Die Katar-Krise: das Wirrwarr aufdröseln

Naher Osten Nein, die Katar-Krise hat nichts mit "Terrorunterstützung" zu tun. Der Golfstaat ist das Bauernopfer Saudi-Arabiens in den Kriegsvorbereitungen gegen den Erzfeind Iran.

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Eingebetteter MedieninhaltBereits im März 2014 beschuldigte der irakische Ministerpräsident al-Maliki Saudi-Arabien und Katar, den Islamischen Staat zu unterstützen. Mittlerweile ist es wohldokumentiert, dass „unsere“ arabischen Alliierten im „Kampf gegen den Terror“ die Terroristen finanzieren, die wir im Anschluss dann bekämpfen. Es erschien zunächst wie ein makabrer Witz, als vor wenigen Tagen der eine Terrorunterstützer – Saudi-Arabien – mit dem anderen Terrorunterstützer – Katar – einen diplomatischen Faustkampf vom Zaun brach, der Vorwurf: Terrorunterstützung. Ausgerechnet Saudi-Arabien – das Land also, das die renommierte Financial Action Task Force als das Land identifizierte, das die mit Abstand meisten Fälle von Terrorfinanzierung für sich verbuchen konnte (gefolgt übrigens von den NATO-Staaten USA und Türkei).

Bei der gegenwärtigen Katar-Krise geht es natürlich nicht um Terrorunterstützung, es geht – wie letztendlich jede saudische Außenpolitik – um die Bekämpfung des regionalen Erzfeinds der Saudis: den Iran.

Die Blockade Katars – und Donald Trumps unsägliche Rolle

In einer konzertierten Aktion brachen am vergangenen Montag Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain, der Jemen und die Malediven ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar ab. Ihnen schlossen sich die Komoren, Mauretanien und die international nicht anerkannten Regierungen in Libyen und Somaliland an. Tschad, Dschibuti, Jordanien, Senegal und Niger fuhren ihre diplomatischen Beziehungen herunter.

Die Golfstaaten wiesen katarische Staatsbürger aus, Diplomaten müssen innerhalb von 48 Stunden das Land verlassen. Eine Totalblockade wurde verhängt: Saudi-Arabien schloss die einzige Landgrenze der kleinen Halbinsel Katar. Häfen der Region wurde es untersagt, katarische Schiffe anfahren zu lassen. Der saudische Luftraum wurde für Flüge von Qatar Airways gesperrt. In den VAE drohen Fans vom beliebten FC Barcelona beim Tragen von deren Trikots 15 Jahre Gefängnis (Barca wird von Qatar Airways gesponsert). Außerdem wurde Katar aus der Saudi-geführten Allianz zur Bombardierung des Jemens ausgeschlossen – die einzige positive Folge der Katar-Krise.

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Acht Regierungen brachen die diplomatischen Beziehungen zu Katar ab (rot), ebenso die international nicht anerkannten Administrationen in Libyen und Somaliland (rot gestreift). Fünf weitere Staaten haben die Beziehungen heruntergefahren (gelb). Die Beziehungen zwischen Iran und Katar (grün) verstärken sich im Zuge der Krise.

Die Begründung für diese historisch präzedenzlose Blockade ist Katars vermeintliche Unterstützung von Terrorgruppen, „einschließlich der Muslimbrüder, Daesh (ISIS) und Al-Qaida“ sowie iranische Milizen.

Die katarische Regierung wies alle Vorwürfe zurück, sprach von einer „Lügenkampagne“, von „Bevormundung“ und „Verletzung seiner Souveränität“. Auf einer Pressekonferenz mit dem deutschen Außenminister Sigmar Gabriel verurteilte der katarische Außenminister die Blockade seines Landes als „klare Verletzung des humanitären Völkerrechts“, während Gabriel erklärte, er sei „alarmiert über die Eskalation der Lage“. Amnesty International beklagt die „brutalen Auswirkungen“ der Blockade, es käme zu massiven Menschenrechtsverletzungen, „Familien werden auseinandergerissen“.

Während Donald Trump sich im Wahlkampf noch in extremer Hetze gegen Saudi-Arabien erging, war Riad Ende Mai schließlich Ziel seiner ersten Auslandsreise. Trump hielt seine berühmte Rede vor Dutzenden Führern mehrheitlich islamischer Staaten und stimmte diese auf den Kampf gegen den heraufbeschworenen gemeinsamen Feind ein: Iran.

Nebenbei schloss Trump mit Saudi-Arabien den größten Rüstungsdeal in der Geschichte der USA ab – bis zu 380 Milliarden Dollar in der nächsten Dekade.

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Der U-Turn des US-Präsidenten, diese medienwirksame Zurschaustellung der Einigkeit Saudi-Arabiens und der USA – das Internet hielt reichlich Hohn für den Schwerttanz von Trump und König Salman bereit – musste von Riad als Freifahrtschein im Kampf gegen den Iran ausgelegt werden. Es ist stark zu bezweifeln, dass Saudi-Arabien seinen diplomatischen Krieg gegen Katar ohne Trumps vorherige Absolution und die bedingungslose US-Rückendeckung gewagt hätte.

Wie zu erwarten war, hat die Isolierung Katars durch seine arabischen Nachbarn exakt den Effekt, der angeblich bekämpft werden sollte: Katar wird durch die Saudis regelrecht in die Arme Teherans getrieben. Nach der verhängten Land- und Seeblockade bot der Iran prompt an, drei seiner Häfen zur Verfügung zu stellen und die Lebensmittellieferungen sicherzustellen, von denen Katar lebensabhängig ist. Außerdem sollen täglich bis zu 150 katarische Flüge Richtung Europa und Afrika über den Iran umgeleitet werden.

Eine kurzsichtige, eskalative Brechstangen-Politik der Saudis als sich selbsterfüllende Prophezeiung.

Die Beziehungen Irans zu den Golfstaaten

Insbesondere in westlichen Medien wird gerne das Bild kolportiert, die arabischen Golfstaaten (organisiert im Golf-Kooperationsrat, GCC) stünden geeint in Feindschaft gegenüber dem Iran. Diese Einschätzung kratzt kaum mehr als an der Oberfläche und bedient zwar das von Saudi-Arabien gepflegte Narrativ einer mystischen Feindschaft Sunnitentum der arabischen Welt vs. Schiitentum des persischen Irans, die Realität muss jedoch wesentlich differenzierter betrachtet werden. Während Saudi-Arabien – unter sämtlichen Gesichtspunkten das Schwergewicht im GCC – von seinen Bündnispartnern Unterwerfung und bedingungslose Loyalität im Kampf um die regionale Vorherrschaft in Middle East einfordert, wenden sich die GCC-Juniorpartner immer wieder von diesem Diktat ab, und kooperieren teils zaghaft-subtil, teils an offene Meuterei gegen das Haus Saud grenzend mit dem Iran.

Die bilateralen Beziehungen der kleineren Golfstaaten zum Iran gründen sich in erster Linie auf ökonomisch basierten Pragmatismus. Kuwait etwa beschreibt seine Beziehungen mit dem Iran als „exzellent“. Das außenpolitisch tendenziell neutral agierende Sultanat Oman pflegt auf sämtlichen Ebenen enge Verbindungen zum Iran, bis hin zu gemeinsamen Militärübungen. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sprechen von „freundschaftlichen Beziehungen“ zum Iran und Abu Dhabi sieht in Teheran gar einen verlässlichen Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Selbst mit Bahrain, wo ein sunnitisches Königshaus zusammen mit den Saudis eine traditionell Iran-affiliierte schiitische Bevölkerungsmehrheit brutal unterdrückt, gibt es trotz teils heftiger politischer Spannungen umfassende wirtschaftliche Kooperationen.

Diese oft engen Bande der GCC-Juniorpartner zum Iran belegen bilderbuchartig, dass wir es im Nahen Osten weder mit unüberwindbaren ethnischen Konflikten – Perser vs. Araber – zu tun haben, noch mit dem herbeiorakelten Kampf der islamischen Konfessionen Schiiten vs. Sunniten. Das Narrativ der religiös aufgeheizten Feindschaften ist letztendlich nur von zwei Playern integraler Bestandteil der Ideologie: von Saudi-Arabien und dessen Ziehsohn des Islamischen Staats – die Existenzgrundlage beider ist der Hass auf alle Nicht-Sunniten. Mit dem Herüberzerren von machtpolitischen Konflikten ins Reich eines religiösen Mystizismus vergiften beide die Gesellschaften im Nahen Osten.

Doch zurück zu Katar.

Die Katar-Iran-Allianz

Insbesondere die Beziehungen zwischen der sunnitischen Monarchie in Katar und der schiitischen Theokratie im Iran sind stark ausgeprägt. Bei den anderen kleinen Golfmonarchien sieht Saudi-Arabien über die teils engen wirtschaftlichen Beziehungen zu Teheran geflissentlich hinweg, solange die Länder nur auf diplomatischem und politischem Parkett geeint hinter dem saudischen Königshaus stehen und – wenn nötig – die Scharade des Säbelrasselns gegen Teheran mitspielen. So geschehen etwa um den Jahreswechsel 2015/2016, als es zum letzten Mal zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Riad und Teheran kam: Im Vorfeld der sich ankündigenden Aufhebung der internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Teheran wollten die Saudis über vorsätzlich in ein historisches Tief manipulierte Ölpreise die iranische Wirtschaft in die Knie zwingen. Die GCC-Juniorpartner – die von der Niedrigpreispolitik ebenso in Mitleidenschaft gezogen wurden – blieben unterwürfig und spielten zähneknirschend den Machtpoker der Saudis mit (JusticeNow! berichtete ausführlich).

Doch Katar nahm schon lange eine Sonderrolle in diesem relativ resilienten Abhängigkeitsverhältnis zwischen Saudi-Arabien und seinen Lakaienstaaten ein. Um dies zu verstehen, ist ein Blick auf das Erdgas vonnöten.

Etwa seit der Jahrtausendwende investierte Katar massiv in seine Erdgasinfrastruktur und konnte seither seine Produktion vervielfachen. Seit 2006 ist es jedes Jahr der weltweit größte Exporteur für Flüssiggas und hat dort einen globalen Marktanteil von rund einem Drittel, wie die US-Energiebehörde berichtet. Bis zu 90 Prozent des katarischen Erdgases geht nach Asien und Europa, ein Teil auch an seine arabischen Nachbarn VAE und Oman. In der Folge ist Katar zum mit Abstand reichsten Land der Welt aufgestiegen, mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 140.000 Dollar jährlich. Mit seinem ambitionierten Fokus auf das Erdgas setzte sich Katar von seinen in erster Linie erdölfördernden Nachbarn ab, und emanzipierte sich gewissermaßen vom Diktat aus Riad.

„Katar war eine Art Vasallenstaat der Saudis,” erklärt Jim Krane, Energieexperte der Rice University in Houston, Texas, „doch es nutzte seine durch den immensen Gasreichtum geschaffene Autonomie, um eine eigenständige, unabhängige Position zu verfolgen.“

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Katar und der Iran teilen sich das größte Erdgasfeld der Welt, welches zwischen beiden Ländern im Persischen Golf liegt. Allein aus ökonomischem Pragmatismus heraus wäre es demnach grober Unfug, den Konfrontationskurs der Saudis gegen den Iran mitzufahren – stünde für Katar nicht weniger als die Grundlage seines Reichtums auf dem Spiel. So entwickelten sich die exzellenten Wirtschaftsbeziehungen über die Jahre immer mehr zu einer diplomatischen und politischen Allianz. Die dritte Partei dieser Allianz ist ein weiteres Feindbild des Westens und Saudi-Arabiens: Russland.

Russland, Iran und Katar verfügen über die drei größten Erdgasreserven der Welt und sitzen zusammen auf 55 Prozent der globalen Vorkommen (berechnet nach CIA Factbook, 2016). Bereits 2009 kündigten die drei Länder engere Kooperationen auf dem Energiemarkt an und bildeten die „Gas Troika“. Anfang 2017 kaufte sich Katar schließlich in einem Megadeal in die russische Rosneft ein.

Eine gestärkte Achse Russland-Iran-Katar liegt gewiss nicht im Interesse der Energiesupermacht Saudi-Arabien. Die gegenwärtige Blockade Katars sollte auch unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden.

Saudi-Arabien fordert die totale Unterwerfung

Die Allianzen Katars gehen über den saudischen Erzfeind Iran hinaus. In Emanzipation gegenüber Riad unterstützt Katar auch die von den Saudis verhasste palästinensische Hamas im Gazastreifen sowie die nicht weniger verhasste Muslimbruderschaft in Ägypten. Entgegen dem beim reinen Erklingen des Namens in westlichen Köpfen fertiggemalten Stereotypenbild vertreten die Muslimbrüder ein in der arabischen Welt beispielhaftes Demokratieverständnis, ein hohes Maß an Säkularismus und sind in erster Linie eine soziale Bewegung denn eine politische Partei, sie lehnen explizit den Dschihad ab – als gemäßigte Form des politischen Islams also in der Tat eine ideologische Bedrohung für den puristischen, mittelalterlichen, ultrabrutalen und faschistischen Wahhabismus der Saudis.

Katars Unterstützung der Muslimbrüder ist objektiv und wertfrei betrachtet die legitime Außenpolitik eines souveränen Staates, aus Sicht der Saudis jedoch ein nicht hinnehmbarer Akt des Aufbegehrens gegen den selbsternannten Vorherrscher über die islamische Welt – Riad neigt zur Megalomanie. Saudi-Arabien fordert die totale Unterwerfung. Katar hat das Selbstbewusstsein erlangt, gegen dieses Lakaienverhältnis aufzubegehren.

Es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Ausscheren von der saudischen Linie der Grund für den aktuellen Konflikt zwischen dem Saudi-geführten Block und Katar ist. „In den Augen der Saudis ist Katars Verbrechen schlicht und ergreifend sein Ungehorsam,“ meint der Harvard-Gelehrte Rami Khouri. Die von Saudi-Arabien vorgeschobene Konfliktursache der Terrorfinanzierung durch Katar ist eine Beleidigung der Intelligenz einer jeden interessierten Beobachterin.

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Saudi-Arabien war zwischen 2010-2015 mit weitem Abstand das Land, auf das die meisten Einzelfälle von Terrorismusfinanzierung verbucht wurden. Quelle: Financial Action Task Force, 2015.

Softpower – der Krieg um die Köpfe der arabischen Welt

Ein weiterer zentraler Punkt für das Verständnis der Katar-Krise ist der Medienkrieg der Saudis, der Kampf um die Deutungshoheit politischer Ereignisse in der arabischen Welt: der Krieg gegen Al Jazeera. Das Nachrichtennetzwerk hat seinen Sitz in Doha, Katar.

„Wenn die Saudis darauf abzielen, die Angelegenheit weiter in Richtung einer Konfrontation mit dem Iran zu eskalieren,“ analysiert Iran-Experte Trita Parsi im Interview mit DemocracyNow!, „dann müssen sie im Vorfeld Katar loswerden und deren Fähigkeit, das saudische Narrativ in der arabischen Welt in Frage zu stellen.“

Al Jazeera ist das in arabischen Ländern mit Abstand meist konsumierte Netzwerk und damit der potenteste Meinungsmacher im Kampf um die Köpfe der arabischen Welt. Es ist eines der global größten Netzwerke überhaupt und genießt ein in der arabischen Welt beispiellos hohes Maß an redaktioneller Unabhängigkeit, an Presse- und Meinungsfreiheit. Ich persönlich schätze den englischsprachigen Ableger sehr, der zu meinen Standardrecherchequellen gehört. Entgegen unserer oft gemalten Karikatur vom menschenrechtlich rückständigen Araber vertritt Al Jazeera English bei sozialen Fragen in der Regel äußerst liberale bis hin zu linken Standpunkten, es ist eine Plattform für politischen Dissens und freie Meinungsäußerung, deckt weltweit Menschenrechtsverletzungen auf, ist eine Stimme unterschiedlichster Aktivistengruppen, in Fragen von Krieg und Frieden werden oft pazifistische Standpunkte vertreten, der Arabische Frühling wäre ohne Al Jazeera undenkbar gewesen.

Aufgrund der allgemein deutlich kritischen Positionen gegenüber Saudi-Arabien – sowie anderen Autokraten und Diktatoren der arabischen Welt – ist Al Jazeera den Saudis schon seit Langem ein Dorn im Auge. Insbesondere gegen den völkerrechtswidrigen Krieg der Saudis im Jemen findet Al Jazeera zumeist deutliche Worte. Doch der wesentliche Konfliktpunkt ist Al Jazeeras zumeist faire Berichterstattung über den Iran sowie eine eher wohlwollende Berichterstattung über die Muslimbrüder in Ägypten.

Und so nahm Saudi-Arabien die gegenwärtige Krise zum Anlass, den Krieg gegen Al Jazeera zu eskalieren, schloss das Büro des Senders in Riad und entzog ihm die Sendelizenz. Jordanien kündigte Selbiges an, und Ägypten blockte bereits vor zwei Wochen die Websites von 21 Newsportalen, darunter Al Jazeera und HuffPost Arabi. Saudi-Arabien hat es saudischen Hotels gar per Gesetz verboten, Al Jazeera – sowie andere Sender, die die „staatliche Moral“ untergraben – auszustrahlen. Angestachelt durch das saudische Vorgehen stürmten rechtsextreme Israelis das Al Jazeera-Büro in Ostjerusalem – dem palästinensischen Teil der Stadt – und zerlegten die Einrichtung.

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Al Jazeera ist eines der größten Netzwerke der Welt und wird quer über den Globus geschaut und gelesen.

Auch die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain nutzen die Katar-Krise, um einen schonungslosen Softpowerkrieg um die Meinungshoheit und gegen die freie Presse zu führen: Beide kriminalisierten Sympathiebekundungen für Katar sowie Kritik am Boykott Katars durch den Saudi-Block in den sozialen Medien, Geldstrafen bis zu 140.000 US-Dollar wurden verhängt und es drohen Gefängnisstrafen von bis zu 15 Jahren [sic!] – für bloßes Äußern von Meinungen.

Mehrere Analysten befürchten bereits, dies könnte der Anfang vom Ende von Al Jazeera sein oder zumindest, dass Katar zur Beilegung der Krise der Erpressung Saudi-Arabiens nachgibt und Al Jazeera staatlich verordnet einen Maulkorb umlegt. Der Angriff der von den Saudis geführten Koalition auf die Meinungs- und Pressefreiheit ist nicht hinnehmbar und muss mit allem Nachdruck aufs Schärfste verurteilt werden. Insbesondere die Regierungen der westlichen Staaten, die die faschistische Diktatur in Saudi-Arabien schändlicherweise noch immer als engsten Verbündeten begreifen, müssen sich klar positionieren und ein Ende des Medienkriegs fordern. Dasselbe gilt für die internationale Presse – die SPIEGELs und Guardians und CNNs dieser Welt – die sich in Solidarität unmissverständlich hinter Al Jazeera stellen müssen, so geschehen etwa von Reporter Ohne Grenzen, die den Krieg gegen Al Jazeera aufs Schärfste verurteilen.

Der Angriff auf die Presse Katars muss als Mosaikteilchen in das Gesamtbild eingeordnet werden: Medienkrieg zur Vorbereitung eines physischen Kriegs gegen den Iran.

Kein neuer Krieg im Nahen Osten!

Die Außenpolitik Saudi-Arabiens der vergangenen Jahre ist von erbarmungsloser, extremer Brutalität gekennzeichnet: die blutige Niederschlagung des Volksaufstands des Arabischen Frühlings im eigenen Land sowie beim Nachbarn Bahrain, die Unterstützung marodierender Dschihadisten-Banden in Syrien und der völkerrechtswidrige von extremsten Kriegsverbrechen gekennzeichnete Krieg im Jemen. Und in jedem Falle ist die Intention für das harte Vorgehen eine tatsächliche oder paranoid eingebildete Verstrickung des Irans – Riad ist regelrecht besessen von einem vermeintlichen „iranischen Expansionismus“. Angesichts dieser rücksichtslosen Kriegspolitik der Saudis, die zur Schwächung des Erzfeinds über Leichen geht, birgt auch die aktuelle Katar-Krise – man mag es sich kaum ausmalen – das Potential für den nächsten Krieg in Middle East.

Die mit den Saudis eng verbündete Trump-Administration ist ohnehin gespickt mit kriegstreiberischen Iranfeinden – Trump selbst als deren Speerspitze der Iranophoben – und erging sich von Anfang an in Kriegspropaganda gegen den Iran. Nachdem Trump vor Kurzem medienwirksam in einem illegalen Angriff 59 Tomahawk-Raketen auf einen Stützpunkt vom Iran-Alliierten Assad abfeuerte und in den letzten Wochen die Angriffe auf Assad-Truppen weiter forcierte, bombardierten die USA unbeachtet von der Öffentlichkeit vom Iran unterstützte schiitische Milizen in Syrien – ein weiterer Negativmeilenstein der Trump’schen Inbrandsetzung des gesamten Orients. Neben Saudi-Arabien und den USA ist Israel der dritte zentrale Player der jüngst von Trump ausgerufenen Anti-Iran-Allianz. Seit Jahrzehnten ist das offen erklärte Angriffsziel Israels der Iran und die Kriegsfalken der rechtsextremen Netanjahu-Regierung würden lieber heute als morgen Teheran bombardieren. Die Kombination dieser drei höchstgradig iranophoben Regierungen ist ein extrem giftiger Cocktail. Bedauerlicherweise ergeht sich auch der Iran in unverantwortlichem Säbelrasseln und hat zur Provokation seiner arabischen Nachbarn bereits zwei weitere Kriegsschiffe in die Region entsandt.

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Die zweite Station von Trumps erster Auslandsreise war Israel. Die Netanjahu-Regierung ist ein zentraler Player in Trumps Anti-Iran-Allianz.

Die gegenwärtige Katar-Krise muss im Kontext der komplexen Bündniskonstellationen im Nahen Osten gesehen werden: Wie schon Syrien könnte Katar zum Spielball ausländischer Mächte werden, zum Bauernopfer in den Kriegsvorbereitungen gegen den Iran. In diesen extrem angespannten Zeiten können einzelne Events unkontrollierbare Kettenreaktionen in Gang setzen.

Am vergangenen Mittwoch wurde die iranische Hauptstadt Teheran von einem Doppelterroranschlag heimgesucht, 17 Menschen starben und 46 wurden verletzt, ISIS bekannte sich. Es war der erste Anschlag im Iran seit über einem Jahrzehnt. Angesichts jüngster Drohungen des saudischen Verteidigungsministers, Saudi-Arabien werde „die Schlacht“ in den Iran tragen, behaupten die Iranischen Revolutionsgarden nun, die Mörder von Teheran wären von Saudi-Arabien beauftragte „Söldner“ – ein äußerst schwerwiegender Vorwurf.

„Während keinerlei Beweise für eine direkte saudische Rolle bei den Terroranschlägen von Teheran vorliegen,“ warnt Nahost-Experte Murtaza Hussain von The Intercept, „könnte allein der Verdacht auf eine saudische Beteiligung zu Zeiten höchster Spannungen zwischen beiden Ländern verheerende Konsequenzen haben.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf JusticeNow!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

Jakob Reimann

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