Asta Nielsens Erzählungen „Im Paradies“: Wie Lippenstiftrot vor Wolkenweiß

Erzählband Wenig bekannt: Die Stummfilmlegende Asta Nielsen war auch eine Schriftstellerin. „Im Paradies“ versammelt teils bisher unveröffentlichte Erzählungen
Ausgabe 16/2023
Asta Nielsens Erzählungen „Im Paradies“: Wie  Lippenstiftrot vor Wolkenweiß

Illustration: Kat Menschik/Galiani Berlin

Aus den Nebeln der Vergangenheit taucht sie vor uns auf: in verführerischer Pose und mit einem Dolch in der Hand. In über 100 Filmen hat Asta Nielsen die Hauptrollen gespielt. Nur wenigen war bewusst, dass sie auch eine Schriftstellerin war.

„Blaue Himmels- und Wassertöne, sandiges Beige, Lippenstiftrot vor Wolkenweiß und Spiegelsilber – das sind die Farben der Ostsee und der Insel Hiddensee im Sommer“, schreibt Kat Menschik zu dem von ihr illustrierten Band mit Asta Nielsens Erzählungen. Die Idee entstand auf Hiddensee, wo sie gerne ist und letztes Jahr heiratete. Im „Asta-Nielsen-Haus“, das sie für den Band malt, machte sie Bekanntschaft mit dem Puppenspieler Karl Huck. Der hat zur Buchpremiere eine Hutschachtel mitgebracht, daraus taucht ein Kopf auf, den er sich über die Hand stülpt. „Asta Nielsen“ hat ein strenges Gesicht. Gerade weil sie eine umjubelte Diva war, achtete sie auf Distanz. Wie viele verschiedene Charaktere hat sie verkörpert, oft Frauen, deren Verhalten nicht den Konventionen entsprach. Viele Lieben hatte sie. Sie war eine freie Frau.

1881 in Kopenhagen geboren in einer armen Familie, 1971 gestorben wieder in Dänemark. Aber ihr Ruhm war mit Deutschland verbunden, vor allem mit Berlin. „Wie habe ich diese Stadt geliebt“, heißt es in einer Erzählung, „vor der Hitlerzeit“. 1932 drehte sie ihren letzten Film in Deutschland, Angebote des NS-Regimes für weitere Produktionen lehnte sie ab. Fortan widmete sie sich dem Schreiben. Ihre Memoiren Die schweigende Muse gelten als literarisches Meisterwerk. Daneben soll sie über 50 Novellen und Zeitungsartikel verfasst haben, von denen einige für diesen Band aufgefunden und erstmals übersetzt worden sind. Dazu Auszüge aus ihrem Hiddensee-Tagebuch, in dem mehrfach Joachim Ringelnatz vorkommt. Der geistert dann auch durch einige Bilder von Kat Menschik, manchmal mit Zitat. „Jeder spinnt auf seine Weise. Der eine laut, der andere leise.“ Das passt zu Asta Nielsens Lust an komischen Situationen. Die malt sie uns dergestalt aus, dass wir sicher sind: Das hat sie erlebt.

Hinter den Erzählungen der Exzesse steht Wehmut

Einmal, da will sie sich unbedingt blühende Kastanienzweige in die Vase stellen und landet in einem Berliner Vorort – mit einem Geigenbauer, einer nackten Frau, einem Jungen ohne Hosen und leerem Magen. Noch turbulenter geht es in La Bohème zu, wo eine Künstlerparty in München (auch Ringelnatz ist dabei) in Alkoholströmen ertrinkt. Austernschalen türmen sich, eine riesenhafte Gans rutscht vom Teller, und der Tisch erhebt sich „wie eine Klappbrücke“. So genau Asta Nielsen beobachtet, so ironisch scharfsinnig sie formuliert, so furchtlos sie sich selbst mit dreingibt, spürt man dahinter auch eine Wehmut. Denn das alles war ja längst vorbei, als es zu Papier gebracht wurde. Die Filmkarriere zu Ende, Berlin verloren. Und die Liebe zu ihrer Tochter Jeska, die uns so eindringlich vor Augen tritt, würde später deren Selbstmord überdauern müssen.

„Sie ist alles! Sie ist die Vision des Trinkers und der Traum der Einsamen. Sie lacht wie ein Mädchen, das glücklich ist, und ihr Auge weiß von Dingen, die so zart und scheu sind, dass nie ein Wort über sie fällt“, zitiert Karl Huck im Nachwort den Dichter Apollinaire. „Selbst wenn wir von Frühling, Sommerhitze, Liebe oder Tod lesen, es liegt immer im Leben alles ganz nah beieinander“, meint Menschik. Der Band ist der fünfzehnte in der Reihe ihrer Lieblingsbücher. Allein schon der Silberschnitt (wo gibt es noch sowas?) zeugt von der Begeisterungskraft des Verlegers Wolfgang Hörner.

Wenn jemand etwas mit ganzem Herzen tut, reißt er andere mit. Da spannt sich eine Kette der Inspiration von einer großen Schauspielerin zu einem sprachmächtigen Puppenspieler, zu einer begnadeten Bildkünstlerin und einem enthusiastischen Verleger – bis hin sogar zu dem Parfümeur Mark Buxton, der jetzt ein Asta-Parfum kreierte, zu dem Menschik die Flakons entwarf. Ein Duft wie ein „Strandspaziergang an einem kühlen Sommertag an der Ostsee“, sagt sie.

Im Paradies. Erzählungen Asta Nielsen illustriert von Kat Menschik, Nachwort Karl Huck Galiani Berlin 2023, 112 S., geb., 22 €

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