Sie dichtet Sachen wie „... ich mach’ Scheine ... ficke jetzt das Game ganz alleine“. Im Interview spricht die deutsche Rapperin Nura über Vorbilder, Vorurteile, weiße Männer. Die Sängerin findet, man kann krasse Rap-Musik machen und trotzdem ein sozialer Mensch sein – und dass Aufklärung eine Alternative für Hass ist.
der Freitag: Nura, Berlin diskutiert aktuell wieder über die Umbenennung der „Mohrenstraße“. Wenn Sie entscheiden könnten: Nach wem sollte die Straße benannt werden?
Nura Habib Omer: Ich würde sie nach einer afro-deutschen Person benennen, einfach um wieder gutzumachen, dass man diese Straße jahrelang so benannt hat. Das könnte zum Beispiel eine Frau wie May Ayim sein, nach der man in Kreuzberg eine Straße benannt hat. Es wäre auch eine gute Idee, sie nach Oury Jalloh zu benennen. Auf jeden Fall sollte man etwas zurückgeben, genauso wie es Gunter Demnig mit den Stolpersteinen macht.
Straßen werden oft nach Vorbildern benannt. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie als Musikerin selbst Vorbild sind?
Als meine kleine Nichte meine Lieder gesungen hat. Da habe ich mich ein bisschen geschämt. Sie hatte mein Album geschenkt bekommen, aber es gibt da eben ein paar Lieder, die sie noch nicht hören soll, wo meine Schwester dann sofort auf „weiter“ drückt.
In Ihrem ersten Buch „Weißt du, was ich meine?“ schreiben Sie von „zukünftigen Enkeln“. Wie werden Sie denen einen Text wie „Deine Mutter“ erklären?
Vermutlich so, wie ich ihn meiner Mutter erklärt habe: Es gibt einen imaginären Gegner, der hat mich vorher beleidigt, und „Deine Mutter“ ist die Antwort darauf. Rapper sind ja sehr angreifbar, wenn es um ihre Mütter geht. Und diese Angriffsfläche haben wir genutzt.
Wie hat Ihre Mutter auf diesen nicht gerade jugendfreien Song reagiert?
Es war nicht einfach, ihr zu erklären, warum wir andere Mütter beleidigen. „Warum sagst du so etwas? Das habe ich dir nicht beigebracht!“ Aber am Ende hat sie es schon verstanden, denke ich.
Versuchen Sie heute, ein gutes Vorbild zu sein?
Das tue ich eigentlich schon lange. Ich finde, man kann so eine Rap-Musik machen und trotzdem noch ein sozialer Mensch sein.
Die Texte auf Ihrem Soloalbum sind weniger grob als die, die Sie vorher im Duo SXTN gerappt haben ...
Ich bin ja jetzt auch keine 25 mehr. Klar, ich habe mich weiterentwickelt, was das angeht, ich habe bestimmte Sachen erlebt, die mein Wesen verändert haben.
Lässt die derbe Sprache automatisch nach, mit 30, 40 Jahren?
Ja, ich glaube schon. Man kommt sich doch auch blöd vor, wenn man mit 30 über die gleichen Dinge rappt wie ein 20-Jähriger. Das können die jungen neuen Künstler besser – und wir sind dann die alten Säcke, die Kinder bekommen haben.
Die Schimpfwort-Dichte bei SXTN war hoch, gleichzeitig hat man Ihnen „female empowerment“ zugutegehalten. Gab es das?
Ja, das war schon ein Hintergedanke. Zum Beispiel bei „Er will Sex“, da haben wir den Spieß einfach umgedreht. Oder der Song „Ausziehen“. Es war ja so, wenn wir mit SXTN auf Festivals gespielt haben, waren die ersten Rufe aus dem Publikum immer „Ausziehen!“ – also haben wir einen Song darüber gemacht, in dem wir sagen: Die können sich mal ausziehen, nicht wir.
Sie sind als Kleinkind aus Kuwait nach Deutschland geflüchtet, haben in Asylheimen gelebt, sich mit Kleinjobs durchgeschlagen. Hat Sie dieses „Leben am Limit“, wie Sie es im Buch nennen, eher erschöpft oder stark gemacht?
Ich bin heute sehr belastbar. Ich habe gelernt, mit einer Hardcore-Erkältung zur Arbeit zu gehen. Auf Tour hatte ich manchmal eine Magenschleimhautentzündung. Da hat mir meine Assistentin dann einen Eimer neben die Bühne gestellt, zu dem bin ich zwischen zwei Songs immer wieder hin. Die Zuschauer haben wahrscheinlich gedacht, ich tausche ein Mikro ...
Sie haben eine Immunität aufgebaut ...
Körperlich kann ich auf jeden Fall einiges ab. Ich glaube, das hätte ich nicht draufgehabt, wenn mein Leben normaler verlaufen wäre: wenn ich immer zu Hause gelebt hätte, immer jemand für mich die Miete gezahlt hätte. Diesen doppelten Boden hatte ich nicht.
Gibt es Erlebnisse, von denen Sie rückblickend sagen: Auf die hätte ich gerne verzichtet?
Nein. Natürlich gab es Dinge, die schlimm waren, die guten Erlebnisse haben aber überwogen.
Zur Person
Nura Habib Omer, 31, hat eine Flucht aus Kuwait sowie das Leben in Asyl- und Jugendheimen erlebt und anschließend eine Rap-Karriere hingelegt. Ihre Autobiografie Weisst du, was ich meine? Vom Asylheim in die Charts (208 S., 15,99 Euro) ist im Ullstein-Verlag erschienen
Rassismuserfahrungen?
Die haben mich ja auch zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Als Kind habe ich mir das gefallen lassen, später hat es mich sehr aggressiv gemacht, und heute versuche ich, eher besonnen drauf zu reagieren. Ich weiß ja, dass Leute, die man wegen ihres Rassismus beleidigt oder angreift, deswegen nicht umdenken werden. Ein Rechtsradikaler wird seine Meinung nicht ändern, wenn du ihn schlägst. Sondern er wird danach nur noch mehr Hass auf dich und auf Ausländer haben.
Was ist die Alternative?
Man muss die Leute aufklären. Das Problem ist ja, dass Hetze vor allem auf Lügen aufgebaut wird.
Würden Sie auf AfD-Wähler zugehen und mit ihnen diskutieren?
Schwierig. Ich glaube, die würden nicht mit mir reden, nicht so normal wie vielleicht ich mit Ihnen. Neulich hat mich Beatrix von Storch in einem Instagram-Beitrag markiert, da ging es um Black Lives Matter, um Dealer im Görlitzer Park etc. Ich bin ihr vermutlich ein Dorn im Auge. Aber selbst bei ihr würde ich die Hoffnung nicht aufgeben. Die hat bestimmt irgendein Geheimnis, zum Beispiel heimlich Döner gegessen oder einen Ausländer geküsst.
Haben Sie Hoffnung bei Ihrer und der nachfolgenden Generation, dass das Problem Rassismus zurückgeht?
Vor allem bei den heutigen Teenagern habe ich Hoffnung. Die sind mit dem Internet aufgewachsen. Das Netz hat Nachteile, aber wenn es darum geht, Aufmerksamkeit für ein Thema zu erzeugen, kann es sehr hilfreich sein. Fridays for Future, die sind toll, die setzen sich wirklich für etwas ein. Peinlich, dass Kinder uns das Richtige erst vormachen müssen.
Von Ihnen stammt die Textzeile „Ich bin schwarz, brauchst du Gras“. Trotz aller Ironie: Birgt die Zeile nicht die Gefahr, dass man Vorurteile verfestigt?
Nein, für mich ist das eher die Methode, den Leuten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ihr denkt, dass wir so sind? Dann mache ich einen Song darüber, der krass euren Klischees entspricht. Soll ich jetzt texten „Hört bitte auf, rassistisch zu sein, es stimmt gar nicht, dass alle Schwarzen gut tanzen können“? – Das wäre nicht meine Art. Und wer will mich dafür verurteilen, dass ich mich über mich selbst lustig mache?
Sie begegnen Rassismus mit Humor ...
Ich denke, spätestens mit dem Video bekommt man mit, dass das Comedy ist. Und vielleicht kommen die Leute ja dadurch darauf, wie dumm es ist, zu denken, dass jeder Schwarze Basketball spielt und gerne Melone isst. Das ist genauso blöd wie ‚
Welche Vorurteile haben Sie selbst, zum Beispiel gegenüber weißen Männern?
Gar keine, glaube ich. Ich habe nur den Wunsch, dass privilegierte Menschen öfter ihre Stimme erheben für Menschen, die nicht privilegiert sind. Zum Beispiel Heteros für Homosexuelle. Oder dass sich Leute gegen Antisemitismus aussprechen, genauso wie gegen Islamophobie. Jede Gruppe sollte helfen, denn jeder ist irgendwann mal in Gefahr – außer vielleicht die weißen Männer. Aber das darf man auch nicht verallgemeinern. Denn es gibt viele weiße Männer, die ihr Privileg erkennen und dementsprechend handeln.
Sie schreiben im Buch auch über den Kampf um den deutschen Pass. Hat sich diese Angelegenheit etwas entspannt, seit Sie 2019 eine „Niederlassungserlaubnis“ bekommen haben?
Ja. Davor musste ich alle drei Jahre zur Ausländerbehörde – und dann geben sie dir den Stempel für weitere drei oder fünf Jahre.
Sie wurden 2018 zu einer Geldstrafe verurteilt, weil Sie ein AfD-Plakat abgerissen haben. Hatte dies Auswirkung auf Ihren Aufenthaltsstatus?
Es ist so: Für eine Straftat bekommst du einen bestimmten Tagessatz, den du bezahlen oder im Knast absitzen musst. Und wenn dieser Tagessatz eine bestimmte Summe überschreitet, steht deine Aufenthaltserlaubnis auf der Kippe. So war es bei mir, weshalb ich einen Anwalt eingeschaltet habe.
Noch mal zum Thema Vorbilder. Die Stadt Düsseldorf wollte mit Farid Bang für das Tragen von Masken werben, das ging schief ...
Ich kann verstehen, wenn sich die jüdische Community aufregt. Andererseits: Er hat eine große Reichweite, besonders unter jungen Menschen. Trotzdem ist dadurch sein Text von damals ja nicht einfach so vergessen. Da würde ich mir von ihm auch die Empathie wünschen, dass er sagt: Ich habe damals einen blöden Satz getextet.
Würde das nicht seiner Pose als cooler Rapper widersprechen?
Im Gegenteil, er macht sich dadurch viel cooler. Ich, als 31-jährige Nura würde denken: Respekt, guter Move, dass du dich entschuldigst. Und für die Kids könnte er damit auch ein Vorbild sein: „Ey, guck mal, Farid entschuldigt sich, wenn er was falsch gemacht hat. Dann entschuldigen wir uns vielleicht auch, wenn wir einen Fehler gemacht haben“ – eigentlich doch ganz einfach, oder?
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