Mit Killerschach gegen die Totschlagargumente

Piratenpartei Wenn Computerspiele wie Counter-Strike verboten sind, wieso ist dann Schachspielen erlaubt? Fragten sich Mitglieder der Piratenpartei und luden zu einer Partie "Killerschach" ein

„Schön dass ihr da seid, viele von euch würden jetzt grade vielleicht lieber Counter-Strike spielen“ begrüßt Florian Bischof witzelnd die Menge, die sich am Alexanderplatz versammelt hat. Bischof ist der Berliner Spitzenkandidat der Piratenpartei. Er trägt eine silberne Krone und einen weißen Overall, der wie ein Schutzanzug gegen die Schweinegrippe aussieht.

Und den braucht er auch. Denn gleich, beim Killerschach, wird Kunstblut fließen. Aber zunächst wird noch gegen das Verbot von Killerspielen demonstriert, gemeinsam mit anderen Parteien, zwischen den orangefarbenen Emblemen der Piratenpartei wehen Fahnen von FDP und Grünen. Viele der jungen Männer im Publikum sind dunkel gekleidet. "Wer Computerspiele kriminalisiert, verbrennt auch Bücher", steht auf einem Kapuzenpulli.

Die Piratenpartei ist nicht nur gegen Spielverbote, sie will ein freies Internet ohne Zensur und mit weniger Copyrights und Kontrollen, dafür tritt Bischof im Herbst bei den Bundestagswahlen an. Doch jetzt verliest er erst mal ein Zitat des Schachmeisters Bobby Fischer: Schach sei ein brutales Tötungsspiel, hat Fischer sinngemäß gesagt. Und trotzdem werde es nicht verboten, wie könne man da Computerspiele verbieten? So die Logik der Piraten.

Computerspiele sind süß, Killerschach ist grausam

Wie grausam Schach sein kann, das wollen der Spitzenkandidat und seine Parteifreunde gleich vorführen. Abseits der Bühne versammeln sich schon die lebenden Spielfiguren fürs "Killerschach". Es beginnt zu nieseln, aber die Spieler sind gut ausgerüstet. Sie tragen Schutzanzüge wie Bischoff, oder schwarze Plastikplanen, und beziehen jetzt Position auf den Schachfeldquadraten. Die Gegner beginnen sich anzufeixen, sich mit Spritzpistolen vorab zu bedrohen, oder mit anderen "Waffen" wie kleinen Holzspießchen. Sie kichern wie kleine Jungs. Ein Spieler steckt sich seinen Schaumstoffschläger zwischen die Beine und bleibt so stehen. Ein pubertär anmutender Gag.

Per Megafon sucht der Moderator jetzt Mitspieler für Schwarz."Wir brauchen noch Killerspieler", ruft ein Pirat. "Die können alle kein Schach", murmelt ein anderer. Pressevertreter verstecken sich hinter grauen Regenschirmen. Sie scheinen jetzt das Publikum von etwa 50 Zuschauern zu dominieren, denn die meisten Teilnehmer der Kundgebung sind inzwischen nach Hause gegangen.

Am Spielfeldrand wird Aljoscha Börsch vom Piraten-Landesverband Sachsen-Anhalt für ein Fersehinterview mit Reuters vorgeschickt. Der Spieleentwickler sieht etwas präsentabler aus als die meisten hier, weniger wie ein bleichgesichtiger Zocker. Und er hat seinen Text gelernt. Den Reuters-Kollegen erklärt er jetzt auf sehr professionelle Weise, warum Killerspiele nicht verboten werden dürfen. Die meisten hier sind weniger medienerfahren, aber sie haben dazu gelernt, äußern sich nicht zu jedem Punkt, notieren sich Namen und Medium der Journalisten, die sie interviewen.

Der Bauer fällt tot zu Boden

Wie seine Parteikollegen hat auch Aljoscha Angst, dass seine Aussagen von der Presse verdreht werden könnten, das sei schon öfters so passiert. Auf dem Spielfeld geht es nun los. Florian Bischof steht als König geduldig in der letzten Reihe, während vor ihm gekämpft wird. Alle Figuren dürfen nach den Schachregeln vorrücken und sich gegenseitig schlagen. Das sieht dann so aus: ein Bauer in Weiß verliert gegen einen Läufer der andern Seite. Etwas verhalten ruft der Läufer „Uah“, nimmt einen Schwamm aus dem Eimer mit Kunstblut und bewirft den Bauern damit. Der Bauer fällt tot zu Boden.

Jedesmal wenn "getötet" wird, drängeln sich die Piraten im Publikum nach vorne. Einige "Leichen" haben sich angesammelt und müssen abtransportiert werde. Vorher kommen Mädchen mit Kameras und fotografieren sie, offenbar sind es die Freundinnen der Piraten. Die Szene wirkt wie eine Parodie auf den Boulevardjournalismus.

Nicht nur zum Vergnügen hier

Es geht weiter, aber Spannung kommt nicht so richtig auf. Schach ist eben doch kein Counter-Strike. Neben Aljoscha Börsch am Spielfeldrand steht jetzt Martin Müller, er ist mit drei Freunden angereist: als Vertretung vom Landesverband Sachsen Anhalt. Er ist ein ernster junger Mann, Computer spielt er schon lange nicht mehr. Dafür bleibt keine Zeit, neben seinen Sohn, Studium, Beruf und der Partei, erklärt er. Die Ziele der Piraten sind ihm ein wichtiges Anliegen, er ist nicht nur zum Vergnügen hier. Er hat sich viele Gedanken über den letzten Schachzug der Partei gemacht: Kürzlich wurde der Ex SPD Mann Jörg Tauss als Mitglied aufgenommen, obwohl der unter Pädophilie-Verdacht steht.

Man habe sich unter den Piraten gemeinsam darauf geeinigt, das Ergebnis der Ermittlungen gegen ihn abzuwarten. Sollte sich der Verdacht gegen ihn erhärten, werde Tauss aber sofort ausgeschlossen, so Müller. "Bisher hat er uns vor allem aber Gutes gebracht, denn der hat Erfahrung in der Politik.“ Die Piraten rechnen Tauss an, dass der sich schon seit Jahren mit dem Internet beschäftigt hat und nicht wie andere Politiker auf den fahrenden Zug aufspringt, nur weil das Thema jetzt zieht.

Das Ganze erscheint wie ein Spiel auf Risiko: Sollten die Ermittlungen gegen Tauss zu einer Verurteilung führen, könnte das für eine Partei, die sich – selbst bei kinderpornografischen Angeboten – gegen Internetsperren einsetzt, schnell das Schachmatt bedeuten. Für König Florian Bischof ist es jetzt schon soweit. Zu Fall bringt ihn die gegnerische schwarze Dame, er sinkt auf das Schlachtfeld zwischen seine Kunstblut überströmten Mitstreiter. Ein schlechtes Omen?


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