Michel ruft am gestrigen abend an, er wolle mit einigen freunden raus auf den berg hinter dummar, von wo man einen schönen blick über das nächtliche damaskus habe. ich komme also mit. sie holen mich in einem schrottreifen weißen wagen unbekannter marke ab, in dem vorne bereits drei und hinten mit mir vier leute sitzen und der nur schwer den berg hochkommt. die fahrt ist wahrscheinlich gefährlicher als der ganze flug aus deutschland hin und zurück. aber wir kommen heil an. oben sind bereits weitere bekannte und unbekannte versammelt. wieder eine dieser inoffiziellen homoparties. man ist gut ausgestattet. wasserpfeifen, decken zum drauf sitzen, getränke, knabbergebäck, alles parat (sogar alkohol, der in den kiosken von dummar – einem reichenviertel – frei verkäuflich ist, wo er sich doch sonst in damaskus hinter vorhängen in speziellen läden verstecken muss, gegen die deutsche fixerstuben einen offenen und einladenden eindruck machen). alles studenten, alle sprechen englisch, viele französisch. nette, aufgeschlossene leute, die fragen, was mir an syrien gefällt (vieles) und was nicht. wenn ich mir etwas negatives (auf ausdrückliches nachfragen) herausleiere, setzen sie zur sofortigen verteidigung ihres landes an.
Die amerikaner können hier glaube ich lange nach einer vernünftigen oppposition suchen. die einzigen die sie finden würden, wären die muslimbrüder und andere fanatische islamisten. die böten sich sicher gerne als koalitionäre gegen die regierung hier an. mich erstaunt das schon etwas, denn einiges liegt ja schon im argen (denken wir nur mal an die menschenrechte), aber alle anwesenden betonen, dass der präsident ja gerne würde, die leute, die ihn umgeben, aber hinauszögern. es werde aber nicht mehr lange dauern, und syrien werde die europäisch-arabische akte (welche auch immer, da scheint es eine zu geben) unterzeichnen und müsse dann die menschenrechte besser achten und die todesstrafe abschaffen und für homos werde es dann auch besser (dann gäbe es bars und alles wie in beirut). ich weiß nicht, ob ich das „alles wie in beirut“ möchte. es wird ja viel von der beirutisierung von damaskus gesprochen, für mich ist das eher ein schreckgespenst. im rotana-cafe, einem fanal der beirutisierung, kostet ein kaffee 500 pfund. das sind 7 euro. wer kann sich das hier leisten? vor dem rotana-cafe sitzen die bettler und kriegen von den neureichen säcken nix. steuern in angemessener höhe müssen sie auch nicht zahlen, von denen ein sozialsystem zu finanzieren wäre. wenn dann auch noch die wasser- und stromversorgung individualisiert und auf hausgeneratoren umgestellt würde, wäre damaskus beirut noch einen schritt näher. herzlichen glückwunsch!
Habe heute noch drei syrische zeitungen gekauft, die für meine daheimgebliebenen freunde als beispiel dafür herhalten werden, was keine pressefreiheit ist. sie haben die blumigen namen „revolution“, „oktober“ (da war die revolution) und „wiedererweckung“ (der name der gleichnamigen arabischen-sozialistischen wiedererweckungspartei, die sich durch besagte „revolution“ im oktober vor vielen dekaden an die macht brachte) alle drei haben in guter alter sitte das gleiche bild auf der titelseite (und damit vermutlich auch den gleichen aufmacher). Alle drei haben jeden tag den präsidenten auf dem titelbild, wie er immer in seinem empfangszimmer mit wichtigen männern sitzt und wichtige gespräche führt oder wie er die werktätigen besucht (natürlich nicht im friseur-salon sondern in einer fabrik mit arbeitern, die mindestens helme tragen). da kann man auch ohne die schrift lesen zu können sehen, was gleichgeschaltete presse heißt. aber genug der kritik, schließlich bin ich nicht unbedingt hier, um zeitkritische diagnosen zu verfassen.
Kommentare 9
Hallo Isam,
das sind ja wieder interessante Einblicke.
"Die amerikaner können hier glaube ich lange nach einer vernünftigen oppposition suchen. die einzigen die sie finden würden, wären die muslimbrüder und andere fanatische islamisten."
Das fand ich besonders interessant, da Du damit ein Dilemma ansprichst, das ich erst gestern auf Nigeria bezogen und allgemein angesprochen habe (zum Guardian-Artikel "Früchte des Zorns"). Würde mich interessieren, wie Du das siehst.
Was die reflexartige Verteidigung des eigenen Landes (und der Regierung!) betrifft, frage ich mich schon länger, woran das eigentlich liegt. Bei Chinesen z.B. habe ich schon Ähnliches beobachtet. Ist es vielleicht ein Denken in Kollektiven?
Was halten denn die Einheimischen, mit denen Du sprichst, von der nicht vorhandenen Pressefreiheit? Ich habe mich mal mit einem Exil-Iraner darüber unterhalten, den ich mit dem Auto mitgenommen habe (Mitfahrzentrale). Ich weiß nicht, wie lange er schon in Deutschland lebte, er sprach jedenfalls fast perfekt Deutsch. Er fragte mich, ob ich denn bei meiner Zeitung wirklich schreiben könne, was ich will. Als ich das bejahte, reagierte er zunächst mit ungläubigem Erstaunen. Ich habe ihm zwar auch gesagt, dass die Interessen des Verlegers (die guten Anzeigenkunden nicht vergraulen) die Pressefreiheit bei uns faktisch auch oft einschränken. Dass es aber kaum gesetzliche Einschränkungen gibt und keine Zensurbehörde, bereitete ihm offenbar eine Menge Kopfzerbrechen.
es kann das denken in kollektiven sein, es mag auch eine portion angst darin stecken. aber auch syrer in deutschland verteidigen ihr land (und die dürften keine angst vor geheimdiensten haben). vielleicht ist es auch so, dass die werte der menschenrechte und die bürgerlichen freiheitsrechte so eng mit westlicher hegemonie (die hier immer nur als kolonisator oder aggressor aufgetreten ist) verknüpft sind, dass diese werte (anders als bei uns) sich wirklich nicht entfalten konnten. obwohl universell haben sie sich (anders als traditionelle wertvorstellungen) nicht im denken der menschen niedergelassen.
und: auch wir haben begrenzungen der freiheit, innere zensur und undenk(sag)bares. da müssen nicht erst die interessen der anzeigenkunden kommen.
danke für deinen kommentar!
ich weiß ja nicht, ob die amerikaner überhaupt nach einer 'vernünftigen' opposition suchen würden.
wie die erfahrung zeigt, würden sie wohl auch in syrien eine ihne genehme finden. zur not nähmen sie sicher auch mit der muslimbruderschaft vorlieb. sag ich dazu mal ganz trocken (obwohl mir diese möglichkeit ganz sicher nicht gefiele und sie derzeit außerhalb des möglichen/denkbaren scheint).
Mir fällt auf, dass du dich anscheinend nur unter 'arabern' bewegst. lese ich das zutreffend?
Vielen Dank. Da ist sicher etwas dran. Ich vermute ja, dass auch autoritäres Denken eine Rolle spielt. Autoritäre Familienstrukturen z.B., die sich bis an die Spitze der gesellschaftlichen Hierarchie fortpflanzen, so wie früher bei uns auch.
Zurzeit der Weimarer Republik gab es ja in Deutschland auch starke Ressentiments gegen die Demokratie und freiheitliche Werte, die viele Konservative als von außen aufgestülpt empfanden. Nach dem 2. Weltkrieg wurden diese Werte, zumindest äußerlich, viel schneller angenommen, dem "Wirtschaftswunder" sei Dank.
Ich finde, da zeigt sich, dass da immer viele Faktoren reinspielen. Aber wir wollen es mit der Kritik mal nicht übertreiben. :) Deine Anekdoten aus einer - für mich in doppelter Hinsicht - fremden Welt lese ich immer wieder gerne.
Wars denn nett auf der Party sonst so?
Deine Schilderung syrischer Zeitungen erinnern mich an die DDR-Aufmacher zu Jahrestagen und allen anderen möglichen Anlässen.
Da war das fast genau so.
Aber was man daran sehr schön sieht, ist dass Marktwirtschaft (die es hier seit ca. 2001 gibt) nicht mit Pressefreiheit einher gehen muss, dass also kapitalismus und demokratie keinesfalls verbündete sind wie man uns vielfach weißmachen will.
und: es war sehr nett auf der kleinen berg-party, danke!
hallo rahab,
ja, das liest du richtig. einige wenige touristen sind ja auch nur hier. aber die sind meist genug mit sich selbst beschäftigt. leider lerne ich mehr leute kennen, die auch englisch sprechen, so dass ich nicht gezwungen bin arabisch zu stammeln - aber vielleicht kommt das ja noch.
nichts gegen die verständigung auf englisch, lieber isam. du weißt aber,(beachte meinen erhobenen pädagogischen zeigefinger!) dass du dadurch dein arabisch nicht verbesserst. du musst den umgang mit nicht arabisch sprechenden wohl oder übel einschränken oder verständige leute bitten, trotz anfangsproblemen es mit deinem arabisch zu versuchen.
aber bestimmt kommt der tag an dem du merkst, dass du über den berg bist. dann ist es nicht mehr so anstrengend; es geht dann sozusagen bergab; du gewinnst wie im spiel. was ist schöner als das gefühl, sich in einer neuen sprache verständigen zu können?!
zum nationalgefühl der syrer: das ist nichts ungewöhnliches. jede regierung bemüht sich um die herstellung und verstärkung des nationalen bewusstseins, der nationalen identität, man kann auch sagen: des nationalen wahns. denn es ist natürlich ein künstliches gestell zur stützung der macht der regierenden. es richtet sich in der regel gegen die menschen(rechte) und gegen die menschheit. selbst die teutonen tun so, als sei es wieder(!) selbstverständlich, das nationalgefühl vor sich her zu tragen. und das nach dieser nationalgeschichte. es ist eben die "normalität im staatsgeschäft".
danke für deinen bericht.