Das Staatsoberhaupt von Tuvalu ist verstorben, und das ist seit mehr als einer Woche Hauptthema der Medien in Deutschland, ungefähr 15.000 Kilometer von Tuvalu entfernt. Das hängt sicher nicht mit Tuvalu zusammen, einem akut vom Klimawandel bedrohten Inselstaat im Südpazifik, sondern mit der Verwandtschaft des betreffenden Staatsoberhaupts mit dem letzten deutschen Kaiser. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Verstorbene mit einem deutschen Mann verheiratet war, ihrem rassistischen und sexistischen Cousin zweiten (über den König von Dänemark) und dritten Grades (über Queen Victoria). Schützend hielt sie ihre Hand über ihren Sohn, dem wiederholt Sexualstraftaten an Minderjährigen vorgeworfen wurden. Sie spendierte ihm zwei Millionen
Trauer um Queen Elizabeth II: Im Wannenbad der Gefühle
Monarchie Ukraine-Krieg, Corona, Klimakrise? Der Abschied von Elisabeth II. überstrahlt alles andere, der Eskapismus kennt keine Grenzen. Warum ist das so?
Jakob Hein
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Als gäbe es sonst nichts auf der Welt: Das Begräbnis der Queen ist in den Medien omnipräsent
Collage: der Freitag; material: gemenacom/istock, Getty Images
28;hrigen vorgeworfen wurden. Sie spendierte ihm zwei Millionen für die außergerichtliche Einigung mit einer der Frauen, die man nun weiterhin ein angebliches Opfer nennen muss.Staatsoberhaupt von Tuvalu war sie, weil sie den Staat im 26. Jahr ihrer Regentschaft in die staatliche Unabhängigkeit entließ, nachdem ein anderes Land, dessen Oberhaupt sie auch war, die Inseln seit 1915 besetzt hatte, vor allem, um dort ungestört Wale und Menschen fangen zu können. Während ihrer Amtsführung entzogen sich 17 Länder ihrer Herrschaft, in diesem Sinne war sie vielleicht eine der erfolglosesten Monarchinnen der Geschichte.Nun könnte man berechtigt anmerken, dass doch diese bekannten Probleme des ehemaligen Staatsoberhaupts von Tuvalu und des Systems, das sie repräsentierte, nicht ausgerechnet im Zusammenhang mit ihrem Tod besprochen werden müssten. Das wäre eine berechtigte Kritik, wenn derzeit nicht das genaue Gegenteil geschehen würde. Unzählige Zeitungen, praktisch alle privaten Medien und auch alle staatlichen Medien haben in den letzten zwei Wochen ihre Kapazitäten für Journalismus und Verbreitung von Nachrichten dafür genutzt, kritiklos über ihren Tod und jedes noch so kleine Detail im Zusammenhang mit ihrer Beerdigung zu berichten.Vier öffentlich-rechtliche Sender berichten liveWährend ein Krieg in der Ukraine die Nachkriegsweltordnung bedroht, während am Horn von Afrika (wo sie bis 1960 ebenfalls teilweise Regentin war) Millionen Menschen hungern und die Welt wortwörtlich brennt, sendet die ARD zwei Brennpunkte, in denen wiederholt und von verschiedensten Seiten bestätigt wird, dass die Königin tatsächlich immer noch tot ist. Teilweise berichten vier Sender des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens live von diesem politisch vollkommen unwichtigen Zeremoniell. Die gesamte Heerschar problematischer Mitglieder des Hofstaates wird mitleidsvoll gezeigt, der in Indien geraubte größte Diamant der Welt als Zeichen königlicher Pracht präsentiert.Gleichzeitig findet in vielen Ländern der westlichen Welt seit Jahren eine Diskussion über die in aller Welt durch Kriege und Kolonialismus zusammengeraubten Kunstwerke und Nationalschätze anderer Länder statt. Es scheint undenkbar, dass Ägypten den Sarg von Elizabeth II. raubt und im Kairoer Nationalmuseum ausstellt, auch wenn das eine gewisse ausgleichende Gerechtigkeit hätte.Man könnte entgegnen, so sei es nun mal, wenn bedeutende Persönlichkeiten stürben, die gerade auch für Deutschland eine wichtige Rolle gespielt hätten. In diesem Zusammenhang wurde mehrfach erwähnt, dass die Queen nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus für eine Aussöhnung mit Deutschland eingetreten sei. Dabei geht es natürlich nur um Westdeutschland, nach Ostdeutschland reiste die Regentin aus dem 1917 schamhaft in Windsor umbenannten Haus Sachsen-Coburg und Gotha erst 1992. Die deutsche Herkunft ihres Königshauses wird ihr das Werben um eine Versöhnung mit Deutschland erleichtert haben. Allerdings war ihr Eintreten für eine Aussöhnung mit den Westdeutschen mit Sicherheit historisch völlig unbedeutend im Vergleich zu den Entscheidungen der tatsächlichen Regierungen der Länder, die Deutschland besiegt hatten.Für Michail Gorbatschow gab es keinen BrennpunktViel stärker muss der These einer verständlichen Ehrung für eine um Deutschland verdiente Persönlichkeit jedoch widersprochen werden, weil Michail Gorbatschow nur neun Tage vor ihr starb und ohne jeden Zweifel feststeht, dass er einen nahezu heldenhaften Beitrag zur friedlichen Einigung Europas und zur Vereinigung Deutschlands geleistet hat. Doch anlässlich seines Todes gab es keinen einzigen ARD-Brennpunkt, schulterzuckend wurde der Tod des Mannes hingenommen, schließlich war er ja schon 91 Jahre alt. Doch der Tod der fünf Jahre älteren Verteidigerin des Glaubens soll nun allgemein Schock und Entsetzen ausgelöst haben? Bei Gorbatschows Beerdigung war nur der protokollarische Vertreter des deutschen Botschafters in Moskau anwesend, zur Beisetzung der Königin von Grenada wird natürlich der Bundespräsident Persönlich anreisen.Als Wilhelm II. am 9. November 1918 von seiner eigenen Abdankung erfuhr und sich nach Belgien absetzte, endete die Monarchie in Deutschland, die zum Schluss nur noch wenig Unterstützung hatte. Einige Bürgerliche, die sich an den Bahnhöfen des schwindenden Kaisers einfanden, erhob er noch rasch in den Adelsstand. Dieser sogenannte „Bahnhofsadel“ genießt in adligen Kreisen einen besonders schlechten Ruf. Besonders Angehörige des Ur- oder Briefadels schauen voller Verachtung auf diese Fahrer, die noch rasch auf das Trittbrett des auseinanderfallenden Zuges sprangen. Andererseits gibt es seit dem 11. August 1919 offiziell keinen Adel mehr in Deutschland. Die Titel dürfen als Namen weiter geführt werden, es können aber keine neuen Adligen ernannt werden, weil die Instanz dazu vor mehr als 100 Jahren in Deutschland abgeschafft wurde.Doch im Gegensatz zu Österreich, wo immer recht unverhohlen der Krone nachgetrauert wurde, gab es in Deutschland nie eine besonders royalistische Bewegung. Das mag aber auch daran liegen, dass in Österreich die Kaiserzeit mit großem internationalen Einfluss auf das Weltgeschehen und einer riesigen territorialen Ausdehnung verbunden war. Das deutsche Kaiserreich blickte zwischen seiner Geburt aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 und seinem Ende nach dem Ersten Weltkrieg auf eine weit weniger ruhmreiche Geschichte, die gerade für das regierte Volk mit zahllosen Krisen und Entbehrungen verbunden war.Eskapismus in Zeiten von Corona, Krieg und KlimakriseWenn also die meisten Menschen wissen, dass Elizabeth nicht die Königin von Deutschland war, und es auch kein Royalismus ist, der dahintersteht, was ist es dann, was die Berichterstattung über den Tod der alten Dame so ausufern lässt? Vermutlich gibt es leider keine bessere Erklärung als Eskapismus. Nach Corona, Krieg und Klimakrise ist der Tod der Queen in diesen Tagen eine nahezu erholsame Nachricht. Man kann so ein bisschen vor sich hin trauern, auch wenn es natürlich tröstlich ist, dass die Verstorbene als reichste Frau der Welt in einem weit überdurchschnittlichen Alter von dannen ging. Und man kann ein bisschen schwelgen in den Zeiten, die nie so schön und gut und behaglich waren, wie sie uns in diesen Erinnerungen erscheinen.Im Gegensatz zu den anderen – ich würde ja behaupten: richtigen – Nachrichten unserer Tage hat der Tod des kanadischen Staatsoberhaupts auch keinerlei Eskalationspotenzial. In der Ukraine stehen Atomkraftwerke, die größer sind als Tschernobyl, das Mutationspotenzial von Corona wird demnächst durch das Oktoberfest maximal ausgetestet, und die Klimakrise ist keinesfalls unter Kontrolle. Aber Elizabeth wird tot in ihrem Sarg bleiben, die Menschen werden um diesen herumlaufen, und das resultierende Zeremoniell steht in teilweise jahrhundertealten Vorschriften, die penibel eingehalten werden.Publizistisch ist das Ganze ein Traum. Schon Tage vorher kann geplant werden, wo die Kameras aufzustellen sind. Journalistische Ausgewogenheit ist nicht erwünscht, tagelang sollen nur die immergleichen guten Sachen gesagt werden. Gefahrlos kann auch das Publikum befragt werden. Wer morgens um fünf Uhr aufsteht, um 400 Kilometer zu fahren, um dann ein Auto mit dem Sarg der Königin drei Sekunden an sich vorbeifahren zu sehen, wird wohl keine übermäßig kritischen Positionen gegenüber der Verstorbenen oder dem englischen Königshaus vertreten.Früher war die Königin böseDafür werden der traditionelle Kolonialismus, Rassismus und Sexismus des englischen Königshauses gnädig ausgeblendet, dafür ist es einfach zu schön, in Nostalgie und Selbstmitleid zu baden. Selbst dass die englische Hymne nun gegendert wird, stört die Traditionalisten nicht. Nachdem die Fifa auch den Fußball endgültig zerstört hat, ist die royale Seifenoper der letzte verbindende Kitsch der westlichen Welt. Das ist auch daran zu erkennen, dass bei der letzten erfolgreichen Episode („Der Tod von Diana Spencer“) die Rollen noch anders verteilt waren. Damals war die Königin noch die böse Frau, die einerseits die Ehe zwischen Diana und Charles auseinandergebracht und andererseits lange keine Trauer über ihren Tod gezeigt hatte, während der heutige König von Nordirland ohnehin der ehebrechende Bösewicht war, der Englands Rose in den Tod getrieben hatte. 25 Jahre später ist das vergessen, erstickt unter einem Zuckerguss falscher Beileidsbekundungen.Ein Bad ist schön und kann beruhigend wirken. Doch ich hoffe sehr, dass wir uns sehr bald wieder aus dieser warmen Badewanne von wohliger Nostalgie mit einem belebenden Spritzer Selbstmitleid erheben, uns ohne die Hilfe unserer Hausdiener abtrocknen und endlich wieder in die Welt da draußen treten werden, mit deren Herausforderungen wir uns dringend wieder beschäftigen sollten. Wannenbäder sind in Zeiten von Energiekrisen nämlich leider obsolet.Placeholder authorbio-1