Jeder, der mehr als zwei Tage in der Woche am heimischen Schreibtisch arbeitet, weiß: Struktur ist das A und O des Freiberuflers. Private Anrufe von der besten Freundin, deren Baby zufällig gerade schläft, gilt es genauso zu ignorieren, wie den klingelnden Nachbarn an der Tür, der nach zwei Monaten sein Päckchen abholen will. Die eiserne Maxime heißt: “Ich arbeite, auch wenn es von außen so aussieht als würde ich Fenster putzen.” Wenn einen dann doch der Lagerkoller übermannt, heißt es Jutetasche packen: Den Laptop in die Laptop-Tasche, Ladekabel nicht vergessen und das kleine Schnürchen fürs iPhone auch gleich dazu.
Irgendwie ja auch ganz schön, so am Mittwoch nachmittag ins Lieblingscafé zu spazieren, den angebissenen Apfel dem vielzitierten urbanen Kreativvolk entgegenzuklappen und so der digitalen Bohème ein Gesicht zu geben. Das verzieht sich allerdings zu einem großen Fragezeichen, als es mit einer ordentlichen Portion Pathos gewürzten Entschiedenheit heißt: “WLAN? Das ist bei uns jetzt für immer abgeschafft.” Die Kellnerin zeigt auf die konsequent im Industrial-Look gehaltene Inneneinrichtung des Cafés, dass sich im tiefsten Friedrichshain direkt vor einem Spielplatz niedergelassen hat. “Die Freelancer besetzen die Tische und trinken den ganzen Tag lang nur zwei Flats”. "Und was sollen stattdessen tagsüber für Kunden hier her kommen?”, frage ich, während ich gleichzeitig überlege, ob ich jetzt mit der Forderung nach freiem WLAN schon automatisch zur Zielgruppe der Piraten gehöre. “Na, Leute, die auch was bestellen, nicht nur rumsitzen und schick aussehen.” Einer der punktgenau abgeranzten Drehstühle quietscht im Hintergrund bedenklich, als sich eine Mutter mit einem Himbeer-Smoothie und einer Tupperdose mit Dinkelkeksen bewaffnet an einem der langen, unbehandelten Holztische niederlässt. “Aber, ich dachte, ihr wollt hier so ein Publikum haben?”, höre ich mich sagen, während mir beim Anblick des New York Cheese Cakes das Wasser im Mund zusammenläuft. “Ja, das dachten wir auch – am Anfang. Aber jetzt haben wir gemerkt, dass sich das irgendwie nicht rechnet."
Ich packe meine sieben Sachen wieder ein, bezahle meinen frischen Pfefferminztee und ziehe weiter. Die Ausbeute der nächsten drei Stationen sieht folgendermaßen aus: Nur Empfang im Stehen neben der Theke, die Stunde 2,50 Euro, Programmier-Probleme mit den täglich wechselnden Codes. Von Struktur konnte an diesem Tag keine Rede sein. Immerhin, das E-Mail-Postfach zeigt in den Stunden, die ich in der digitalen Obdachlosigkeit verbracht habe, nur einen Eingang: Eine Freundin aus New York schreibt mir: “Heute habe ich im Park neben mir im Rasen Steckdosen entdeckt. Wahnsinn, wie die hier überall dafür sorgen, dass man auch ja arbeitet.” Ich werde morgen nochmal in mein Lieblingscafé gehen. Um einen veganen Minz-Cupcake zu bestellen und dann zügig den Platz zu räumen. Das nenne ich dann Arbeit.
Kommentare 1
Ach, das ist ja tragisch. Andererseits. Die digitale Boheme - die freelancer - sind nicht so malerisch und faszinierend wie die reale Boheme.
Wenn ein Dichter - wie Ernst Hemingway in Paris - im Cafe saß, dann war das früher ganz selbstverständlich und auch für das Cafe ein Zier. Aber die freelancer, sie erinnern die Leute ständig daran, dass die Arbeit nie und nimmer aufhört und dass das Einkommen unsicher ist. Kommunikativ aufgeschlossen sind darum auch nicht.
Ich habe heute ein Interview gelesen mit dem Macher des "Postillions" .Der sagt, seine Arbeit macht er im Kinderzimmer seiner Tochter. Gehört das nicht auch zur Flexibilität: Dass man sich nicht ablenken lässt, wo auch immer man arbeitet? In diesem Sinne. Nicht verzagen.