Chinas neuer Herrscher auf Lebenszeit

Auf zum Autoritarismus Mit der Verfassungsänderung vom Sonntag reiht sich Xi Jinping in eine Reihe mächtiger autoritärer Männer ein, die weltweit das Rad der Zeit zurückdrehen wollen.

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In einer historischen Verfassungsänderung brachte der Nationale Volkskongress in China gestern eine Beschränkung zu Fall, die die chinesische Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten und damit auf zehn Jahre deckelte. Präsident Xi Jinping – der maximal bis 2023 im Amt hätte bleiben können – kann nun auf Lebenszeit das bevölkerungsreichste Land der Welt regieren.

Bereits am Sonntag vor zwei Wochen ebnete die Kommunistische Partei intern den Weg zur Abschaffung dieser Verfassungsklausel, die zentral in einem System gewisser Checks and Balances war, welches 1982 von Staatsführer Deng Xiaoping mit der Absicht eingeführt wurde, einen derart exzessiven Personenkult wie um Staatsgründer Mao Zedong zu verhindern.

Xi, der Machtmensch

Über die Jahrzehnte hinweg arbeitete sich Xi zielstrebig durch die Hierarchien bis an die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh). 2007 wurde er in den Ständigen Ausschuss des Politbüros der KPCh gewählt, 2008 zum Vizepräsidenten Chinas, 2012 zum Generalsekretär der KPCh und im März 2013 schließlich zum Präsidenten der Volksrepublik.

Xi galt bereits vor Sonntag als mächtigster Staatschef seit Mao und „hat sich die persönliche Kontrolle über alles einverleibt, von Politik, Wirtschaft, nationale Sicherheit und auswärtige Angelegenheiten bis hin zu Fragen des Internets, der Umwelt und maritimen Streitigkeiten.“ Die zwei weiteren Machtpositionen, die er trägt – Vorsitzender der Zentralen Militärkommission, Generalsekretär der KPCh – waren bereits ohne zeitliche Limits.

Im größten Parlament der Welt – größer übrigens nur als das deutsche – stimmten am Sonntag von 2.964 Abgeordneten nur zwei gegen die Verfassungsänderung, drei enthielten sich: zwei von knapp dreitausend Abgeordnete also, die sich für die Demokratiebewegung Chinas und gegen die weitere Machtkonzentration in den Händen eines einzelnen Mannes starkmachten.

„Mehr als 2.000 Abgeordnete benahmen sich wie Marionetten und führten uns in die Mao-Ära zurück“, empört sich Li Datong, ein pensionierter Journalist, der zum Gesicht der Opposition gegen Xis Griff nach der Macht wurde. „Was ist mit einem Referendum? Wagen sie ein Referendum? Natürlich nicht.“ Die Verfassungsänderung „könnte China und das chinesische Volk zerstören. Also kann ich nicht schweigen.“

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Von 2.964 Abgeordneten des chinesischen Volkskongresses stimmten nur zwei gegen den Antrag auf Verfassungsänderung vom Sonntag.

Xi, der Macher

Neben seinen in der Bevölkerung mehrheitlich positiv gesehenen Bestrebungen, China zur globalen Supermacht zu transformieren, bezieht Xi seine Legitimität vor allem aus seinen ambitionierten Wirtschaftsprogrammen. Insbesondere das Infrastrukturprojekt der Neuen Seidenstraße ist untrennbar mit Xis Namen verknüpft. In dem 60 Länder umfassenden Mammutprojekt wird China in den kommenden Jahrzehnten seine ökonomische Übermacht in Ostasien zementieren und über den gesamten Kontinent weit nach Europa und Afrika hineinprojizieren. Bloomberg spricht zu Recht vom „größten Infrastrukturprojekt, das die Welt je gesehen hat“.

Andererseits konnte Xi mit seiner breitangelegten Anti-Korruptionskampagne punkten, in deren Zuge knapp 1,4 Millionen Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas – mit rund 90 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Partei der Welt – seit 2013 juristisch verfolgt wurden; neben Säuberungen vor allem auf der kommunalen Ebene waren auch Dutzende hochrangige Parteifunktionäre sowie über Einhundert Generäle darunter. Was durchaus als ambitioniertes Programm zur Bekämpfung der epidemischen Bestechungskultur betrachtet werden kann, sehen andere hingegen als Mittel des Präsidenten, um potentielle Konkurrenten innerhalb der Partei auszustechen.

Xi, der Menschenrechtsverletzer

Von der nackten Quantität her ist Xi der größte Menschenrechtsverletzer des Planeten.

Nach Zahlen von Amnesty International tötet China jedes Jahr Tausende Menschen per Todesstrafe – ein Vielfaches der Zahl aller anderen Länder der Welt zusammenaddiert.

Reporter Ohne Grenzen bezeichnet Präsident Xi als „führenden Zensor und Jäger der Pressefreiheit auf dem Planeten“, sein Ziel sei die „vollständige Hegemonie über die Medienberichterstattung“, und setzt China daher auf Platz 176 des 2017 World Press Freedom Index – gefolgt nur von Syrien, Turkmenistan, Eritrea und Nordkorea.

Auch im Vorfeld der Verfassungsänderung am Sonntag ging der Staat konsequent gegen jegliche Form des Protests vor.

Unter Xi verschärfte sich der Tibet-Konflikt sowie die Repression gegen ethnische Minderheiten, etwa gegen Uiguren und Kasachen. Hinzu kommen Polizeiwillkür, Scheinprozesse und oft unmenschliche Haftbedingungen bis hin zu Folter gegen Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Sowohl die chinesische Menschenrechtsorganisation Civil Rights and Livelihood Watch als auch Human Rights Watch sprechen von der „schlimmsten Menschenrechtslage seit dem Tian’anmen-Massaker 1989“.

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Unter Xi Jinping befindet sich China in der „schlimmsten Menschenrechtslage seit dem Tian’anmen-Massaker 1989“.

Xi, der Philosoph

In der historischen Kongressabstimmung vom Sonntag wurde noch ein weiterer bedeutender Punkt beschlossen: Xi Jinpings persönlich ausgearbeitete Staatsphilosophie über das sozialistische China wurde offiziell in die Verfassung übernommen. Neben der Glorifizierung kommunistischer Ideologie stellt der so genannte „Xi Jinping Thought“ einerseits die Entwicklung und prosperierende Lebensgrundlage der Bevölkerung ins Zentrum, und ist andererseits ein Plan zur massiven Machtkonzentration auf drei Ebenen: im Staat, der Partei und der Person Xi Jinping. Die Grenzen zwischen den dreien werden aufgelöst.

China in den letzten Jahrzehnten bereits zur wirtschaftlichen Supermacht aufstieg, ist der „Xi Jinping Thought“ eine Doktrin, nach der sich China nun auch politisch und vor allem militärisch zum globalen Machtzentrum entwickeln soll.

Der persönlichen Philosophie eines Präsidenten Verfassungsrang zu verleihen, mag westlichen Beobachtern befremdlich erscheinen, hat im post-WWII-China hingegen eine gewisse Tradition. Einzig Staatsgründer Mao Zedong schrieb jedoch zu Lebzeiten mit Namensattribut seinen „Mao Thought“ in der Verfassung nieder, was im Zuge von Xi Jinpings jüngster Machtkonsolidierung gewiss keine zufällige historische Parallele ist.

Mit der Verfassungsänderung vom Sonntag rückt Xi Jinping weiter an eine Gruppe von mächtigen Führern heran, die ihre Länder einem globalen Trend folgend mehr und mehr autoritär regieren, im In- wie Ausland zunehmend auf Gewalt setzen und dabei mehr oder weniger ausgeprägt faschistische Tendenzen aufweisen: von Duterte auf den Philippinen, Modi in Indien und Kim Jong-un in Nordkorea, über Assad in Syrien, Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien, Erdoğan in der Türkei und General al-Sisi in Ägypten, bis hin zu Netanyahu in Israel, Putin in Russland und Trump in den USA macht sich eine neue Generation reaktionärer Männer daran, das Rad der Zeit zurückzudrehen.

China entwickelt sich im Eiltempo von der Ein-Parteien-Diktatur zur Ein-Mann-Diktatur.

Dieser Artikel erschien zuerst hier auf JusticeNow!.

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Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

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