Am abend auf dem weg zum bab touma, wo ich noch nach weiteren schönen klamotten suchen wollte, stehe ich im micro im donnerstags-abends-stau. wenn man nach dem abendgebet die massen der betenden aus der moschee stürmen sieht, merkt man, wie allgegenwärtig religionsausübung hier ist. der islam macht es den gläubigen dabei ja irgendwie auch leicht. Er hat meiner meinung nach prototypische elemente von religion miteinander kombiniert, die eine enge bindung an ihn möglich machen. Durch das verbot von alkohol und schweinefleisch im alltag und den fastenmonat ramadan wird askese verlangt. Eine religion ohne ein persönliches opfer hat sicher weniger bindungskraft. Das fünfmalige beten am tag führt eine gewisse regelmäßigkeit ein, mit der sich die religion immer wieder in erinnerung bringt. Das geben von allmosen und die fahrt nach mekka geben ein gemeinschaftsgefühl. Die drei elemente askese, regelmäßigkeit und gemeinschaftsgefühl zusammen haben es bestimmt in sich.
Darüber hinaus wird ja auf vieles verzichtet, was die christen so haben. Die drohung mit der hölle zum beispiel ist wohl nicht so präsent. Halte dich an die paar regeln und alles ist geritzt. Schön übersichtlich. Am wichtigsten scheint mir aber der verzicht auf dieses persönliche über-seine-sünden-rechenschaft-ablegen-müssen (in der beichte oder bei den evangelen noch schlimmer nur vor gott – auf sich ganz allein gestellt). Dieses dadurch nötige in-sich-gehen, das sich erkunden und ausforschen führt auf lange sicht natürlich zur herausbildung eines gewissens, es ist aber vermutlich in religionstechnischer hinsicht viel komplizierter, als sich fünf mal am tag gen mekka zu verneigen. Wenn dann noch eine vorstellung von: „ich glaube in mir und für mich persönlich und jeder kann gott sehen, wie er will und so weiter“ hinzukommt, dann ist der erste schritt zum verschwinden der religion schon getan.
Das haben die moslems viel besser eingerichtet. Die haben genügend dinge, die einem verschwinden der religiosität entgegenwirken. Und die externen regularien führen dazu, dass ich dann, wenn ich nicht beobachtet werde, auch mal machen kann, was eigentlich verboten ist. sobald soziale kontrolle versagt, gibt es keinerlei kontrolle mehr. Aber soziale kontrolle ist hier ja fast allgegenwärtig. Dabei ist mir immer die geschichte meines freundes jassir, des libanesen aus frankfurt in erinnerung. Den besuchte eines tages seine ca. 50 jahre alte schwester aus dem libanon. Als er zur arbeit musste, hat sie ihn gebeten, sie in der wohnung einzuschließen (!), denn sie habe so eine angst davor allein und ohne kontrolle zu sein. Sie war noch niemals in ihren ganzen leben zuvor auch nur eine minute ganz allein gewesen!
Am bab touma angekommen merke ich, dass ich dem christentum unrecht getan habe. Vielleicht mag das in europa so sein, aber hier haben auch die christen ein sehr starkes bedürfnis, ihre religion auszuleben. Und sie haben lustige rituale! Ich werde zeuge einer mit höllischem lärm durchgeführten trommler- und bläser- formation, die auf dem hof der kirche das letzte aus ihren instrumenten heraustrommelt und bläst. Der herrgott persönlich muss das gehört haben, so laut war das! Als zaungäste im wahrsten sinne des wortes, denn die pforten der kirche sind verschlossen, stehen viele leute und hören sich das an. Dabei gehen die musiker in bestimmten figuren über den hof, das ganze könnte sich beim zdf-fernsehballett bewerben, wenn es das noch gäbe. Neben mir stehen zwei hussams (komisch, die heißen alle mustermann!), die den Donnerstag abend nutzen, um am bab touma hübschen mädchen hinterherzusehen. Erstaunlich: wir stehen nebeneinander und sehen uns die prozedur an. Einer der hussams legt plötzlich und unvermittelt seinen arm um meine schulter. Ich erschrecke nicht, denn ich kenne das ja schon, diese körperlichkeit zwischen männern oder frauen, die europäer gern als homosexualität fehlinterpretieren, die aber vermutlich gerade aus der undenkbarkeit eben dieser resultiert. Ja, so etwas gibt es hier, unverbindliche gesten der zuneigung fremden gegenüber.
Kommentare 7
Sagt dir der Begriff "TAZKIYA" etwas?
ist das nicht sowas wie charakterreinigung?
Genau. Deine Darstellung, dass es im Islam keine Selbstprüfung, keine Beichte gäbe, ist m.E. nämlich falsch. Nur wird sie nicht bei einem anderen Menschen abgelegt - das ist eine ausgesprochen katholische Variante, schon bei den evangelischen Christen gibt es das nicht mehr.
Wenn man dann noch bedenkt, wie viel im Koran sich mit Reue befasst - eine ganze Sure trägt diesen Titel - und man den Begriff der Kaffara dazunimmt, passt es nicht zu deiner Darstellung, dass es den Muslimen so leicht gemacht würde, gegen ihre religiösen Regeln zu verstoßen.
aber ist das nicht eher ein sufi-element? so hatte ich das immer verstanden.
allerdings hatte ich auch mal irgendwo gelesen, dass der islam dem protestantismus ähnlich sein soll - dein argument wäre ja ein beleg dafür.
ich meinte ja auch gar nicht in erster linie verstöße gegen religiöse regeln, sondern gegen kulturelle oder moralische sitten. (wobei ich durchaus schon beobachtet habe, dass z.b. in tunesien im ramadan die fensterscheiben der cafes einfach mit zeitungspapier zugeklebt wurden und drinnen dann eben getrunken wurde. das finde ich doch schon eine recht einfache umgehung einer regel - oder?).
Das ist dann eher Dummheit und Arroganz, hat nichts mehr mit ernstgenommenern Religiosität zu tun.
Nein, das ist kein ausgesprochenes Sufi-Element, sondern eigentlich der Anfang der Kette: Selbstprüfung - Reue - Buße. Und wie gesagt, letztere mit vielen Nachweisen im Koran selbst.
Bei Verstößen nur gegen kulturelle oder moralische Sitten müsste ein Katholik ja auch nicht beichten, insofern passt dein Argument nicht.
Ähnlichkeit: eigentlich fand ich die immer mehr mit dem Katholizismus, weil es dort doch weit mehr Geregeltes gibt. Die Beichte bzw. eben nicht ist da eher die Ausnahme.
"Das ist dann eher Dummheit und Arroganz, hat nichts mehr mit ernstgenommenern Religiosität zu tun."
Wenn Du die zugeklebten Fenster meinst, dann finde ich das nicht dumm und arrogant, sondern listig. Ich mag sowas.
isam, du hast die richtige distanz zum tanz derer, die meinen, nach vorschriften hampeln zu müssen, weil sie nicht von der tradition loskommen.
für mich ist allein das theater erträglich, bei dem die schauspieler/innen bewusst etwas vorführen, das nach schluss der vorstellung vorbei ist.
religiöse sind puppen, die nicht wissen, warum sie tanzen.
zu den puppen fällt mir ein satz aus dem gilgamesh-epos ein: it's only the nymph of the dragon-fly who sheds her larva and sees the sun in his glory.