"Krieg gegen den Terror" - kein Ende in Sicht

Die USA auf Irrwegen Präsident Obama feiert den Tod des Taliban-Führers Mansour als „wichtigen Meilenstein“ zum Frieden. Der Mord an Terrorführern verschärft jedoch nachweislich die Gewalt.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eingebetteter Medieninhalt

„Die Terroristen bekämpfen die Freiheit
mit List und Grausamkeit,
denn die Freiheit ist ihre größte Angst.
Und sie sollten Angst haben,
denn die Freiheit befindet sich im Anmarsch.“

Unendlich viele Hoffnungen lagen auf Barack Obama, als er 2009 ins Oval Office einzog. Kaum jemand hätte es damals ernsthaft für möglich gehalten, dass er den Kriegshunger des weltweit so sehr verhassten George Bush (von dem das Eingangszitat stammt) noch übertrumpfen und doppelt so viele muslimische Länder wie sein unsäglicher Vorgänger bombardieren würde.

Töten für Frieden und Wohlstand

Am Montag gab Präsident Obama die Tötung des Taliban-Führers Akhtar Mansour durch einen von ihm autorisierten Drohnenschlag im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet bekannt. „Der heutige Tag markiert einen wichtigen Meilenstein in unseren langjährigen Bemühungen, Frieden und Wohlstand nach Afghanistan zu bringen“, pries Obama in bizarrer Weise die außergerichtliche Hinrichtung Mansours.

„Dies ist eine Verletzung der pakistanischen Souveränität“, verurteilte hingegen Pakistans Premierminister Nawaz Sharif Obamas „wichtigen Meilenstein“ aufs Schärfste. Der Angriff fand auf pakistanischem Boden statt, Islamabad wurde weder in dessen Planung einbezogen, noch im Vorfeld darüber informiert – weshalb der Angriff der USA in der Tat als illegal eingestuft werden muss.

Getreu Orwellscher Sprachpervertierung verhöhnt Obama die afghanische Bevölkerung mit den Worten: „Der heutige Tag gibt den Menschen in Afghanistan und der Region die Chance auf eine andere, bessere Zukunft.“ – als würden die Taliban nun urplötzlich ihre Waffen niederlegen.

Obama tragikomisch weiter: er hoffe, dass die Taliban nach dem Mord an ihrem Anführer nun in einen „Aussöhnungsprozess eintreten werden, der zu langfristigem Frieden und Stabilität“ führen werde. Die dieser Hoffnung zugrundeliegende Logik liegt wohl gut versteckt in den Abgründen des Obamaschen Universums.

„Schnallt euch an, wir werden Rache üben!“

Wie zu erwarten war, ist dann auch das genaue Gegenteil eingetreten.

Ganze zwei Tage nach Obamas „Meilenstein“-Statement, verkünden die Taliban mit dem Geistlichen Haibatullah Akhundzada ihren neuen Führer, der mit 20 Jahren Dienstalter zur alten Taliban-Garde gehört und den äußersten extremistischen Flügel der Taliban repräsentiert (auch wenn solch eine Unterscheidung in westlichen Ohren grotesk klingen mag).

Während sein ermordeter Vorgänger Mansour als „zurückgezogen“, „entspannt“, „hochintelligent“, „Mann der leisen Worte“ und „starker Befürworter von Friedensgesprächen“ charakterisiert wurde, gilt der eher unbekannte Akhundzada als „extremer Hardliner“, wie ein ehemaliger Taliban-Offizieller berichtet – „sogar nach Taliban-Standards“.

Akhundaza ist ein Vertreter der radikal-puristischen Islamlehre des Wahhabismus, der auch der Islamische Staat und das saudische Köigshaus anhängen. „Genau hierin liegt die Gefahr“, bewertet der ehemalige Taliban-Offizielle, „[Akhundaza] kann die Bewegung weiter an die Ideologie des Islamischen Staats annähern.“

Akhundaza war der Oberste Richter während der Taliban-Herrschaft und hat mit der Aussprechung unzähliger Fatwas fast ebenso viele Gräueltaten klerikal abgesegnet. So gilt er insgeheim auch als Drahtzieher der Sprengung der 1.500 Jahre alten Buddha-Statuen durch die Taliban 2001, die er als Götzen verurteilte. Gewiss ein extremer Radikaler also, der seinen Vorgänger wohl weit in den Schatten stellen wird.

Eingebetteter Medieninhalt

Zur Machtdemonstration und eigenen Profilierung erwarten Analysten eine massive Welle der Gewalt in Akhundazas Anfangszeit. Auch eine anonyme Taliban-Quelle berichtet Al-Jazeera, dass die Taliban unter dem neuen Anführer blutige Rache für die Ermordung Mansours geschworen haben. Die ausländischen Mächte und die afghanische Regierung sollten sich „fest anschnallen […] wir werden Rache üben und stärker sein als je zuvor.“

Mit der Ernennung ihres neuen Chefs ging in der Tat sofort ein Anschlag in Kabul einher, zu dem sich die Taliban umgehend bekannten. Ein Selbstmordattentäter sprengte einen Bus mit Gerichtsangestellten in die Luft und riss zehn Menschen mit sich in den Tod.

Ohne den sinnlosen und vor allem illegalen Drohnenmord an Mansour wäre heute noch ein halbwegs Gemäßigter und kein ultraradikaler „Steinzeit-Mullah“ an der Taliban-Spitze, und zehn Gerichtsangestellte und zufällig anwesende Zivilisten in Kabul wären noch am Leben.

Angesichts der skizzierten Entwicklungen nur der letzten drei Tage ist Obamas Gerede vom historischen Meilenstein nichts als blanker Hohn und ein Springerstiefeltritt ins Gesicht der afghanischen Bevölkerung, der er wenige Tage zuvor noch „eine andere, bessere Zukunft“ inklusive eines „langfristigen Friedens und Stabilität“ versprochen hat.

Ein toter Führer an der Spitze

Der ursprüngliche Taliban-Führer – und enger Verbündeter des jüngst getöteten Mansour – Mullah Mohammed Omar stand 15 lange Jahre auf der US-amerikanischen most wanted list. 2013 ist er dann schließlich gestorben – ob wegen eines US-Drohnenschlags oder doch an Tuberkulose ist bis heute nicht zweifelsfrei geklärt.

Das Bemerkenswerte am Fall Mullah Omar ist jedoch, dass es ganze zwei Jahre dauerte, bis sein Tod bekannt wurde. Lebten nicht nur die US-Geheimdienste und die gesamte Weltöffentlichkeit bis 2015 in Unkenntnis, so hatte bis auf einige wenige Individuen in der Führungsriege der Organisation auch kein einziger Kämpfer vom Taliban-Fußvolk einen Schimmer vom Ableben ihres langjährigen Oberhaupts.

Trotz eines toten Führers an ihrer Spitze machten die Taliban-Dschihadisten das Jahr 2015 zum „blutigsten seit Beginn der Aufzeichnungen 2001“, wie die renommierte Brookings Institution in einem Bericht festhielt.

Die einzige echte Konsequenz seines Todes ist scheinbar, dass die US-Regierung Mullah Omar nun von ihrer most wanted list streichen und sie die zehn Millionen Dollar Kopfgeld für Hinweise zu seiner Ergreifung einsparen konnte.

Wenn mit Mullah Omar der Gründer der Taliban, Oberhaupt des Islamischen Emirats Afghanistan und der „Führer der Gläubigen“ für geschlagene zwei Jahre von der Weltgemeinschaft und sogar seiner Anhängerschaft unbemerkt tot sein kann, ist dies der stärkste Beweis für das zweite mögliche Szenario für die Auswirkungen der Liquidierung eines Terrorführers: es macht schlicht und ergreifend keinen praktischen Unterschied, ob ein Terrorführer tot ist oder lebendig.

Eine naive Wunschvorstellung

Ähnliches gilt auch für den Staatsfeind #1 schlechthin. Unendliche Mythen ranken sich um den vermeintlichen Tod Osama bin Ladens im Jahre 2011 (der nebenbei bemerkt von der US-Regierung wegen nicht vorhandener Beweise nie offiziell der Anschläge vom 11. September bezichtigt wurde). Manche sagen, er sei bereits Jahre vorher einer Krankheit erlegen, andere behaupten gar, er sei noch immer am Leben.

Bereits wenige Stunden nach der nicht weniger mythenumrankten Ermordung bin Ladens durch Navy SEALs Special Forces im nordpakistanischen Abbottabad begann in der Wissenschaft die Diskussion über die Frage, ob denn der offizielle Tod des Terrorpaten bin Laden überhaupt irgendwelche merklichen Auswirkungen auf das al-Qaida-Netzwerk haben würde. Massive Zweifel am von der US-Regierung quasi-religiös vorgegebenen Dogma ‘Der Tod des Kopfes schwächt die ganze Gruppe‘ dominierten von Anfang an die Debatte.

Die so sehr erhoffte Schwächung des globalen Terrorismus durch bin Ladens Tod blieb dann auch kaum mehr als eine naive Wunschvorstellung. Durch die massive Stärkung regionaler Ableger – Al-Nusrah in Syrien, Al-Shabaab in Somalia und vor allem AQAP im Jemen – dezentralisierte und verringerte sich zwar die Macht der Al-Qaida-Zentrale im Kerngebiet Afghanistan-Pakistan, stellte dies jedoch keineswegs eine Schwächung des Netzwerks dar, sondern war vielmehr ein Terrorexport in den gesamten Nahen Osten zu verzeichnen.

Die Exekution von Terrorführern: „höchst kontraproduktiv“

Es bleibt die Frage, ob es sich bei der hier an drei Fällen exemplarisch skizzierten Widersinnigkeit und Kontraproduktivität der Exekution von Terrorführern lediglich um eine Häufung von Einzelbeispielen handelt oder ob sie womöglich doch einem allgemeinen Muster folgen?

Die endlos lange Liste der getöteten Führer von Al-Qaida, Taliban & Co. – deren Exekution gewiss jedes Mal ein „Meilenstein“ war – sollte zumindest vermuten lassen, dass die Strategie der US-Regierung aufgeht und der globale Terrorismus in deren Folge zurückgeht.

Neben einer Vielzahl an Indikatoren, die alle nur eine Richtung kennen, sind es vor allem die nackten Statistiken der jährlich durch Terrorismus getöteten Menschen, die diese Vermutung gnadenlos zerschmettern: in den Jahren von 2002 bis 2014 stieg die Zahl der jährlichen Toten um unaussprechliche 4.500% – es kam in den glorreichen Jahren des „Krieg gegen den Terror“ also zu einer Ver-45-fachung der Terrortoten, obwohl ein Führer nach dem anderen getötet wurde.

In einer bemerkenswerten Studie der University of Chicago von 2009 befasste sich auch die Doktorandin Jenna Jordon mit eben diesen Fragen. Jordan untersuchte in 298 Fällen seit 1945 die Auswirkungen auf die Zukunft und die Struktur von Terrororganisationen, nachdem deren Führungspersönlichkeiten exekutiert wurden.

Jordans Forschungsergebnisse legen zwar nahe, dass kleine und erst wenige Jahre bestehende Terrorgruppen durchaus dafür anfällig sind, nach der Liquidierung ihrer Führer zu zerbrechen oder zumindest merklich geschwächt zu werden, doch bei Tausende Mitglieder zählenden und Jahrzehnte lang existierenden Gruppen wie den Taliban ist das genaue Gegenteil der Fall und extrajudizielle Hinrichtungen wie jüngst die von Mansour seien „höchst kontraproduktiv“, so Jordan.

Als Begründung gibt die mittlerweile promovierte Wissenschaftlerin an, dass die Exekution von Terrorführern eher „die Entschlossenheit der Gruppe stärkt, Vergeltungsschläge wahrscheinlich macht, die öffentliche Sympathie für die Gruppe erhöht oder mehr tödliche Angriffe produziert.“ – sprich: die Hinrichtung ihrer Führer stärkt die Terrorgruppe auf sämtlichen Ebenen.

Jordan schließt dann auch unmissverständlich mit den Worten: „Diese Studie weist nach, dass wir in unserer aktuellen Antiterrorpolitik umdenken müssen.“

Auch die renommierte Juraprofessorin Rosa Brooks beschäftigt sich in Foreign Policy mit der Frage, warum die US-Regierung dieser offensichtlich zum Scheitern verurteilten Politk der Exekution von Terrorführern so unerbittlich anhängt, und sucht in der anthropologischen Denkschule nach Antworten.

Seit Anbeginn menschlicher Gesellschaften führten deren Mitglieder bestimmte Rituale aus – sogenannte apotropäische Handlungen – durch die die Götter besänftigt und Unglück abgewendet werden sollten: rituelle Opfergaben, der Lärmzauber der Silvesternacht, die Verwendung von Weihwasser beim Taufen, Exorzismen, Regentänze.

Aufgrund fehlender rationaler Erklärungsmuster setzt Brooks nun die US-amerikanische Politik der Exekution von Terrorführern in ebendiese Linie der rituellen Ruhigstellung der gesamtgesellschaftlichen Psyche:

„Wir modernen Amerikaner glauben nicht an Dämonen, Regentänze oder die Wirksamkeit der Opfergabe von Ziegen oder Kindern. Wir haben im 21. Jahrhundert unsere ganz eigenen magischen Rituale entwickelt – und wir nennen sie ‘Antiterrorprogramme‘.“Eingebetteter Medieninhalt

Unterwegs auf endlosen Irrwegen

Als im Sommer 2015 der Kopf des jemenitischen Al-Qaida-Ablegers – Al-Qaida in the Arabian Peninsula (AQAP), der als die gefährlichste Filiale des globalen Terrornetzwerks gilt – durch eine US-Drohne getötet wurde, pries Obamas Regierungssprecher den Mord mit den Worten, Wuhayshis Tod „bringt uns dem Ziel näher, diese Gruppe zu zersetzen und schlussendlich zu vernichten.“

Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob die Obama-Regierung diesen Unfug tatsächlich glaubt, wenn mit Juan Zarate – oberster Antiterror-Berater des ehemaligen Präsidenten George W. Bush – selbst ein politischer Falke erster Güte einräumt, dass der Mord an AQAP-Chef Wuhayshi „kaum Relevanz“ hatte und im Gegenteil die Terrorgruppen im Jemen vielmehr stärken würde.

Die hier dargelegten Beispiele und Analysen machen deutlich, dass der „Krieg gegen den Terror“ ein endloser Irrweg ist, ein logischer Zirkelschluss. Denn er nährt sich selbst, er hält sich selbst am Leben. Dass bereits der Begriff „Krieg gegen den Terror“ ein Oxymoron ist, scheint uns durch seine mediale Omnipräsenz, wohl überhaupt nicht mehr bewusst zu sein: Gewalt soll irrwitzigerweise durch noch mehr Gewalt ausgelöscht werden. Doch Terror schafft immer neuen Terror, US-Terror schafft islamistischen Terror, schafft weiteren Terror, schafft noch mehr Terror.

Der Weg ist das Ziel, er ist längst zum Selbstzweck verkommen. Das Ziel selbst ist so abstrakt geworden, dass es in die Bedeutungslosigkeit verbannt wurde, es spielt zwar weiterhin für die moralische Legitimation des ganzen Abenteuers eine fundamental wichtige Rolle, hat jedoch schon lange keine praktisch-technisch-strategische Relevanz mehr. Die USA als selbsternannter Terroristenjäger #1 sind lange vom Pfad abgekommen, sie sind auf unpässlichen Irrwegen unterwegs, wild um sich schlagend wie ein bockiges Kind, weit abseits jeglicher Vernunft.

Die Frage mag äußerst naiv erscheinen, ist jedoch vollkommen ernst zu verstehen: Warum machen die USA immer weiter und weiter, töten durch illegale Drohnenangriffe einen vermeintlichen Terrorführer nach dem anderen, obwohl dieses Vorgehen meist gar keine oder immer öfter extrem nachteilige, blutige Auswirkungen hat?Eingebetteter Medieninhalt

Das Wichtigste im Überblick:

  • Taliban-Führers Mansour wurde durch eine US-Drohne hingerichtet. Präsident Obama spricht von einem “wichtigen Meilenstein”.
  • Mansours Nachfolger Haibatullah Akhundzada gilt als extrem radikaler Geistlicher.
  • Ein Selbstmordanschlag in Kabul folgte auf seine Ernennung. Zehn Gerichtsangestellte und Zivilisten sterben.
  • Die wissenschaftliche Forschung belegt, dass die Exekution von Terrroristenführern entweder keine, meistens jedoch extrem nachteilige Konsequenzen mit sich zieht.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

Jakob Reimann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden