Die Wellen der Sympathie und Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge hat viele in der linken Szene überrascht. Sahen sich die linken Anti-Rassismus-Aktivisten immer als Minderheit in einer ausländerfeindlichen Mehrheitsgesellschaft, hat München gezeigt, dass Deutschland anders geworden ist.
Die vielen neuen Flüchtlingsinitiativen haben den Charakter der Flüchtlingsarbeit verändert und Rückzugstendenzen ausgelöst. Das machte sich symbolisch am letzten Wochenende bemerkbar, als sich der Verein St. Pauli von der Aktion „Refugees Welcome" des Fußballbundes distanziert hat. Besonders die Unterstützung von Kai Diekmann und der „Bild"-Zeitung fand bei vielen Fans keine Zuspruch.
Doch auch die vielen ehrenamtlichen Helfer mit ihren Willkommensplakaten und nächtelangen Einsätzen finden nicht den Zuspruch vieler linker Aktivisten in der Flüchtlingsarbeit. War doch die Flüchtlingspolitik wichtiges Betätigungsfeld von linken, radikalen Gruppen.
Über ein Jahr wurde in Berlin-Kreuzberg von Lampedusa-Flüchtlingen und Unterstützern ein Platz besetzt. Die Online-Seite der Aktivisten vom Berliner Oranienplatz schreibt, dass die aktuelle Sympathie der Bürger und ihre Aktivitäten zwar willkommen seien, aber „wenn sie auf der Ebene von Wohltätigkeit stehen bleiben, sind wir als politische Bewegung erledigt."
Die Argumente der Kritiker
Dazu kommt, dass die Willkommenskultur von allen politischen Kräften getragen wird. Einige linke Kritiker sehen in der Willkommenskultur ein trojanisches Pferd, eine Politik des Lohndumpings mit anderen Mitteln. Sie befürchten, dass Flüchtlinge zur Senkung von Löhnen benutzt werden.
Eine scharfe Kritikerin der Welle der Sympathie in München ist die politische Aktivistin Jutta Ditfurth. Nach ihrem jahrelangen Kampf gegen Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit müsste die Willkommenskultur ihr Herz höher schlagen lassen.
Doch sie geht auf Distanz. Ihr ist dieses Wohlwollen nicht nur suspekt, sondern sogar gefährlich. Ein Blick auf ihre Facebook-Seite gibt Einblick in ihre Gedankenwelt, die dort wenig Kritik, sondern eher Zuspruch erfährt.
Frau Ditfurth, frühere Bundesvorsitzende der Grünen und Antifa-Aktivistin, kann Bewunderung von Leuten für die Münchner Willkommenskultur kaum ertragen. Sie warf den Münchnern vor, mit ihrem Engagement zu prahlen. Sie reagiert scharf auf Sympathisanten dieser neuen Hilfsbereitschaft.
„Und der ‚Stolz' einiger Leute, dass ‚die Münchner' beziehungsweise ‚die Deutschen' ausnahmsweise mal freundlich zu Flüchtlingen sind, anstatt das als selbstverständlich zu betrachten, geht mir allmählich auf den Senkel. Und warum hast Du keine Ahnung von all den Menschen in all den anderen Städten, die helfen ohne zu prahlen?" (Ditfurth Facebook-Seite 15.9)
Linke Aktivisten werden es schwer haben
Beispiele von Münchnern, die eine farbige Münchnerin, für einen Flüchtling hielten und zur nächsten Aufnahmestelle begleiten wollten, werden als unterschwelliger Rassismus gesehen, da einer arm gekleideten weißen Frau das nicht passieren würde. Auch den bürgerlichen Helfern wird Roma-Feindlichkeit und eine Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge unterstellt.
Dabei macht sie auch einen Unterschied zwischen linken und bürgerlichen Helfern.
„Menschen, die täglich Flüchtlingen helfen, erzählen, wie nicht wenige bürgerliche Helfer*innen von Hilfsbereitschaft sofort auf Eiseskälte umschalten, sobald sie unter den Flüchtlingen Roma erkennen." (Ditfurth Facebook 12.9)
Mit der Masse der Flüchtlinge ändert sich auch die Flüchtlingsarbeit. Das macht scheinbar nicht jedem Freude. Doch eignen sich Flüchtlinge mit ihrer Not nicht als Zielgruppe linker Mobilisierungspolitik.
Sicher kann man verstehen, dass sich einige linke Fußballfans nicht von der „Bild"-Zeitung in eine gemeinsame Aktion einspannen lassen wollen. Doch die vielen Helfer unter Verdacht zu stellen, geht zu weit.
Die scharfe Abgrenzung gegen die neue Willkommenskultur macht es den Flüchtlingsgruppen und Bündnissen gegen Rechts schwer, neue politische Partner zu gewinnen. Dabei werden die Flüchtlinge mit ihren konkreten Bedürfnissen aus den Augen verloren und Chancen verspielt.
Kommentare 1
Um einen Generalverdacht bezogen auf die vielen neuen HelferInnen geht es nicht. Für Gruppen, die seit Jahren (politische) Öffentlichkeitsarbeit betreiben und konkret mit Geflüchteten arbeiten, ihnen helfen, in Unterkünfte gehen etc. ist es natürlich teilweise erleichternd, dass plötzlich viel ehrenamtliches Engagement hinzukommt. Besonders engagieren sich nun viele - bislang Uninteressierte - in Erstaufnahmeeinrichtungen und kümmern sich ums Kleidersammeln und weitere Versorgung. Das ist eine gewissen Erleichterung für andere Aktive, da es mittlerweile kaum zu stemmen wäre, wenn bei dieser Arbeit keine großspurige Unterstützung käme. Jedoch kann sich schon gewundert und auch darüber geärgert werden, dass jetzt so viele angeblich interessiert sind, obwohl von Aktiven seit vielen Jahren auf die Flüchtlingspolitik und die Situation Geflüchteter (in ihrer Heimat, auf der Flucht und in Deutschland) aufmerksam gemacht wird und es bisher niemanden interessierte. Häufig hat es einen sehr heuchlerischen Anschein. Und ich freue mich zwar, wenn viele Leute helfen, aber es ist unerträglich, zu merken, dass es für viele ein Akt der Selbstinszenierung ist. Zudem zeigt sich langsam, dass es sich für einige um kurzzeitige Hilfsbereitschaft handelte. Nun merken sie, dass es sich nicht um eine kurze Phase, sondern grundsätzlich neue Herausforderungen geht, die aufgrund verfehlter, katastrophaler Politik nicht in ein paar Monaten beseitigt sind.
Bei dem Engagement handelt es sich weitgehend um ein humanitär begründetes, mit Mitleid und Mitgefühl gespeist. Jedoch bleibt das politische Bewusstsein oft aus. Nicht selten habe ich von Leuten gehört, dass sie gerne helfen, aber nicht in bestehenden Netzwerken und Gruppen, die sich für die Rechte Geflüchteter einsetzen, weil die zu politisch sind. Hilfbereit sein ohne dabei die europäische und deutsche Flüchtlingspolitik zu kritisieren, zeugt von Unreflektiertheit und Ignoranz. Wer helfen will, aber dabei übersieht, dass die miserablen Lebensbedingungen und Unterbringungsmöglichkeiten hierzulande das Ergebnis praktischer Politik sind, bewegt sich in einen erweiterungsbedürftigem Mikrokosmos. Wer sich für die Lage Geflüchteter sensibilisieren lässt, sollte an Kontexten interessiert sein. Und Kontexte sind z.B. EU-Abschottungspolitik, Verwertungslogik und Ausgrenzungsmechanismen, die in allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen greifen.
Insofern darf diese "Willkommenskultur" nicht unkritisch hingenommen werden, jedoch natürlich unbedingt angenommen werden. Aber Vorsicht ist geboten, da diese "Willkommenskultur" mehr und mehr nationalistisch ausgeschlachtet wird. Es muss aber um den Kampf für eine offene Gesellschaft gehen, nicht um deutschnationale Identitätssuche.