Das Achte Emirat Südjemen

Krieg im Jemen Die Emirate wollen zur globalen Energiesupermacht aufsteigen und nutzen dafür den Krieg zur Errichtung eines Vasallenstaats am strategisch so wichtigen Golf von Aden.

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#4 eines mehrteiligen Jemen-Specials auf JusticeNow!.

Die Nachricht vom Ende Januar, Separatisten im Südjemen hätten vom Militär die Hafenstadt Aden eingenommen, markierte die jüngste der dramatischen Entwicklungen des brutalen Jemen-Krieges, in dem seit Beginn der Bombardements der Houthi-Rebellen durch eine von Saudi-Arabien geführte Koalition im März 2015 weit über 10.000 Menschen getötet wurden und den die UN zu Recht als „die größte humanitäre Katastrophe der Welt“ bezeichnet.

Während sechs Staaten der Saudi-Koalition – Ägypten, Bahrain, Jordanien, Kuwait, Marokko, Sudan – hörige Befehlsempfänger der Saudis sind, schert eine Partei zunehmend aus und verfolgt eine ganz eigene Agenda: die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).

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Zeitleiste des Jemen-Kriegs.

Von Söldnern und Foltergefängnissen

Während die Saudis bei der Entsendung von Bodentruppen in den Jemen eher zögerlich sind, haben die Emirate seit geraumer Zeit im großen Stile Truppen vor Ort. So kam den Emiraten bei der Rückeroberung der Hafenstadt Aden von den Houthis im Juli 2015 eine zentrale Bedeutung zu, seit gut zwei Jahren spielen sie die Führungsrolle im Kampf gegen Al-Qaida im Südjemen und verantworten zusätzlich die Ausbildung Zehntausender jemenitischer Truppen im Süden und Osten des Landes. Darüber hinaus importierten die VAE Hunderte bestens ausgebildeter Söldner aus Südamerika, um im Jemen für sie zu kämpfen – über ein Programm, das vom Kopf der verrufenen US-Söldnerfirma Blackwater, Erik Prince, ins Leben gerufen wurde.

Die VAE betreiben im Südjemen außerdem ein Netzwerk aus Dutzenden Foltergefängnissen, in denen Tausende Terrorverdächtige „verschwinden“ und dort in Arbeitsteilung von den „VAE gefoltert und von den USA verhört“ werden, wie die Associated Press in einem herausragenden Bericht jüngst aufdeckte.

Die Emirate haben im Südjemen regelrecht eine parallele Sicherheitsstruktur etabliert, deren Truppen weder Hadi oder Saleh noch den Saudis unterstellt sind, sondern einzig und allein gegenüber Abu Dhabi Rechenschaft ablegen.

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Die VAE haben im Südjemen eine parallele Sicherheitsstruktur etabliert, von Foltergefängnissen, südamerikanischen Söldnern und einer massiven Truppenpräsenz. Hier VAE-Soldaten bei einer Militärübung in der kalifornischen Wüste.

Abu Dhabi und das schwarze Gold

Die vielschichtige Jemen-Präsenz der VAE sollte aus einer Metaperspektive betrachtet werden. Die Emirate verfolgen über die Kontrolle strategisch wichtiger Knotenpunkte auf energierelevanten Handelsrouten den Aufbau überregionaler Strukturen im Nahen Osten und darüber hinaus, um so ihren Handel mit fossilen Rohstoffen nach Europa und Nordamerika zu konsolidieren und weiter auszubauen.

Hierzu drängt sich Abu Dhabi im Eiltempo in die Energie- und Sicherheitsinfrastruktur der Region hinein; von Eritrea und Somaliland bis nach Zypern und Libyens Bengasi. Im Jemen manifestieren sich diese Ambitionen an drei Fronten.

Erstens bei der Rückeroberung der Perim-Inseln von den Houthis, einem Nadelöhr am südlichen Ende des Roten Meers.

Zweitens bei der strategisch wichtig im Golf von Aden liegenden Insel Sokotra, die die VAE mehr und mehr in ihre ureigene Tourismus- und Militärkolonie verwandeln.

Und drittens bei den erfolgreichen Bemühungen der Emirate, die Kontrolle über ein Netz strategisch wichtiger Häfen im Jemen zu erlangen: einzig der größte Industriehafen des Landes in Hodeïda steht noch nicht unter der Kontrolle der Emirate. Doch auch Hodeïda wird seit Dezember von den Kampfjets der VAE heftig umkämpft. Eine Rückeroberung von den Houthis scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

Die Truppen der Emirate werden jedoch in erster Linie als Besatzer angesehen, auch der jemenitische Exilpräsident Hadi erhob den Vorwurf, die VAE verhielten sich „eher wie eine Besatzungsmacht denn wie Kräfte der Befreiung“.

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Die Vereinigten Arabischen Emirate haben am strategisch so wichtigen Golf von Aden sowie an der Bab al-Mandab-Meerenge die Kontrolle über ein dichtes Netz an Häfen erlangt bzw. gänzlich neue errichtet.

Das „Achte Emirat Südjemen“?

Bereits seit Beginn des Krieges wird der Ruf nach einer Teilung in Nord- und Südjemen wieder lauter. Doch alle wesentlichen Konfliktparteien hielten zumindest offiziell stets an der territorialen Unversehrtheit des Jemen fest; sowohl die Houthis als auch die Saudi-Koalition und ihr Verbündeter, Jemens gestürzter Präsident Hadi.

Doch seit gut einem Jahr gewinnen die sezessionistischen Kräfte im Inland mehr und mehr an Einfluss und erhalten dabei tatkräftige Unterstützung aus dem Ausland: von den Vereinigten Arabischen Emiraten, die auch auf diesem Gebiet aus der Linie der Saudi-Koalition ausscheren, was mittlerweile als offener Bruch mit den Herren in Riad betrachtet werden sollte.

Die VAE verfolgen ambitioniert das Projekt eines geteilten Jemen, und damit das Zurück in die Zeit vor 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung. Abu Dhabi kollaboriert zu diesem Zweck halboffiziell mit südjemenitischen Provinzeliten und bestärkt diese in ihrer separatistischen Agenda unter Regie der VAE, mit dem Ziel der Loslösung des Südens vom Norden – und damit zur offenen Meuterei gegen die Saudis und die Exilregierung Hadi.

Dieser Bruch der VAE zu den Saudis und ihrem Protegé Hadi zeigte sich Ende August 2017 in seiner ganzen Absurdität, als dem international anerkannten Präsidenten von den Emiraten die Einreise nach Aden verweigert wurde, Hadis Heimatstadt – ein denkwürdiges Symbol für die Kräfteverhältnisse im Land.

Nach Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur und die Bewaffnung separatistischer Milizen im Südjemen holen die VAE nun die sezessionistische Ernte ein. Den Emiraten schwebt mittelfristig eine Vasallenprovinz vor – eine Art „Achtes Emirat Südjemen“ – welche mit ihrer strategisch wichtigen Geographie und der Bereitstellung von Energieinfrastruktur den Aufstieg der VAE zur globalen Energiesupermacht ermöglichen soll.

Der Fall von Aden

Und das zentrale Tool Abu Dhabis zur Erreichung dieses Ziels sind die Separatisten des Southern Transitional Council (STC), der sich im Mai 2017 gründete und die Abspaltung des Südjemen vom Norden verfolgt. Im STC sind fünf Gouverneure südjemenitischer Provinzen, mehrere Stammesführern sowie prominente Köpfen der Separatistenbewegung organisiert.

Nachdem Exil-Präsident Hadi ein 7-tägiges Ultimatum des STC zur Absetzung des Premierministers Ahmed bin Daghr, dem der Rat „zügellose Korruption“ vorwarf, verstreichen ließ, entflammten Ende Januar in Aden heftige Kämpfe, bei denen nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes Dutzende Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt wurden. Die Truppen des STC übernahmen schließlich die Kontrolle über Aden – der de facto Hauptstadt des Landes, die eigentliche Hauptstadt Sana’a ist weiter in den Händen der Houthi-Rebellen.

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Aden war die Hauptstadt der Republik Südjemen. 2015 wurde die Stadt für kurze Zeit von den Houthis eingenommen, vom Militär zurückerobert und vor Kurzem schließlich von VAE-unterstützten Separatisten eingenommen. Luftaufnahme des Aden Port mit dem erloschenen Vulkan auf der Halbinsel links.

Das Kabinett des Hadi-treuen Premiers Ahmed bin Daghr und dessen Truppen wurden auf das Gelände des Präsidentenpalastes zurückgedrängt, der von der STC umstellt ist. Fahnen des ehemaligen Südjemen wurden am Eingangstor gehisst, Premier Daghr spricht von einem „Coup“. Auch die Vierte Brigade, Hadis Präsidentengarde, wurde von der STC übernommen. Ein hochrangiger STC-Funktionär verkündete, der „Aufstand“ würde so lange weitergehen, bis die Hadi-Regierung „gestürzt“ sei.

Die STC wird auf allen Ebenen von den VAE unterstützt, allen voran durch Waffenlieferungen, finanziellen Support, Geheimdienstinformationen und Militärberater vor Ort. Der ehemalige Gouverneur von Aden und heutige Führer der STC, Aidarus al-Zoubaidi, wurde von Präsident Hadi aus dem Gouverneursamt gefeuert, nachdem bekannt wurde, dass er seit Jahren in der Gunst der VAE steht.

Die strategisch-militärische Komponente dieser Kollaboration offenbarte sich insbesondere bei der Eroberung der Militärbasis von Hadis Vierter Brigade: Erst nachdem Kampfjets der Emirate die Basis bombardierten und so die Hadi-treuen Truppen schwächten, konnte sie von den Bodentruppen der STC mit Hilfe von VAE-gelieferten Panzern überrannt und eingenommen werden. Die Emirate fungieren als die Luftwaffe der Separatisten.

Das falsche Spiel der Emirate

Die jüngsten Ereignisse im Südjemen illustrieren einmal mehr, dass die VAE und Saudi-Arabien de facto auf verfeindeten Seiten dieses unübersichtlichen, vielschichtigen Krieges stehen. Während die Saudis weiterhin auf Hadi setzen, ruft der Sicherheitschef der Emirate offen zu Hadis Sturz auf. Und während Riad zaghaft einen Ausweg aus dem jemenitischen Chaos sucht, setzt Abu Dhabi alles daran, diese Lücke zu füllen.

Bereits im vergangenen August belegten an Middle East Eye geleakte E-Mails zweier ehemaliger hochrangiger US-Beamte, dass sich der saudi-arabische Kronprinz – und eigentliche Machthaber des Landes – Mohammed bin Salman gerne aus dem kostspieligen Krieg im Jemen zurückziehen will. Riad hat scheinbar eingesehen, dass der Krieg gegen die Houthis nicht zu gewinnen ist und auch die Wiedereinsetzung und Machtkonsolidierung des Präsidenten Hadi nicht zu erreichende Ziele sind. Der Fokus der Saudis verschiebt sich daher mehr und mehr auf das begrenzte Ziel der Sicherung der saudischen Südgrenze gegen die Houthis.

Abu Dhabi wiederum schert sich nicht um den Konflikt mit den Houthis. Der Kampf gegen die Rebellen war von Anfang an nur der Vorwand, um militärisch einen Fuß in den Südjemen zu bekommen. Nicht das Kernland im Norden, sondern die Kontrolle über die rund 2.000 Kilometer jemenitischer Küste im Süden des Landes sind für die VAE von Interesse. Denn allen voran die Häfen entlang dieses Küstenstreifens sind ein zentraler Pfeiler von Abu Dhabis Plänen zum Aufstieg zur Energiesupermacht.

Anstatt die prinzipiell vollkommen legitime Mitnutzung der jemenitischen Häfen sowie Investitionen in die weitere Energieinfrastruktur des Landes auf Augenhöhe zu verhandeln, wählt Abu Dhabi die militärische Eskalation und strebt die Errichtung eines Vasallanstaats an: Das Achte Emirat Südjemen.

Dies ist der vierte Artikel eines mehrteiligen Jemen-Specials im März auf JusticeNow!.

Der Text basiert auf einem Artikel, den ich zunächst auf englisch und französisch auf Middle East Eye veröffentlicht hatte und den ich für mein Jemen-Special aktualisiert und erweitert habe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

Jakob Reimann

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