welt, finde ich tausend Ausreden, damit ich nicht lustlos am trockenen Ufer herumsitzen muss oder ich komme verspätet mit nassen Haaren an. In meinem Freundeskreis bin ich im Sommer nur den wenigen treu, die aus dem Schwimmbad ebenfalls ihr zweites Heim gemacht haben. Dort entfalten wir unsere ganze Geselligkeit - zwischen Kraulen und Schmetterling.
Betrachtende vom Ufer aus halten es für Fanatismus, es fröstelt sie beim bloßen Gedanken, dass wir uns bei 15 Grad Außentemperatur ins geheizte Freibad stürzen oder beim strömenden Regen aus dem 19 Grad kalten Wasserbecken in die Traufe kommen und dabei vor Überglück triefen. Gerade beim schlechten Wetter ist das Schwimmbad der Ort schlechthin. Lediglich abgebrühte Einzelgestalten bevölkern es spärlich, das Wasser ist nicht trüb und welk vom Schweiß, Urin oder Speichel, keine Haarbüschel, die unten schweben. Beim Rückenschwimmen stößt man mit niemandem zusammen.
Für diese Art von Mensch gibt es zwei Geisteszustände: der vor und der nach dem Schwimmen, und sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Eine gewisse Trägheit davor, das diabolische Zuflüstern: Mach heute einen Ruhetag, dann Überwindung und gemächliches Radeln aus scheinbar letzten Kräften zum Wasserziel und vor dem Becken kurzes Zögern und Hadern: Warum tue ich es mir eigentlich an? Die ersten Längen tätige ich im Brustschwimmen wie eine Anfängerin, stockend, und der Teufel flüstert weiter: Eine halbe Stunde reicht! Also gut, pflichte ich ihm bei. Es ist eine List, dank der die Stunde weniger bedrohlich erscheinen soll. Doch schon hat mich der selbst erzeugte Wirbel mitgerissen, die vierte, fünfte Länge spüre ich nicht mehr, höre auf zu zählen, schlage rhythmisch mit den Gliedern, fliege durch die Wassermengen, es gibt mich nicht mehr, alles gehört dem ewigen Vorwärtspreschen.
Nach getaner Arbeit treffe ich in den Damenkabinen auf Angefressene, die beim Einkremen stöhnen: Herrlich! Und ich erwidere: Wunderbar! Die Sprache in diesen Kreisen ist eben nicht gerade originell. Bei einer anderen zufälligen Gemeinschaft würde ich die Nase rümpfen über so viel verbale Einfalt, aber das Wasser einigt und versöhnt. Kam man noch mit düsteren Gedanken im Wassertempel an, verlässt man ihn geläutert. Der Beichtvater sitzt in jedem Wassermolekül und gibt großzügig die Absolution für alle Sünden. Gerettet ist wahrlich der Mensch nach dem Schwimmen. Ich radle aufgeputscht nach Hause, überhole schwungvoll Autos und summe. Das Glücksgefühl dauert noch Stunden an, eine wohlige Schicht umspannt den Körper, die Erinnerung an die Schwerelosigkeit bestimmt den Rest des Tages. Kommen wir nicht alle aus dem Wasser, aus dem Uterus und aus dem Urozean, egal, ob die Ursuppe jetzt chloriert und in ein enges Becken eingezwängt ist?
Auch Langzeitfolgen gehen aufs Konto des Schwimmens - beim Windhauch erzeugt mein Körper nie so schreckliche Geräusche wie Husten oder Schnäuzen, das aus dem tiefsten Inneren kommt, und das andere für normal halten.
Könnte ich die Stadtarchitektur mitbestimmen, stünde in jedem Stadtteil ein 50-Meter-Bad mit einem kuppelartigen und verschiebbaren Glasdach, Eintritt frei und geöffnet bis Mitternacht, nach dem politischen Slogan: Schwimmoasen fürs Volk! Noch besser wären künstliche Torfweiher mit lebendigem, weichem Wasser, worin die Haut nicht austrocknet und die Haare nicht spröde werden. Hier würde das Schwimmproletariat die tägliche Dosis an Utopie einer besseren Welt produzieren. Ich auf jeden Fall brauche nicht im Schneidersitz zu meditieren, auch nicht vor dem Altar zu knien, durchs Schwimmen werde ich leer und ein besserer Mensch, vergesse Böses und tue nur noch Gutes, vor allem mir selbst an.
Huldige ich einer Profanierung des Höheren? Natürlich haben auch Radfahrer, Joggerinnen, Katholikinnen oder Weintrinker ihren direkten Weg zum Absoluten.
Von Irena Brezná erscheint in diesen Tagen ihr Roman Die beste aller Welten bei edition ebersbach.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.