„Hier wird Deutsch gesprochen!“

Nazi-Aufmarsch Chemnitz Mindestens 8.500 Menschen folgten Björn Höckes Aufruf und missbrauchten das Gedenken an den ermordeten Daniel, um rechte bis faschistische Ideologie zu propagieren

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„Hier wird Deutsch gesprochen!“

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Am vergangenen Sonntag wurde der 35-jährige Daniel Hillig mutmaßlich von einem Syrer und einem Iraker in Chemnitz auf offener Straße erstochen. Seitdem ist die 250.000-Einwohner-Stadt im Ausnahmezustand. Rechts organisiert Demos, Links trifft sich zu Gegendemos, vollkommen überforderte Polizei, Gewaltexzesse, von Hetzjagden auf Migranten wird berichtet.

Die Trauer um das Opfer – einem dunkelhäutigen Linken mit kubanischen Roots – wird von rechts instrumentalisiert, um in Chemnitz aufzumarschieren. So auch gestern.

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„Adolf Hitler Hooligans“

Bei den drei rechtsaußen Veranstaltungen – von AfD, Pro Chemnitz sowie der ausländer- und islamfeindlichen Pegida – versammelten sich insgesamt mindestens 8.500 Menschen, begleitet von rund 1.800 PolizistInnen. Die linke Kundgebung „Herz statt Hetze“ brachte es auf nur knapp 3.000 Menschen.

Die rechte Demonstration war durchsetzt mit unterschiedlichsten Akteuren der extremen Rechten: Hooligans, NPD-Kader, Identitäre Bewegung, Pegida-Prominenz, eine Gruppe nannte sich „Adolf Hitler Hooligans“. Einschlägige Nazi-Klamottenmarken prägten das Äußere der Demonstrierenden, Nazi-Tattoos und Hitlergrüße waren keine Seltenheit.

Die verschiedenen Veranstaltungen vereinigten sich schließlich zum „Trauermarsch“, der vom rechtsradikalen AfD-Thüringen-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke initiiert wurde. Höcke selbst gab sich staatsmännisch mit ernster Miene, wollte pressewirksame Bilder von aggressiven Nazi-Schlägern gerne vermeiden und die 8.500 Menschen in Chemnitz vielmehr als trauernde Gemeinschaft darstellen – ein Schweigemarsch für den ermordeten Daniel.

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Björn Höcke neben weiteren Nazi-Kadern an der Spitze des „Trauermarschs“. Links neben Höcke AfD-Sachsen-Chef Jörg Urban, Hans-Thomas Tillschneider (AfD-Abgeordneter Sachsen-Anhalt) , 4. v. l. AfD-Rheinland-Pfalz-Chef Uwe Junge, zwei Personen rechts neben Höcke PEGIDA-Vize Siegfried Däbritz.

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Ein Bild des getöteten Daniel Hillig sowie weiterer Menschen, wurden für rechte Zwecke missbraucht und am Anfang des Demonstrationszugs präsentiert.

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Gefolgt von Höcke & Co. sowie schwarz-rot-gelbem Fahnenmeer.

Doch Höckes „Trauermarsch“, ein Fahnenmeer aus Deutschlandflaggen, sollte nur wenige Hundert Meter gehen und nahm schließlich vor dem berühmten Karl-Marx-Kopf sein Ende. Große Teile der „Trauernden“ fingen an, Passanten anzupöbeln und zu bedrängen, durchbrachen Polizeilinien und eskalierten mit mehreren Schlägereien mit der Polizei die Lage. Tausendfach brüllten sie ihre einschlägigen Parolen: „Wir sind das Volk.“, „Deutschland den Deutschen“, „Lügenpresse, Lügenpresse“, „Ausländer raus“ und natürlich: „Merkel muss weg!“ – der rechte Mob als kitschiges Klischee.

Laut Polizeiangaben wurden 18 Menschen verletzt, drei Polizisten darunter, so Zeit Online. Weiter ermittelt die Polizei in insgesamt 37 Strafdelikten, darunter Fälle von Körperverletzung, Sachbeschädigung und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Ich selbst sah von rechts Würfe unterschiedlicher Objekte auf Polizeikräfte, ein „besorgter Bürger“ warf aus dem Mob heraus eine Flasche auf ein Polizeipferd.

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Ein Polizeipferd wurde von einem „besorgten Bürger" mit einer Flasche beworfen.

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Hasstiraden und Pöbeleien von „besrogten Bürgern“ gegen Polizisten, Gegendemonstranten und Passanten waren prägend für den „Trauermarsch“ in Chemnitz.

Regionale, überregionale wie internationale Presse war vor Ort, wir sahen neben Lokalfernsehen und vielen Internetmagazinen unter andern Teams vom Spiegel, Zeit, Welt, RTL, ZDF, WDR und BBC, es gab Berichterstattung von CNN, Al Jazeera, Guardian, FOX News, Ha’aretz, Times of India – die Welt blickte gestern auf Chemnitz. Ein Team von Russia Today wurde vom rechten Mob angepöbelt und bedrängt. RT stellte Fragen auf Englisch. „Hier wird Deutsch gesprochen!“, krakeelte ein sichtlich erregter „besorgter Bürger“.

Generell war rechts die Stimmung äußerst angespannt und aggressiv. Das Gewaltpotential war physisch greifbar. Der Hass auf Migranten, Polizei, Merkel und Linke brach sich in unzähligen Tiraden, Pöbeleien und kleineren oder auch größeren Auseinandersetzungen Bahn. Ein „besorgter Bürger“ brüllte mich an und erklärte mir mit Schaum vorm Mund, ich habe noch nie in meinem Leben gearbeitet und sei ein Schmarotzer und Parasit, da er ja schließlich meine Sozialhilfe bezahle. Das deutliche Indiz für seine These waren meine längeren – laut „besorgtem Bürger“ verlausten – Haare. Nun gut.

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Einer der 8.500 Teilnehmer der rechten Demonstrationen.

Das Team des Störungsmelder-Bloggers Henrik Merker wurde „am Rand der Demonstration von drei Neonazis angegriffen.“ Auch ein Team des MDR wurde überfallen. Dunja Hayali wurde „Fotze!“ und „Sie sind nicht deutsch!“ entgegengebrüllt. Am Rande der Demo wurde ein Afghane attackiert. Eine Gruppe des SPD-Politikers Sören Bartol wurde „auf dem Weg zum Bus von Nazis überfallen“, so Bartol auf Twitter.

Ich wurde Zeuge, wie ein Nazi einen unbeteiligten Mann von einem rund 5 Meter hohen Vorsprung stoßen wollte (von dem aus ich die zwei oben gezeigten von oben aufgenommenen Fotos schoss). Auf die entsetzte Frage "War das grad versuchter Mord?" kamen Gelächter und weitere Pöbeleien. Auch beobachtete ich Anfeindungen gegen den Chemnitzer Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich (CDU), der sich mit einem „Chemnitz ist weder grau noch braun“-Schild in der Hand über Stunden hinweg mit „besorgten Bürgern“ auseinandersetzte.

Eine ältere Dame machte hierbei jedoch einen Punkt, den auch ich an dieser Stelle unterstreichen will. Der Fehler der Linken sei es, dass alle Demonstranten in Chemnitz – oder auch bei PEGIDA & Co. – unterschiedslos als Nazis hingestellt werden, was in der Tat ein erkennbares Phänomen ist, das faktisch jedoch schlicht falsch und darüber hinaus auch ein strategischer Fehler ist. Sie habe es satt, als Nazi beleidigt zu werden, so die ältere Dame, und würde aus Trotz daher um so mehr bei den Rechten mitlaufen. Der undifferenzierte Nazi-Vorwurf treibt Menschen, die sich selbst weder links noch rechts verorten, in die rechte Ecke hinein, er ist wie jede Pauschalisierung falsch und geistig arm.

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1.200 Polizisten sicherten am Samstag Höckes „Trauermarsch“ ab.

Um daher Eines unmissverständlich klarzustellen: Nein, in Chemnitz waren gestern nicht 8.500 Nazis auf der Straße. Nur ein Narr würde das behaupten.

Dennoch war Höckes „Trauermarsch“ ein Nazi-Aufmarsch – initiiert von einem Nazi, massiv durchsetzt von Nazi-Schlägern – jede andere Bezeichnung wäre eine Verharmlosung des wütenden Mobs von Chemnitz. Echte Trauer braucht kein Meer aus Deutschlandflaggen. Aufrufe zum Mord an MigrantInnen und Hitler-Grüße sind ein Tritt ins Gesicht des getöteten Daniel Hillig. Wer einem rechtsradikalen Hetzer wie Höcke hinterherläuft, macht sich mit Nazis gemein und unterstützt damit Nazi-Propaganda und Höckes faschistische Ideologie.

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Die „besorgten Bürger“ wollen ihr Chemnitz anscheinend doch lieber grau und braun.

Dieser Bericht erschien zuerst auf JusticeNow!.

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Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

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