Schreiben lernen oder vom Verlust einer Kulturtechnik

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Mein Sohn lernt grade schreiben. Also sitzen wir jeden Nachmittag an den Hausaufgaben und er malt mit viel Mühe und wenig Enthusiasmus Buchstaben in sein Heft – eigentlich ritzt er sie mehr auf’s Papier, weil er den Stift so arg aufdrückt (so muss es ausgesehen haben als Menschen zum ersten Mal Zeichen in Wachstafeln ritzten). Wie war das eigentlich als ich schreiben lernte?

Schreiben war ein eigenes – natürlich benotetes – Schulfach. Über ein Jahr lang malen wir mehr oder weniger eifrig Kringel, Schlaufen und Spazierstöcke auf’s Papier bis wir endlich Schreibschrift konnten. Für die heiß ersehnte Durckschrift – die mir den Zugang zu all den wunderbaren Büchern eröffnen würde - brauchen wir noch länger. Schlussendlich quälten wir uns mit Sütterlin herum. Zahllose Hausaufgaben machte ich zweimal, nur weil die Schrift nicht schön (!) war. Auf die Idee, nach dem „warum“ zu fragen, kam ich nicht. Es gab auch sowieso nur zwei mögliche Anworten: erstens die historische „haben wir schon immer so gemacht!“ und zweitens die militärische mit vier Buchstaben „isso!“. Bei uns wurde alles von Hand geschrieben, Computer gab es nicht und eine Schreibmaschine brauchten wir auch gar nicht. Ich erinnere mich dunkel, meine erste Seminararbeit im Studium noch handschriftlich abgegeben zu haben.

Heute ist das natürlich anders. Mein Kind lernt Druck- und Schreibschrift zeitgleich, wenn auch nicht die gleichen Buchstaben zu gleichen Zeit und kommt ganz gut damit klar. Schrift ist glücklicher Weise auch kein eigenes Fach mehr und die Schwungübungen sind eingebetten in ansprechende Zeichnungen. Ihm macht es trotzdem keinen Spaß! Und es beginnt die Fragerei.

Warum muss man schreiben üben?

Damit man es gut kann. Wenn man es übt, geht es auch ganz leicht. Das kann er kaum glauben, aber hier kommt mir seine große Schwester zur Hilfe. Ja, das stimme.

Aber warum muss man schön schreiben?

Muss man nicht, leserlich reicht. Das ist aber wichtig, damit man die Buchstaben unterscheiden kann. Sonst sieht ein a aus wie ein o oder ein h wie ein n oder ein l wie ein t. Die Beispiele „Schakalode“ und „Bullerdose“ lösen erst einmal Heiterkeit aus, überzeugen dann aber doch.

Nun ist seine Schwester dran mit der Frage, warum es bitte schön so wichtig sein soll, Rechtschreibung zu können.

Weil wir Wörter nicht Buchstabe für Buchstabe lesen, sondern an der Form erkennen. Auch das lässt sich leicht mit Beispielen wie „Skolohdace“ belegen.

Jetzt aber rottet sich der Nachwuchs zusammen zu der alles entscheidenden Frage, warum man überhaupt schreiben muss.

Ich bin sprachlos – na, um sich auszudrücken, Geschichten zu erzählen, Nachrichten zu notieren und was ist mit Gedichten und Schüttelreimen?

Ja, das meinten sie nicht. Lesen und schreiben sei schon wichtig, aber man müsse doch nicht von Hand schreiben, tippen reiche doch!

Na gut, wir überlegen gemeinsam, was wir so handschriftlich erledigen.

Briefe natürlich – aber das muss nicht sein. Es gibt doch Emails. Und wenn jemand keinen Computer hat (hahaha, so was gibt es doch gar nicht), dann kann man seinen Brief doch ausdrucken. Für den Nachwuchs ist ein gedruckter Brief attraktiver als ein handschriftlicher. Jenen können sie wenigstens sicher lesen, Erwachsenen schreiben nämlich nicht schön.

Protokolle und Gesprächsnotizen – das ist aber doch auch total doof. Ich könnte doch den Laptop mitnehmen zu irgendwelchen Sitzungen. Ich tippe sowieso schneller als ich schreiben kann. Dass das Getippe stören könnte und der Bildschirm ablenkt, ist kein überzeugendes Argument.

Nachrichten, wenn man mal weg muss – nein, das könnte man auch ausdrucken (genau und gleich laminieren, es sind sowieso immer die gleichen Nachrichten)

Einkaufszettel – das sollte doch eigentlich auch mit dem Handy zu erledigen sein.

Am Ende bleiben nur noch die Freundebücher – die Nachfolgeprodukte des Poesiealbums früherer Tage. Da muss man von Hand reinschreiben.

Soifz! Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit bis schreiben - also von Hand - gar nicht mehr unterrichtet wird und meiner Kindeskinder Kindeskinder werden vermutlich gar nicht mehr wissen, was ein Füller ist und wozu man ihn mal brauchte und Feinmotorik findet woanders statt. Ist das einfach der Lauf der Welt oder muss man das aufhalten?

Am besten fänden meine Kinder es, gäbe es Programme mit dessen Hilfe sie dem Computer diktieren könnten, was sie zu sagen haben. Zumal der ja auch „weiß“, wie es richtig geschrieben wird.

Dass es sowas schon gibt, werde ich ihnen erst verraten wenn sie richtig schreiben können.

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Geschrieben von

Ismene

Kein Mensch ist freiwillig schlecht.Aber es sind schon viele ganz komisch unterwegs.antigone@weibsvolk.org

Ismene

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