Margot Käßmann ist beim Friseur, dabei sitzt ihr sportlicher Fransenschnitt tadellos. Die Landesbischöfin von Hannover ist heute nicht zum Haareschneiden hier. Sie soll stattdessen mit ihrem Haarstylisten ein „Gespräch über gesellschaftlich relevante Themen“ führen, das gefilmt und per Livestream im Internet übertragen wird. Mit der Reihe „12 Orte – 12 Gespräche“ versucht sich die evangelische Landeskirche Hannover in der „cross-medialen Umsetzung kirchlicher Präsenz“. Auf der Webseite lobt man sich selbst für dieses Konzept. Die Episoden, bei denen die Bischöfin mit ganz normalen Menschen an wechselnden Orten zusammentrifft, seien „innovative und ungewohnte Wege, um öffentlich pr
ifft, seien „innovative und ungewohnte Wege, um öffentlich präsent und bei den Menschen zu sein“.Käßmanns Friseur Peter Grontzki blinzelt in die Kamera, er ist ein sympathischer Typ und außerdem evangelisch. Das mit der Konfession sei ihr ja schon wichtig, betont Margot Käßmann gleich zu Beginn, das verrate etwas über einen Menschen – ob er Stellung beziehe oder nicht wisse, wo er stehe. Oder etwa gar ein Buddhist sei.Während im Hintergrund Köpfe gewaschen werden, versucht der Moderator Christof Vetter das „gesellschaftlich relevante Gespräch“ in Gang zu bringen. Vetter, der lange Jahre Pressesprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war, ist dabei in punkto Medientauglichkeit dem Friseur und der Bischöfin aber deutlich unterlegen. Er dreht wie ein Kind seinen Friseurstuhl hin und her, klammert sich an Karteikärtchen und stellt breit schwäbelnd Fragen, die nirgendwo hinführen.Seine Gesprächspartner lassen ihn erst einmal auflaufen: Anders als es der Titel der Folge verspricht („Sag’s doch deinem Friseur – Margot Käßmann im Gespräch mit dem Friseur ihres Vertrauens“) scheinen sich die Bischöfin und ihr Haarstylist zwar sympathisch zu sein, aber keinesfalls Vertraute. „Ich werde nicht anfangen, Peter Grontzki mein Leben reflektieren zu lassen“, stellt die Kirchfrau klar. Ob sie denn wenigstens ab und an Gespräche über die Kirche oder die besondere Position von Frau Käßmann führen würden, fragt Vetter hoffnungsvoll. Der Friseur verneint, manchmal sehe er seine Kundin im Fernsehen, dann gäbe es später ein Feedback zu Frisur und Make-up. Sie beide hätten aber etwas gemeinsam, verrät Grotzki dann doch. Sie läsen beide gerne Elisabeth George, deren Kriminalromane ja auch biblische Titel tragen.Zoom auf die ShampooflascheStatisch blickt die Kamera auf das dahinplätschernde Gespräch, für visuelle Abwechslung sorgt nur der gelegentliche Zoom auf eine Shampooflasche der Hausmarke. Moderator Vetter richtet Fragen zum Thema Haare an Käßmann. Ob ihre Haare gefärbt seien? Nein. Wie lange sie die Frisur schon habe? Seit 27 Jahren. Welche Haare ihre Töchter hätten? Und gang gewagt: Es gebe ja als religiöse Normfrisur (sic!) den Gebetsknoten, sei die Käßmann mit ihrem Stil da nicht etwas zu kess? Einen Dialog zwischen der Bischöfin und ihrem Friseur weiß der Moderator dabei gekonnt zu verhindern.Kein Live-Stream erzeugt automatisch Spannung, dessen sollte sich die Landeskirche bewusst sein. Doch scheinbar beginnt man erst die neuen Medien für sich zu entdecken und sieht in der Käßmann-Show gleich „Maßstäbe kommunikativen Handelns, die es bisher in der evangelischen Kirche noch nicht gab.“ Um die Zielgruppe im Netz bemüht sich zurzeit nicht nur die Landeskirche Hannover. Auch deutschlandweit beginnt man im Jahr 2009 damit, sich das Internet zu erschließen: Mit evangelisch.de ist im September ein Multimedia-Portal der EKD online gegangen. Hier gibt es „aktuelle Bewegtbildnachrichten“, das Wort zum Sonntag als Podcast, christliche Foren und Online-Communities, Christen zum Gruscheln halt.Im Friseursalon bringt Käßman das Gespräch dann aber noch auf ein ernsteres Thema – die Situation von Frauen, die durch eine Chemotherapie ihre Haare verlieren. Sie hat einen persönlichen Bezug dazu, die Bischöfin selbst war vor drei Jahren an Brustkrebs erkrankt und machte dies öffentlich. Eine Chemotherapie blieb ihr erspart, weil die Krankheit frühzeitig erkannt worden war.Überfordert und geradezu peinlich reagiert Moderator Vetter auf das Gesprächsangebot. Er hakt nicht weiter nach, sondern wendet sich an den Friseur und handelt die Frage wie ein Stylingthema ab: Ob denn Haarverlust für Frauen etwas anderes sei als für Männer, die ja sowieso irgendwann die Haare verlieren würden? Ob das für Frauen vielleicht ein größeres Problem sei? „Ja, Haare sind nicht nur Keratin“, antwortet der Friseur.Ach ja, und die SchönheitAuf seinen Hilfskärtchen findet Vetter schließlich noch ein „gesellschaftlich relevantes Thema“ mit Bezug zum Friseurberuf: die Schönheit. Und hier wird die Bischöfin biblisch. „Auch Rahel war schön“, wiederholt sie mehrfach, „und Josef“. Überhaupt sei die Bibel ja weder lust- noch schönheitsfeindlich. Kirchenmann Vetter zitiert das Hohelied der Liebe als eines „der erotischsten Stücke in der Weltliteratur.“ Schade, dass Marcel Reich Ranicki nicht da ist, um das mit ihm auszudiskutieren.In einem sind sich dann aber alle einig: Schönheit sei ja etwas Schönes, aber nicht das Wichtigste. Sich darauf zu fixieren, bedeute „eine Einengung der Lebensperspektive und der Gaben, die Gott uns gegeben hat“, predigt Käßmann.Ihr würden junge Pfarrerinnen gefallen, die sich nicht „aufgageln“ aber auch nicht zu nachlässig mit sich seien. Klingt ziemlich konservativ. Käßmann selbst trägt zum Friseursalon-Talk ein lila Spitzenkleid. Als die Runde nach 30 Minuten endet, sind dem Zuschauer wirklich persönliche Einblicke allerdings vor allem dank des Moderators verwehrt geblieben. Auf dem Weg zu neuen Zielgruppen hat die evangelische Kirche offenbar noch ein ganzes Stück Weg vor sich.