Erinnern an Roger Willemsen

lesen.hören 11 Beim Mannheimer Literaturfestival lesen.hören wird dem verstorbenen Schirmherrn Roger Willemsen gedacht. Freunde erzählen witzige Anekdoten und lesen aus seinen Texten.

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Es wird ein lustiger, es wird ein trauriger Abend werden, der Abend des 18. Februar, der Roger Willemsen gewidmet ist. In der Alten Feuerwache in Mannheim erinnern Freunde von ihm seiner, lesen Texte, erzählen von ihrer Beziehung zu ihm. Insa Wilke, die inzwischen die Programmleitung des Festivals lesen.hören übernommen hat und diese emotionale Veranstaltung einleitet, sagt: „Es ist nicht jeder ersetzbar.“ Roger Willemsen soll heute, ziemlich genau ein Jahr nach seinem Tod, genauso geehrt werden, wie er im Jahr 2014 seinen verstorbenen Freund Dieter Hildebrandt ehrte. „Roger schaffte es, die Menschen glücklicher zu verlassen, als er sie vorgefunden hat“, erinnert sich Wilke. „Wir werden die Lücke, die er hinterlässt, ganz bewusst nicht schließen. Aber es geht trotzdem weiter.“

Im ersten Teil des Abends trägt die Schauspielerin Marion Maika, begleitet von dem Pianisten Frank Chastenier, die beide mit Willemsen befreundet waren, mehrere Texte von ihm vor. Dann betritt der Autor Michael Lentz die Bühne, der durch den Abend leiten wird. Zunächst begrüßt er Nadia Nashir und Joseph Vogl. Nadia Nashir gründete 1992 den Afghanischen Frauenverein, dessen Schirmherr Roger Willemsen ab dem Jahr 2006 war. Gemeinsam reisten sie durch Afghanistan. Nashir liest Briefe vor, die afghanische Kinder an Roger Willemsen schickten. „Bitte geben Sie mir Ihre Maße“, schreibt ein Junge. Sein Onkel wolle ein Hemd für ihn schneidern. Er und alle anderen bedanken sich für Willemsens Engagement. 500 Brunnen, so Nadia Nashir, wurden dank ihm in Afghanistan gebohrt. „Er hat seine Versprechen gehalten.“ Auf ihrer Reise wurde Roger Willemsen, wie sie erzählt, zunächst durch seine Größe wahrgenommen. Aber auch sein Auftreten verwunderte: Ein Gast aus Deutschland, der in einem verstaubten Taxi durchs Land fährt, anstatt von einer Militäreskorte begleitet zu werden. „Er war mutig, gelassen und immer freundlich“, blickt Nadia Nashir zurück. „Und obwohl er die Sprache nicht verstand, hat er die Menschen trotzdem verstanden.“

Joseph Vogl von der Humboldt-Universität in Berlin verband eine „altmodische“ Freundschaft mit Roger Willemsen. Kennengelernt hatten sie sich durch ihr gemeinsames Interesse für Robert Musil, über den Willemsen seine Dissertation schrieb. „Er hatte einen besonderen Blick auf die Literatur: Passion und scharfe Argumente mussten sich nicht widersprechen.“ Spannungsverlust, so Vogl, habe für Willemsen „Sündencharakter“ gehabt. Deswegen simulierte er in Gesprächen auch dann noch Hochspannung, wenn er „intellektuell bereits verwest war.“ Vogl liest Briefe vor, die er selbst mit seinem alten Freund austauschte. Und er widmet sich Roger Willemsens posthum erschienenem Werk „Wer wir waren“. Das „wir“, so Joseph Vogl, sei zunächst einladend, ziehe sich aber schleichend zurück und mache daraus ein „ihr“: Seht, in was für einer Gesellschaft wir, ihr, heute leben.

Nach einer Pause, in der sowohl der Bücherstand als auch der kleine Basar des afghanischen Frauenvereins – von dem übrigens dreißig Mitglieder teilweise aus Prag, München und Hamburg angereist sind, um Roger Willemsen zu ehren – betreten Katja Kraus, Barbara Auer und Werner Köhler die Bühne. Katja Kraus, ehemalige Torhüterin des FSV Frankfurt, war mit Roger Willemsen befreundet und interviewte ihn entsprechend für ihr Buch „Freundschaft“. „Es war nicht einfach, ihm in einem Gespräch nahezukommen, weil er ein großer Fragensteller war und virtuos von sich ablenken konnte“, resümiert Kraus. Über Fußball sprachen die beiden ebenfalls gerne. „Er verstand davon relativ wenig, auch wenn er das nicht glauben wollte“, verrät sie mit einem Schmunzeln. Trotz Willemsens Interesse für Hochkultur war er auch in unerwarteten Bereichen zumindest oberflächlich bewandert: „Er wusste immer, wie es um die Ehe der Lombardis bestellt ist!“

Die Schauspielerin Barbara Auer lernte Roger Willemsen 1995 kennen, als er sie zu einem Interview für „Willemsens Woche“ einlud. Vor lauter Ehrfurcht und Nervosität betrank sie sich in der Hotelbar, anstatt sich mit ihm für ein Vorgespräch zu treffen. „Ich wusste nicht, was er mit einem macht.“ Später sollte sie es erfahren: „Er schafft Raum, wie ich es noch nie erlebt habe.“ Während viele andere Interviewpartner eine Frage nach der anderen abhaken, gab ihr Roger Willemsen „das Gefühl, er sieht nur mich.“ Wie Katja Kraus liest sie Textstellen aus Willemsens „Momentum“. „Da ist er mir am nächsten“, sagt sie. Er sprach „Momentum“, wie fast alle seiner Werke, auch als Hörbuch ein. „Ich tröste mich mit seinen Hörbüchern“, sagt Auer. „Vor allem mit diesem.“

Der erste Text, den er von Roger Willemsen gelesen habe, erinnert sich der Begründer der lit.Cologne, Werner Köhler, seien Liner Notes in einem Merkheft von Zweitausendeins gewesen. „Er schrieb über Little Jimmy Scott. Ich bin sofort in den nächsten Laden und habe mir die Platte gekauft.“ Sie verband vor allem die Liebe zur Musik. „Ihn interessierte nicht nur die Musik, sondern auch die Menschen dahinter, besonders diejenigen, die verletzlich waren, bei denen man die Verletzlichkeit in der Musik gehört hat.“ Willemsen sei immer voller Inbrunst gewesen. „Er hat jeden mitgerissen. Im Restaurant sagte er den Kellnern wiederholt, wie großartig alles sei.“ Außerdem organisierten sie zahlreiche Veranstaltungen zusammen. „Einmal kam er mit der Idee, etwas über Kontaktanzeigen zu machen. Bei jedem anderen wäre ich aus dem Raum gegangen“, so Köhler. „Ihm gelang der Spagat zwischen einem Lachen, das gefriert, und dem Zerbrechlichen, das in den Menschen liegt.“ Immer gemäß dem Credo: Wir müssen den Leuten etwas zumuten.

Marion Mainka trägt einen letzten Text von Roger Willemsen vor und der Perkussionist Hakim Ludin, der mehrere Abende mit Willemsen bestritten hatte, spielt ein Stück. Es wurde viel gelacht, sowohl bei den Textstellen Roger Willemsens als auch bei den Anekdoten über ihn. Der ein oder andere im Publikum wischt sich aber über die Augen. Und die kleinen Ausrutscher der Freunde und Wegbegleiter auf der Bühne, die manchmal unbemerkt ins Präsens fallen, wenn sie über ihn sprechen, zeigen: Roger Willemsen ist nach wie vor gegenwärtig.

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Geschrieben von

Isabella Caldart

Journalistin. Lektorin. Bloggerin. Flaneur.

Isabella Caldart

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