Die Houthi-Iran-Connection

Krieg im Jemen Die Verbindungen Teherans zu den Houthi-Rebellen werden von den Saudis massiv übertrieben. Ein regionaler Krieg wird so zum globalen Kampf gegen den „Schurkenstaat“ Iran.

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#3 eines mehrteiligen Jemen-Specials auf JusticeNow!.

Der 2. Teil des Jemen-Specials erarbeitete die zwei wesentlichen Ziele Saudi-Arabiens in der Bombardierung der Houthi-Rebellen im Jemen: Die Sicherung der Grenzen der drei riesigen 1934 annektierten jemenitischen Provinzen, sowie die Wiedererlangung der über Jahrzehnte etablierten Einflussnahme Riads auf die jemenitische Politik.

Doch gewiss taugen derartige Interessen nicht zur weltöffentlichen Rechtfertigung eines erbarmungslosen Bombenkrieges, in dem weit über 10.000 Menschen getötet und 3 Millionen vertrieben wurden. Daher malt Riad das Bild der Houthis als hörige Marionetten Teherans, der Kampf gegen sie wird so zum Kampf gegen einen feindseligen Iran. Und westliche Politiker wie Medien übernehmen dieses Narrativ größtenteils, ohne es zu hinterfragen oder gar zu überprüfen. Ist der „Schurkenstaat“ Iran das eigentliche Ziel, so ist das bittere Elend der jemenitischen Bevölkerung offensichtlich akzeptabler – Collateral Damage.

Die „Islamisierung“ des Krieges

Wie schon bei Al-Qaida oder ISIS als Taktik bewährt inkorporiert auch Riad eine religiöse Komponente in ihre Soft-Power-Strategie des Krieges: mit Nachdruck wird versucht, den machtpolitischen Konflikt lokaler Natur in die Sphäre eines Kampfs der islamischen Konfessionen zu ziehen, zwischen Sunniten und Schiiten. Durch die systematische Bombardierung schiitischer Gotteshäuser – eine perfide Taktik, die die Saudis bereits bei der Niederschlagung des Arabischen Frühlings 2011 in Bahrain anwandten – werden entlang der Sunni-Schia-Linien religiöse Feindseligkeiten provoziert und konfessionelle Identitäten strapaziert, die als solche in der Vergangenheit im Jemen kaum eine Rolle spielten.

Auch im Inneren Saudi-Arabiens wird diese Taktik angewandt, was sich in der brutalen Unterdrückung der schiitischen Minderheit äußert, die von saudischen Sicherheitskräften mitunter als Freiwild angesehen werden. Willkürliche Festnahmen, Folter bis hin zu öffentlichen Enthauptungen schiitischer Geistlicher stehen auf der Tagesordnung.

Im Jemen-Kontext wird diese Strategie der sektiererischen Aufheizung geschickt mit Macht- und Geopolitik verknüpft. Der Iran als Kernland der Schiiten wird bezichtigt, als Drahtzieher hinter den schiitischen Houthis zu stehen, die von den Saudis und ihren Verbündeten als Werkzeuge Teherans dargestellt werden, um einen Fuß auf die Arabische Halbinsel zu bekommen. An Paranoia grenzend wird von Saudi-Arabien das Schreckgespenst eines „vom Iran dominierten Jemen“ bemüht, der saudische Angriffskrieg gegen die Houthis wird so zur Selbstverteidigung gegen den Erzfeind Iran umgemünzt.

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Teherans Support wird übertrieben dargestellt

Sowohl die Houthis als auch der Iran weisen jegliche Zusammenarbeit kategorisch von sich. Ohne jeden Zweifel gab es vor dem Krieg jedoch gewisse Verbindungen, die auch weiterhin bestehen. Etwa in Form begrenzter finanzieller Zuwendungen oder indirekter Kooperation bei militärischer Ausbildung – in Gestalt der vom Iran unterstützten libanesischen Hisbollah, die seit 2011 gelegentlich Ausbilder zu Übungen in den Jemen schickt.

Diese Unterstützung wird in aller Regel jedoch übertrieben dargestellt. Sie verblasst gegenüber jener Unterstützung, die Teheran anderen Gruppierungen in der Region zukommen lässt.

Wenig haltbar ist etwa der Vorwurf der direkten militärischen Kontrolle der Houthis durch den Iran. So wollte Teheran im Sommer 2014 die Houthis aus strategischen Gründen explizit davon abhalten, die Hauptstadt Sana’a einzunehmen und Hadi zu stürzen, die Houthis widersetzten sich jedoch. Auch lag Teherans Unterstützung in der Vergangenheit vielmehr im Süden des Jemen, nicht bei den Houthis im Norden. So fügten im Juni 2015 vom Iran ausgebildete Truppen im Dhale-Gouvernement den Houthi-Rebellen empfindliche Niederlagen zu. Beide Vorfälle dekonstruieren offensichtlich die These der Houthis als militärische Marionette des Iran.

Insbesondere lässt sich jedoch der Vorwurf, die Houthis wären massiv vom Iran hochgerüstet, kaum aufrechterhalten – wäre dies nicht zuletzt wegen der umfassenden Seeblockade der Saudis, der USA und Ägyptens gegen den Jemen praktisch nicht umsetzbar. Es gibt gelegentliche Berichte über Waffenschmuggel etwa über den neutralen Oman oder über Somalia. Es soll an dieser Stelle keineswegs infrage gestellt werden, dass es diese Waffenlieferungen in einem gewissen Maße gibt, nur soll deren tatsächlicher Umfang relativiert werden, da sich konkrete Fälle vermeintlicher iranischer Lieferungen bei genauer Untersuchung oft nur schwer verifizieren lassen. Ein aktuelles Beispiel.

Kriegseintrittspropaganda made in USA

Im vergangenen Dezember präsentierte Nikki Haley, die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, „konkrete Beweise“ über mutmaßlich vom Iran an die Houthis geliefertes Kriegsmaterial, welches gegen Saudi-Arabien eingesetzt worden sein soll – mit einer riesigen Rakete hinter sich erinnerte Haleys medienwirksam inszenierte Rede, wie schon ihre Bilder von toten syrischen Kindern im April 2017, stark an Colin Powells unsägliche Kriegspropaganda vor dem UN-Sicherheitsrat 2003.

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Auf einer Pressekonferenz in einer Militärbasis in Washington, DC präsentiert Nikki Haley,
US-Botschafterin bei den UN, von Saudi-Arabien gelieferte „konkrete Beweise“
iranischer Waffenlieferungen an die Houthis, 14. Dezember 2017.

Die iranische Regierung wies Haleys Äußerungen als „haltlose Anschuldigungen“ zurück. Auch Russlands UN-Botschafter erklärte nach der Inspektion von Haleys Raketenteilen, diese würden „nichts beweisen“ und die Houthis versicherten, sie hätten die Raketen selbst gebaut. Während tatsächliche Waffenlieferungen in der Tat eine Verletzung der UN-Resolution 2216 aus dem Jahr 2015 darstellen würden, erklärt ein Reporter der New York Times, der elf Jahre als Sprengstoffexperte in der US Navy diente und bei Haleys Vortrag anwesend war, dass Haleys „Beweise“ ihre Anschuldigungen gegen den Iran keineswegs stützen. Die Trump-Regierung könne nicht einmal sagen, von wo die „Beweise“ überhaupt stammten, wann die Waffen eingesetzt wurden, ob die Houthis sie vor oder nach der UN-Resolution 2216 erwarben, auf welchem Weg oder von wem. Auch stellte die Regierung keine eigenen Untersuchungen an, sondern übernahm unhinterfragt die Aussagen Saudi-Arabiens.

Nikki Haley präsentierte der Welt also einen Haufen Schrott, den Saudi-Arabien ohne weitergehende Information an die USA übergab, als „konkreten Beweis“, um gegen den Iran zu mobilisieren. Irans Außenminister Javad Zarif, 2003 UN-Botschafter, erlebte ein Déjà-vu:

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Foreign Policy deckte auf, dass Haleys zentrale Requisite – eine Kurzstreckenrakete ähnlich der iranischen Qiam-1 – nicht nur iranische Bauteile enthielt, sondern auch Komponenten einer US-amerikanischen Rüstungsfirma, was Teherans und Moskaus Behauptung stützt, die Rakete käme nicht zwangsläufig aus iranischer Produktion. Mit denselben „konkreten Beweisen“ hätte Haley demnach auch ihre eigene Regierung der illegalen Waffenlieferungen an die Houthis bezichtigen können.

Ende Februar legte Russland im UN-Sicherheitsrat aufgrund „uneindeutiger Beweise“ ein Veto gegen einen Antrag ein, der den Iran verurteilt hätte. Kurz darauf gaben die Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands unilateral eine Erklärung ab, in der sie den Iran dennoch verurteilten.

Dieses Statement offenbart die Doppelstandards und die offenkundige Heuchelei westlicher Staaten im Jemen-Kontext: Der Iran wird aufgrund einer nicht zweifelsfrei nachgewiesenen Waffenlieferung an die eine Kriegspartei verurteilt, während eben diese vier verurteilenden Staaten zusammengenommen seit dem Jahr 2000 für jeweils 86 Prozent der Waffenimporte der zwei treibenden Kräfte der anderen Kriegspartei – Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate – verantwortlich sind, einer Koalition also, die die UN wegen des systematischen Tötens jemenitischer Kinder auf ihre Schwarzliste der Kinderrechtsverletzer gesetzt hat.

Ein Unrecht kann und darf niemals gegen ein anderes aufgerechnet werden, doch: Wo sind die Regierungserklärungen voller Empörung, wo die Anträge im UN-Sicherheitsrat, die die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland dafür verurteilen, dass ihre Raketen im Jemen auf Schulen, Krankenhäuser, Kraftwerke, Marktplätze, Moscheen, Flüchtlingslager, Lebensmittelfabriken, Stromnetze, Wasserwerke, Wohnviertel, Weltkulturerbe, Brücken, Beerdigungen, Hochzeiten, Häfen, Hotels, Häuserblocks, eine Geflügelfarm, ein Flüchtlingsboot und eine Blindenschule niederregnen?

Woher haben die Houthi-Rebellen ihre Waffen?

In erster Linie sind es zwei Quellen: Erstens aus dem waffenüberschwemmten Land selbst – weltweit haben nur die USA mehr Schusswaffen pro Einwohner. Der Jemen ist derart vollgestopft mit Waffen, dass es schlicht keinen Bedarf an massiver Hochrüstung durch ausländische Player gibt.

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Zweitens stammt das Waffenarsenal der Houthis von übergelaufenen Truppenverbänden des gestürzten Diktators Saleh, mit denen die Houthis 2015 eine Allianz schmiedeten, sowie weiteren meuternden Einheiten – reguläre Waffen des jemenitischen Militärs also, dessen Bestände im großen Stile geplündert wurden. Damit befindet sich auch Kriegsgerät der US-Regierung in Houthi-Hand, da Washington im „War on Terror“ an den vormals eng verbündeten Diktator Saleh allein seit 2006 Waffen im Wert von über 500 Millionen Dollar lieferte. Auch befinden sich Bestände nordkoreanischer und vor allem russischer ballistischer Raketen in den Händen der Houthis – jene aus den 1990ern, als Moskau beide Seiten des jemenitischen Bürgerkriegs im großen Stil belieferte.

Die selbsterfüllende Prophezeiung

Das strategische Interesse Teherans an den weiten Wüsten der Arabischen Halbinsel ist begrenzt. Anstatt eine tatsächliche strategische Allianz mit den Houthis aufzubauen, legt die Einschätzung einer Reihe ehemaliger hochrangiger US-Diplomaten nahe, die auf niedriger Ebene gewiss vorhandene Houthi-Iran-Connection wäre vielmehr eine Folge des Krieges der Saudis als dessen Ursache. „Die Houthis waren nicht im iranischen Lager, bis sie durch Notwendigkeit dort hineingetrieben wurden”, analysiert Chas Freeman, der ehemalige US-Botschafter in Riad. „Als sie von den Saudis bombardiert wurden … brauchten sie von irgendwo her Unterstützung, und die bekamen sie aus Teheran.“ Die Houthi-Iran-Connection „hätte so wahrscheinlich überhaupt nicht existiert“, so Freeman weiter, erst das Bombardement der Saudis hat „ironischerweise die Beziehung gefestigt.“ Der Krieg im Jemen als selbsterfüllende Prophezeiung.

Mit der „Iranisierung“ des Jemen-Krieges spielt Saudi-Arabien ein geschicktes PR-Spiel. Indem der iranische Teufel in Übergröße an die Wand gemalt wird, konnte die westliche Welt überzeugt werden, dass es sich keineswegs um einen lokalen Konflikt handelt, sondern um einen, der mit der indirekten Bekämpfung eines vermeintlich feindseligen Iran gar globale Kreise zieht. Wer würde schon für einen Grenzkonflikt mitten in der arabischen Wüste die faktische Vernichtung eines bettelarmen Landes tolerieren?

Dies ist der dritte Artikel eines mehrteiligenJemen-Specialsim März auf JusticeNow!.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

Jakob Reimann

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