Wie es ist, wie es war

Postkommunismus In Rumänien machte der Roman „Sonia meldet sich“ Furore
Ausgabe 22/2021
Chemnitz 1993 oder Bukarest 2013?
Chemnitz 1993 oder Bukarest 2013?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Beim Schreiben sich selbst preisgeben, gerade wenn es schmerzhaft ist: Es ist dieser Mut, der den Roman von Lavinia Branişte so eindringlich macht. Eine junge Frau, Sonia, offenbart sich im „Durcheinander der Gefühle“, in ihrer „Müdigkeit“. Irgendwie denkt man an Elena Ferrantes Neapolitanische Saga, obwohl der Hintergrund völlig anders ist, es ist die feministische Perspektive, aus der Branişte schreibt.

„Man setzt sich der Öffentlichkeit aus und das kostet.“ Das sagt Vlad Petre, der Sonia – ohne Vertrag, mit vagem Honorarversprechen – für ein Drehbuch engagiert hat, ein 45-jähriger Regisseur, „der sich seit zwanzig Jahren wünscht, mit einem Spielfilm zu debütieren“. Um Nicolae Ceauşescus Gattin Elena und beider Tochter Zoia soll es gehen. Die ging mit vielen Männern aus, und die Mutter ließ sie vom Geheimdienst Securitate überwachen. (Was nicht im Buch steht: Elena war einst Prostituierte gewesen.) Als Zoia mit einem Mathematiker-Kollegen für ein Wochenende verschwand, habe die Mutter das ganze Institut mit 100 Mitarbeitern schließen lassen. War es wirklich so? Vlad Petre möchte den Film mit einer Sexszene beginnen lassen, die gewaltsam unterbrochen wird. Sonia aber überlegt, dass sie 1989, als die Ceauşescus hingerichtet wurden, gerade geboren war. Die Bilder kennt sie bis zum Überdruss aus dem Fernsehen.

Wie viele Bücher sie im Laufe der Romanhandlung liest, wie viele Gespräche sie führt, wie sie immer neue Textentwürfe an Vlad Petre schickt, der nie zufrieden ist, wie sie im Präsens davon spricht – mit klaren Sätzen zieht uns die Protagonistin lesend an ihre Seite. Ihre Nachdenklichkeit überträgt sich. Selbst Zeitzeugen können kaum verlässlich Auskunft geben, es ist ein „Fass ohne Boden“, ein „Mosaik aus Scherben“ – Paul, mit dem Sonia zeitweise eine Wohnung teilt, nennt es „eine Wolke aus aufgelockerter Schurwolle, aus der man sich so viele Fäden herausziehen und verweben kann, wie man möchte“.

Paul gibt zu ihren Recherchen nur sarkastische Kommentare ab. Die Mutter hilft ihr auch nicht weiter. Der Hass auf den Vater, der sie wegen einer anderen Frau verließ, hat ihre Beziehung vergiftet. Nun, da der Vater tot ist, interessiert sich Sonia für ihn und zieht für einige Zeit zum Großvater, nachdem sie Paul verlassen hat. Der sah sich als „Feminist“ und verschwieg, dass er verheiratet ist. Irgendwie scheint überall so ein Schweigen zu sein, nicht nur bei den Alten.

Erinnerungskultur, das Leben in Rumänien heute: Jeder hat mit sich zu tun, zumal in dem Milieu, das hier beschrieben wird. Junge Leute in Bukarest, die aus ihrem kulturellen Kapital geistige Befriedigung schöpfen, aber kaum davon leben können, sich wie Tagelöhner verdingen. Die Autorin, Jahrgang 1983 und somit kaum älter als ihre Protagonistin, wertet nicht, sie beschreibt das kreative Prekariat mit viel Lakonie: wie Sonia keinen Plastikhalm zur Limonade will, Vlad aber zwei im Glas hat, wie sie mit ihrem schwulen Freund Dani, mit dem sie besser reden kann als mit Paul, eine schräge Kunstausstellung besucht – dort, wo früher der Geheimdienst residierte ...

Dass dieses Buch in Rumänien Furore machte, lässt sich denken. Bilder der Not, Schrecken der Vergangenheit – wie nebenbei tauchen sie auf. „Es war nicht besser, aber uns ging es besser“, sagt ein alter Professor. Ein ehemaliger Securitate-Mann, völlig heruntergekommen, spricht von „Vitamin B“, das immer nötig sei. „Was hätte ich getan?“, fragt sich Sonia. Und irgendwann kommt ihr der Gedanke, dass es „Probleme der Reichen“ sind, über die sie da schreiben soll. Die Hinrichtung als Medienereignis, damit alle bei null anfangen konnten, „frei und ohne Sünde“. Einige hielten an Privilegien fest, um „sich weiterhin diskret um ihr eigenes Leben“ zu kümmern. Andere blieben arm. Was Sonia besitzt, ist nur eine kleine, kranke Katze.

Info

Sonia meldet sich Lavinia Branişte Manuela Klenke (Übers.), Mikrotext 2021, 320 S., 19,99 €

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