Bügeln auf Chinesisch

Eventkritik Ein Doku-Theater in Hamburg zeigt die Ausbeutung chinesischer Wäscher auf deutschen Schiffen – lange vor der Globalisierung
Ausgabe 46/2013
Die Schauspielerin Wanting Li als Wäscherin
Die Schauspielerin Wanting Li als Wäscherin

Foto: Ingo Wagner

Ein älterer Mann betritt den ersten Waggon. Er trägt ein dunkelblaues Jackett mit goldenen Bordüren und Knöpfen, so wie eine Kapitänsuniform. „Ich reise geschäftlich viel, Import-Export“, sagt er. „Und ich liebe die Chinesen.“ Deshalb ist er hergekommen und möchte sich das Stück Heimweh nach Hongkong ansehen – eine Aufführung der mobilen Theatergruppe „Das letzte Kleinod“.

Mit Eisenbahnwagen, die als Bühne fungieren, gastieren die Künstler für einige Tage im Industriehafen von Hamburg, zwischen Kränen und ehemaligen Lagerhallen auf dem Gelände des Hafenmuseums. Die Inszenierung handelt vom Schicksal chinesischer Wäscher, die noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts für karge Löhne auf deutschen Schiffen schufteten.

Um die zwanzig Besucher drängeln sich in der Kulisse der ersten Szene. In der Mitte des Eisenbahnwagens steht ein großer Tisch, auf dem Seekarten ausgebreitet sind. Es gibt hier keine Trennung zwischen Bühne und Publikum, nur den Waggon, in dem alle stehen. Der Schauspieler Manuel Schunter betritt in khakifarbener Uniform den Raum und blickt mit einem Fernrohr zum Fenster hinaus, als wäre es ein Bullauge. „Is it starting – geht es los?“, tuscheln die Zuschauer.

Man nannte sie Max oder Fritz

Die erste Szene handelt davon, wie chinesische Wäscher vom Rest der Mannschaft behandelt wurden. Was dachte man über sie? „Der Chinese war einsam“, erinnert sich Schunter in der Rolle des Seemanns. „Und es war schwierig, den zu integrieren, wenn der überhaupt wollte. Schon wegen der Sprache.“ Und dann die Namen: Man habe Chinesen an Bord der Einfachheit halber immer Max oder Fritz genannt. Der Schauspieler geht nah heran, spricht seine Sätze direkt in die Gesichter der Zuschauer. „Die Chinesen waren immer so grinsig“, muss er sagen, als er direkt vor der Vertreterin des chinesischen Generalkonsulats in Hamburg steht, die heute zu Gast ist.

Die Frau schaut sehr ernst.

Regisseur und Autor Jens-Erwin Siemssen greift gern historische Themen auf, die einen aktuellen Bezug haben. So erscheint der Einsatz schlecht bezahlter chinesischer Wäscher aus heutiger Sicht wie ein Vorbote der Globalisierung. „Mir war es wichtig, die Geschichte der Wäscher aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen“, wird er später erklären. Deshalb trete auch der „deutsche Kollege“ in seinem Stück auf. Für Heimweh in Hongkong hat Siemssen intensiv recherchiert. Er ist nach Schanghai gereist, um mit ehemaligen Wäschern zu sprechen. Und er hat chinesische Seemannsheime in Hamburg und Bremerhaven besucht. „Da ist ja unser Max“, hat ein Seemannspfarrer gerufen, den Siemssen gemeinsam mit einem Chinesen traf. Siemssen war das peinlich.

Die in China geborene Schauspielerin Wanting Li stört sich weniger an den „Spitznamen“. „Ist doch lustig. Mein Vater hat auch einen schwierigen Namen, von Arbeitskollegen lässt er sich einfach Li nennen.“ Die junge Frau spielt im zweiten Waggon einen chinesischen Wäscher, der dort von seinem Alltag erzählt: „Um halb fünf fing die Arbeit an, dann fing ich an zu schwitzen. Es sind keine Fenster da, und die Lüftung ist kaputt. Keine Leute interessieren sich.“ Das Publikum in diesem Waggon sitzt zwischen Wäscheleinen, an denen Kleiderbügel und Laken hängen. Während ihres Monologs bügelt Li so rasant, wie es ihr ein ehemaliger Wäscher gezeigt hat. Die Deutschen seien gründlich, aber nicht schnell genug, sagte er ihr. Findet sie es ungerecht, unter welchen Bedingungen ihre Landsleute an Bord beschäftigt wurden? „Nein“, sagt Wanting Li. Chinesen könnten das ertragen. Sie seien gut darin, harte Arbeit zu leisten.

Ein einsamer Job

Um sich auf die Rolle vorzubereiten, haben die Schauspieler einige Tage auf einem Schiff mit russischer Besatzung verbracht. Ähnlich wie Chinesen und Deutsche sprach man keine gemeinsame Sprache. Das sei ganz schön einsam gewesen, sagt Li.

Die Theatergäste durchwandern jeden Eisenbahnwagen, der vierte ist die letzte Station. Man nimmt an kleinen Tischen Platz, über denen rote Lampions baumeln. Dampfende chinesische Suppe wird gereicht, Schalen mit Reis, Gemüse und Fleisch stehen auf dem Tisch. Es gibt den ersten Applaus des Abends, als einer der Schauspieler zum Essen ein volkstümliches Lied vorträgt, und noch mehr Beifall am Ende der Vorführung. Man trinkt deutsches oder chinesisches Bier.

Ein ergrauter Chinese mit Stock und Baseballkappe sucht das Gespräch mit den Köchen und Schauspielern der Truppe. Er hat jahrzehntelang selbst als Wäscher auf deutschen Schiffen gearbeitet. Wie war das für ihn? Hart? Er winkt ab. Nein, eine gute Arbeit, nur die Rente sei schlecht. Dann nuschelt er etwas von 700 Euro. Chinesische Wäscher bekamen kaum mehr als die Hälfte des Lohns deutscher Seefahrer. Auch heute richten sich in der Schifffahrt viele Löhne nach dem Herkunftsland der Beschäftigten.

An einem der Tische sitzt Martin Chen. Er leitet das chinesische Seemannsheim in Hamburg, neben ihm ein Mitarbeiter der Schifffahrtsgesellschaft Hapag-Lloyd. Der Job als Wäscher sei für die Chinesen immer eine gute Arbeit gewesen, so sieht es Chen – inzwischen würde sie oft durch Maschinen ersetzt. An der Bezahlung gebe es nichts auszusetzen. „Zumindest, wenn die Schiffe unter deutscher Flagge fahren“, so Cheng höflich.

Das tun heute nur noch wenige. Deutsche Löhne sind vielen Reedereien, und auch dem Geschäftsmann in Uniformjacke, zu hoch. Er lässt im Auftrag großer Firmen in chinesischen Fabriken zum Beispiel Strohhüte herstellen, er sieht sich dabei als Mittler zwischen den „chinesischen Freunden“ und deutschen Kunden. „Und ich will selbstverständlich auch Geld verdienen.“ Kinderarbeit gebe es bei seinen Partnern nicht. „Aber Deutsche würden unter solchen Bedingungen natürlich nicht arbeiten.“ Er bringt es unfreiwillig auf den Punkt: Die chinesischen Wäscher von damals, das sind heute die Fabrikarbeiter.

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