Der Turnbeutel

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Es gibt Menschen, die sind super nett und trotzdem möchte ich denen nicht im Dienst begegnen. Der Notarzt z. B. oder – in meinem speziellen Falle – der Mensch vom Fundbüro im Bahnhof der nächst großen Kleinstadt (also über’m Berg). Der Grund dafür ist der Turnbeutel meines Sohnes. Der liebt nämlich den Bus. Jedenfalls vermute ich das mittlerweile, vielleicht ist er aber auch einfach nur ein Abenteurer – ich weiß es nicht.

Normaler Weise ist die Ansage ganz klar: der Turnbeutel geht montags in die Schule und kommt freitags zurück; weil im ersten Schuljahr der Stundenplan noch nicht so fest ist. Und wer kein Turnzeug dabei hat, geht nicht mit in die Turnhalle.

Der Turnbeutel meines Sohnes hatte irgendwie schon immer Schwierigkeiten mit dem Heimkommen, er blieb einfach im Bus. Im Grunde genommen ist das nicht so schlimm, denn –Vorteil des Landlebens – es gibt nur einen Schulbus und der fährt seine Runde nach der fünften und eben auch nach der sechsten Stunde. Mit ziemlicher Regelmäßigkeit klingelt eines der Mädels aus dem Dorf bei uns, um mir strahlend zu vermelden, sie hätte den Turnbeutel (nicht selten nebst Jacke) im Bus gefunden. Bin ich nicht da, liegt er eben einfach so im Hof. Unter den Schlingeln ist mein Kind (offensichtlich) Prince Charming.

Offensichtlich geht es so auch am Montag beim in die Schule gehen, aber das krieg ich als Mama ja nicht mit. Erst als ich einen Anruf der Lehrerin erhielt, das Kind habe schon sooft nicht mitgeturnt und sie wolle ihm noch eine Chance geben, ich könne den Turnbeutel bringen. Normalerweise mache ich sowas ja nicht, weil ich denk, dass es ganz hilfreich ist, mal selbst die Konsequenzen der eigenen Schusseligkeit zu spüren (LdS), aber wenn schon die Lehrerin anruft, …

Nun war der Turnbeutel aber gar nicht zu Hause und offensichtlich waren die Mädels auch krank oder auf Ausflug – ich weiß es nicht und tat, was in solchen Fällen zu tun ist: das Fundbüro anrufen. Ja, ein Turnbeutel wäre da, ich müsste halt kommen.

Um dem Kind die logischen Folgen des eigenen Tuns zu vermitteln, nehme ich das Kind mit (pädagogisch wertvoll, dachte ich). Am Freitag ging das nicht mehr, also am Montag gleich nach der Schule. Irgendwann im Laufe des Wochenendes muss der Begriff „Turnbeutelvergesser“ gefallen sein. Genau lässt sich das nicht mehr rekonstruieren. Jedenfalls marschiert mein Sohn am Montag Nachmittag in das Fundbüro mit den Worten „Wo ist denn hier der Turnbeutelfinder? Ich bin nämlich der Turnbeutelvergesser und das ist meine Mama!“

Am Dienstag morgen ist alles in Ordnung: Kind, Schulranzen und Turnbeutel verlassen das Haus und steigen in den Bus ein, aber leider nicht an der Schule aus. Dortselbst kommen nur Kind und Ranzen an. …

Natürlich fahre ich am Mittwoch dann zum Fundbüro, der Turnbeutel wird ja gebraucht, wo ich mit den Worten empfangen werde „Guck mal, die Mama vom Turnbeutelvergesser“ … Der Mann wusste natürlich gleich, welchen Turnbeutel ich gern hätte.

Ach so, ich muss noch mal hin – der Turnbeutel war noch nicht da. Den hat - wie ich soeben erfuhr - das Nachbarkind im anderen Schulbus gefunden und mit genommen, dann aber auch in "unserem" Bus liegen gelassen...

Inzwischen haben wir einen zweiten und der fährt seit gestern jeden Tag in die Schule und kommt auch wieder zurück, was vielleicht daran liegt, das er nicht so schick ist. Mal sehen, wie lange das gut geht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ismene

Kein Mensch ist freiwillig schlecht.Aber es sind schon viele ganz komisch unterwegs.antigone@weibsvolk.org

Ismene

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