Ein kleiner Junge wirft einen Stein ins Fenster der örtlichen Bäckerei. Der Bäcker stürmt hinaus und fordert vom Vater des Jungen 6 Francs für die Bezahlung des Glasers. Der Vater kocht vor Wut, doch eine Passantin beruhigt ihn: „Alle Welt muss leben. Was würde aus den Glasern, wenn man niemals Scheiben zerschlüge?“ Dem Vater gibt sie zu bedenken, dass sich der Glaser nun für 6 Francs Rüben kaufen kann, der Bauer daraufhin neue Kleider für seine Kinder und so weiter. Es ist die Parabel vom zerbrochenen Fenster des französischen Ökonomen Frédéric Bastiat aus dem Jahre 1850, auf die gern verwiesen wird, wenn es um einen angenommenen gesamtgesellschaftlichen Nutzen von inhärent destruktiven Investitionen geht.
Im August 2018 billigte der US-Senat das Militärbudget für 2019. Nach einigen Jahren eines rückläufigen Pentagon-Budgets unter Obama beantragte die Trump-Regierung – ähnlich wie in ihrem ersten Haushalt – eine Aufstockung von knapp 15 Prozent gegenüber dem Haushaltsjahr 2018. Dem US-Senat ging diese Erhöhung jedoch nicht weit genug. Er billigte mit zusätzlichen 31 Milliarden Dollar mehr, als Trump überhaupt gefordert hatte, wodurch sich die geplanten Militärausgaben nun auf stolze 717 Milliarden Dollar belaufen. Der Budgetplan fand über die Parteigrenzen hinweg breite Unterstützung. Nur sieben Senatoren der Demokraten – plus der Unabhängige Bernie Sanders – stimmten gegen den Antrag.
Donald Trump polarisiert, die US-Politlandschaft ist zerstritten wie seit Langem nicht. Außer bei einem Thema: Krieg. Das erste Mal, als sich die Demokraten – und die „liberalen“ Medien wie die New York Times und CNN – in Eintracht hinter ihrem Präsidenten versammelten, war der Morgen des 7. April 2017, als Trump völkerrechtswidrig 59 Tomahawk-Raketen auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt abgefeuert hatte.
Nach den neuesten Zahlen des SIPRI-Instituts in Stockholm wurden im Jahre 2017 weltweit über 1,7 Billionen Dollar für Rüstung und Militär ausgegeben, das entspricht dem akkumulierten Bruttoinlandsprodukt der 112 „ärmsten“ Staaten dieses Planeten. Mehr als ein Drittel dieses Betrags entfällt auf die USA, deren Verteidigungshaushalt so groß ist wie jener der nächsten acht Länder zusammen. Einer der Gründe für diese exorbitante Ressourcenbindung ans Militär mag auf den ersten Blick überraschend klingend: Keynesianismus. Überraschend deshalb, weil wir gewohnt sind, die USA und ihre Regierung als durch und durch neoliberal anzusehen, als Jünger Milton Friedmans, der den Staat als Feind der freien Wirtschaft ansah und sich jedes Eingreifen der Regierung in den freien Markt verbat. Eine schöne Geschichte, die kaum weniger wahr sein könnte.
Davon abgesehen, dass die US-Regierung in Folge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007/08 klassischen Bilderbuch-Keynesianismus betrieb, als sie allein in den ersten drei Jahren die astronomische Summe von 2,5 Billionen US-Dollar in die Wirtschaft und den Finanzsektor pumpte und weitere nicht weniger astronomische 12,2 Billionen an Bürgschaften leistete, so sind die USA auch abgesehen von solch punktuellen Exzessen ein strukturell durch und durch keynesianisches Land. Offensichtlich anti-keynesianische Symptome – die katastrophale US-Infrastruktur, der Umstand, dass Hochschulabsolventen die Hälfte ihres Berufslebens Studienkredite abzahlen, oder der, dass die USA von den 51 am höchsten entwickelten Ländern noch immer das einzige ohne allgemeine Gesundheitsversorgung sind – sind keineswegs Indizien gegen diese These, sondern illustrieren vielmehr die einzigartige, eigentümliche Spielart des Keynesianismus in den USA: den militärischen Keynesianismus.
What a lovely war!
Im Juni 2014 titelte die New York Times „The Lack of Major Wars May Be Hurting Economic Growth“, das Ausbleiben größerer Kriege könne dem Wirtschaftswachstum schaden. Der renommierte Ökonom Tyler Cowen blickte fast wehmütig zurück: „Die heutigen Opferzahlen erblassen im Licht der Dutzenden von Millionen von Menschen, die in den beiden Weltkriegen … getötet wurden.“ Cowen beklagt sich über unsere heutige „friedlichere und – ja – mehr Faulpelz-orientierte Welt“ und verweist auf den gesamtgesellschaftlichen, zivilen Nutzen von ursprünglich aus militärischer Forschung stammenden Technologien – ein Standardargument von Anhängern des militärischen Keynesianismus. So gingen etwa der Computer, die moderne Luftfahrt und das Internet auf Forschungsprogramme des Pentagons zurück. Das mag so sein, nur muss dieses Argument ins richtige Licht gerückt werden: Mit großem Abstand ist das Pentagon die finanzstärkste Forschungseinrichtung der Welt. Die US-Regierung gab im Jahr 2016 für Forschung und Entwicklung im Bereich Verteidigung gut 77 Milliarden Dollar aus. Der forschungsintensivste Konzern der Welt – Volkswagen – investierte im selben Jahr „nur“ 13 Milliarden Dollar, während Hunderte Fakultäten und Institute der Harvard University zusammen mit rund 900 Millionen Dollar Forschungsgeldern auskommen; etwas mehr als 1 Prozent des Pentagon-Forschungsbudgets also.
Angesichts dieser Proportionen – sowie des Umstands, dass staatliche Militärforschung statt des Wettbewerbs der freien Wirtschaft ihren Auftragnehmern den Luxus garantierter Märkte bietet – sollte es kaum verwundern, dass selbst das Pentagon hin und wieder auch etwas für die Allgemeinheit Sinnvolles zustande bringt.
Cowen unterstellt dagegen, dass der Krieg an sich auf Technologie und Produktion einen stimulierenden Druck ausübe, der wiederum positive Effekte auf das Wirtschaftswachstum habe. Der Schuldige für das schleppende Wachstum in unseren vermeintlich weniger bedrohlichen Zeiten ist daher auch schnell ausgemacht: „Es ist die Hartnäckigkeit und die Vorhersehbarkeit des Friedens.“
Doch die anfangs erwähnte Parabel vom zerbrochenen Fenster geht noch weiter. Der wütende Vater wehrt sich, er gibt zu bedenken, dass er sich für die 6 Francs einfach auch ein paar neue Schuhe hätte kaufen können, statt die zerstörte Scheibe zu ersetzen. Dann hätte sich eben der Schuster anstelle des Glasers die Rüben gekauft und so weiter. Volkswirtschaftlich betrachtet, wäre derselbe Gesamtnutzen resultiert – mit dem einzigen Unterschied, dass die Gesamtheit der Konsumenten nun ein zusätzliches Gut hätte nutzen können, das Paar Schuhe. Und überhaupt: Geht die Scheibe kaputt, verliert der Schuster, der um sein potenzielles Geschäft gebracht wird. Frédéric Bastiat schreibt, es sei der Schuster, der „uns verstehen lässt, wie absurd es ist, einen Gewinn in einer Zerstörung zu sehen“.
Eine Studie des Watson Institute berechnete, dass eine militärische Investition von einer Milliarde Dollar 6.900 neue Jobs schafft. Wird dieselbe Milliarde hingegen in erneuerbare Energien oder die Infrastruktur investiert, entstehen 9.800 Jobs. Im Gesundheitswesen steigt die Zahl auf 14.300 an. Investiert man die Milliarde im Grund- und Sekundarschulwesen, werden gar 19.200 neue Jobs geschaffen, fast das Dreifache wie beim Militär also. Ein Regierungsdollar ist nicht gleich einem Regierungsdollar: in nachhaltige und vor allem sinnvolle Bereiche investiert, hat er wesentlich mehr positive Effekte als im Bereich der Verteidigung.
Seit September 2001 haben die USA 3,7 Billionen Dollar für ihre Kriege im Mittleren Osten ausgegeben – nicht das reguläre Verteidigungsbudget, sondern ausschließlich die kriegsbedingten Kosten –, was im Schnitt 230 Milliarden Dollar jährlichen Kriegsausgaben entspricht. Wären diese Beträge in nachhaltige Branchen investiert worden, hätten so über 3 Millionen Jobs im Gesundheitswesen entstehen können oder über 4 Millionen Jobs im Schulwesen.
Doch die Trump-Regierung geht in die exakt entgegengesetzte Richtung. In ihrem Einsparungsplan für 2018 zeigt sich, dass die massive Erhöhung des Pentagon-Budgets neben der faktischen Streichung der Entwicklungshilfe insbesondere durch Einsparungen in den angesprochenen Bereichen finanziert wird: Bildung, Klima, alternative Energien, Gesundheit, Infrastruktur – was die menschlichen Kosten des militärischen Keynesianismus erahnen lässt.
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