Refugees Welcome? Not in Deutschland!

Gewalt gegen Flüchtlinge Die aktuelle Gewalt von rechts nimmt erschreckende Ausmaße an. Die Exzesse der „besorgten Bürger“ müssen endlich als das bezeichnet werden, was sie sind: Terrorismus

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Refugees Welcome? Not in Deutschland!

Bild: Jakob Reimann

Was wir in den letzten Tagen und Wochen erleben, erinnert unweigerlich an die Gewaltexzesse Anfang der 90er Jahre, als wie in Rostock-Lichtenhagen Flüchtlingsheime in Deutschland brannten. Die Gewalt scheint dieser Tage erneut zu eskalieren.

Eine lagerübergreifende, lose Bewegung ergeht sich im Hass auf alles Fremde. Rassismus als Bindeglied zwischen Bürgerlichen und Nazis. Vor allem auch im Internet formiert sich eine regelrechte Kultur des Hasses auf Flüchtlinge.

Hunderte Seiten schießen wie braune Pilze aus dem Boden, auf denen sich Rassisten tummeln und ihre stumpfen Ansichten verbreiten, offen zur Gewalt und Mord aufrufen oder sich zu „Bürgerwehren" zusammenschließen. All dies sind Auswüchse einer zutiefst beunruhigenden bundesweiten Entwicklung.

(Das erbärmlich-lächerliche Video der NPD aus Trier ist da nur die tragikomische Spitze des medialen Eisbergs.)

Zeugnis der Schande

Die Liste von Drohungen, Brandanschlägen und Übergriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterstützer der letzten Monate ist unerträglich lang.

In Tröglitz, Sachsen-Anhalt, wurde nach wöchentlichen Protesten Tausender Rassisten ein zukünftiges Flüchtlingsheim von Nazis in Brand gesetzt. Der Bürgermeister von Tröglitz erlag der massiven Einschüchterung vonseiten der Nazis und ist nach Gewaltandrohungen gegen seine Familie zurückgetreten.

Das kleine Städtchen Freital nahe Dresden steht seit Langem im medialen Fokus, wöchentlich versammeln sich hier Hunderte, Tausende „besorgter Bürger" um gegen ein Flüchtlingsheim zu demonstrieren. Freital wurde zum Magnet für gewaltbereite Nazis aus ganz Sachsen. Bürgerwehren formieren sich, Linke werden sie „tanzen lassen".

Die Gewalt entlud sich dann auch recht schnell. Nach wiederholten Morddrohungen gegen ihn wurde schließlich das Auto des Stadtrats der Freitaler Linken, Michael Richter, in die Luft gesprengt. Wer hat ernsthaft einen Terroranschlag wie diesen in Deutschland wieder für möglich gehalten?

In Dresden gibt es im gesamten Stadtgebiet massiven Leerstand von Gebäuden, die bürgerlich-konservative Stadtregierung hat sich jedoch dafür entschieden, Hunderte Flüchtlinge in ein zentrales Zeltlager auf der Bremer Straße zu pferchen. Es häufen sich Zeugenberichte, die belegen, dass Menschen, die zum Schutz des Zeltlagers in der Nacht Mahnwachen abhalten, von vermummten Nazis attackiert werden und die sächsische Polizei unfähig oder nicht willens ist, diese zu schützen.

Bereits vor Einzug von Flüchtlingen in das Zeltlager kam es zu Demonstrationen und Angriffen von rechts. Nicht nur, dass sich der Hass der Nazis an linken Gegendemonstranten entlud - daran sind wir in Dresden gewöhnt - der eigentliche Skandal sind Drohungen und Steinwürfe gegen die Helfer vom Deutschen Roten Kreuz, das die Organisation des Zeltlagers durchführt. DRK Sachsen-Chef Rüdiger Unger zeigte sich fassungslos:

„So etwas haben unsere Rot-Kreuz-Helfer noch nie auf der Welt bei humanitären Einsätzen erlebt."

In Mali und Uganda kann das DRK seinem Job nachgehen und notleidenden Menschen helfen, in der Weltkulturstadt Dresden aber werden die Helfer mit dem Tode bedroht und von Nazischlägern attackiert.

Was ist bloß los in diesem Land, wenn Menschen Menschen, die Menschen helfen, mit Steinen und Flaschen attackieren?

Infantile Argumentation

In so ziemlich jedem Beitrag zum Thema refugees findet sich in den Kommentarspalten die übelste rassistische Hetze. Ob auf konservativ-bürgerlichen Seiten, progressiveren Blättern oder Til Schweigers privatem Facebook-Profil - der Hass auf Flüchtlinge bricht sich flächendeckend Bahn im www. Und es sind immer dieselben infantilen Argumente.

Neben völkisch-paranoiden Ängsten um die Verunreinigung deutschen Blutes (großzügigerweise auch manchmal des mittel- bis nordeuropäischen Blutes) mit afrikanischem und vor allem muslimischem Blut, wird vor allen anderen ein „Argument" gegen Flüchtlinge gebetsmühlenartig vorgetragen: fehlendes Geld.

Solange es deutschen Rentnern, deutschen Hartz4-Empfängern, deutschen Obdachlosen und deutschen Kindern schlecht geht, dürfe kein Geld für Flüchtlinge verschwendet werden, so die infantile Argumentation.

Doch erst einmal weg vom rassistischen Gebrubbel, hin zu den Fakten:


Das Statisthttp://images.huffingtonpost.com/2015-08-09-1439153620-935323-Bundeshaushalt2011_S-thumb.jpgische Bundesamt sagt, im Jahre 2011 wurden 908 Millionen Euro für Asylsuchende ausgegeben. Das klingt nach viel Geld, ja, doch sind es gerade einmal 0.3% des gesamten Bundeshaushalts. Die Summe der ausgezahlten Sozialleistungen hingegen macht den mit Abstand größten Anteil vom Kuchen aus, und ist 144 Mal so groß.

Wie genau also, lieber Nazi, soll denn durch Einsparungen bei Flüchtlingen der Sozialhaushalt erhöht werden?

Natürlich sind die Renten in Deutschland zu gering, und natürlich ist das Hartz4-System eine Katastrophe. Aber glauben die Flüchtlingshasser ernsthaft, dass ihre Sozialleistungen steigen würden, wenn es in Deutschland keine Flüchtlinge mehr gäbe? Glauben sie allen Ernstes, der bei Flüchtlingsheimen eingesparte Euro wanderte in ihre Tasche? Wenn ja, sind sie mit ungeheurer Naivität und pudelgleichem Glauben an den Altruismus der Regierung gesegnet.

Es herrscht ein erbitterter Krieg. Doch dieser Krieg ist nicht der der Nationalitäten oder Religionen, es ist national wie global der Krieg Arm gegen Reich, wie es der dritt reichste Mensch der Welt offen zugibt. Es ist der Kapitalismus, der in den Industrieländern eine prekäre Unterschicht hervorbringt und in den so genannten Entwicklungsländern vollständig marginalisierte Bevölkerungsschichten, die getrieben von Hunger und Krieg in der Flucht allzu oft den letzten Ausweg sieht. Wenn die eine Gruppe auf die andere losgeht, festigt das die zu Grunde liegenden Konfliktstrukturen, weil es die eigentlichen Frontlinien verschleiert.

Es tut mir ja sehr leid, lieber Flüchtlingshasser, doch in diesem Krieg stehst du auf derselben Seite wie dein gehasster Flüchtling. Ihr seid beide die Verlierer in diesem Kampf. Wenn du tatsächlich denkst, ohne Flüchtlinge hättest du ein besseres Leben, entlarvt das doch eigentlich nur, wie erbärmlich dein Leben in Wahrheit ist. Denn du brauchst jemanden, auf den du herabspucken kannst, um dich selbst emporzuheben.

„Solange es Leute gibt, die nichts können, nichts wissen und nichts geleistet haben, wird es auch Rassismus geben. Denn auch diese Leute wollen sich gut fühlen und auf irgendetwas stolz sein. Also suchen sie sich jemanden aus, der anders ist als sie und halten sich für besser. Oder sie sind bekloppterweise stolz darauf, ‚Deutsch' zu sein, wozu keinerlei Leistung ihrerseits nötig war." - Farin Urlaub

Das ist sicher richtig, was der Die Ärzte Sänger von sich gibt. Doch ist das alles? Ist es wirklich einzig die Dummheit des pöbelnden Mobs allein? Nazis und andere Rassisten, sie entstehen nicht im luftleeren Raum. Neben dem privaten Umfeld und den persönlichen Gründen, warum jemand mit Stimme und Brandsatz gegen Flüchtlinge vorgeht, sind es in der öffentlichen Sphäre vor allem zwei Akteure, denen flächendeckendes Versagen und damit geistiges Mitzündeln vorgeworfen werden muss: Politik und Medien.

Die Politik - geistige Brandstiftung,
virtuoses Nichtstun

Geistige Brandstifter dieser Entwicklung finden wir nicht nur im Netz und beim braunen Fußvolk, sondern vor allem auch in der Bundespolitik. Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) wünscht sich in diesen Zeiten „ein patriotisches Selbstverständnis" und sieht in der deutschen Nation die „Bindekraft für breite Teile der Bevölkerung". Angela Merkel und Bundesinnenminister de Maiziere brillieren angesichts der Gewaltexzesse deutscher Nazis durch virtuoses Nichtstun, so als könnte der braune Terror einfach ausgesessen werden.

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) baut zwei Abschiebelager für Flüchtlinge aus dem Balkan. Diese Menschen sind meist Sinti und Roma. Mit der schändlichen deutschen Geschichte im Hinterkopf ist es ein Skandal, dass ein deutscher Politiker wieder Lager für Sinti und Roma baut!

Sachsen ist aktuell das Zentrum der Gewalt. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verkündet, der Islam gehöre nicht zu Sachsen und schüttet damit Wasser auf die Mühlen der Rassisten.

Der für die Sicherheit verantwortliche sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) war seines Zeichens im Sommerurlaub, als die Lage um die Dresdner Zeltstadt eskalierte. Auf den Seiten von Ulbigs Innenministeriums findet sich ein Grundsatzpapier zum Umgang mit Rechtsextremismus in Sachsen.

„Die Sächsische Staatsregierung begegnet dem Rechtsextremismus mit großer Entschlossenheit." heißt es darin, und die Rede ist von „...konsequente[r] Verfolgung strafbarer Handlungen mit rechtsextremistischer Motivation." Für Menschen, die sich auch nur entfernt mit der Problematik Nazigewalt in Sachsen und der desaströsen Rolle der Polizei beschäftigen, ist dieses Dokument blanke Realsatire.

Die Medien - „Nennt sie endlich Terroristen!"

Nazis rufen im Internet zur Gewalt auf, verüben Brandanschläge auf zukünftige Flüchtlingsunterkünfte und sprengen das Auto eines Lokalpolitikers in die Luft. Angesichts dieser ausufernden Gewalt schließe ich mich voll und ganz Sascha Lobo an, der die Medien auffordert:

„Nennt sie endlich Terroristen!"

In diesen Medien werden sie jedoch auf fast schon kriminelle Art und Weise als „besorgte Bürger" oder „Asylkritiker" verharmlost. Diese Bagatellisierung verleiht ihrem Hass Legitimität, so als wäre die von ihnen verbreitete Pogromstimmung Ausdruck einer berechtigten Sorge.

Wer weiterhin den rassistischen Mob als „besorgte Bürger" bezeichnet und brandschatzende Nazis als „Asylkritiker", legitimiert damit ihren hasserfüllten Rassismus und legitimiert in der Konsequenz ihre mörderische Gewalt. Wenn der Focus auf seiner Titelseite in fetten Lettern gegen „falsche Flüchtlinge" hetzt, befeuert er damit die Gewalt auf der Straße. Denn wer „falsch", also unzulässig hier ist, für dessen Abschiebung ist jedes Mittel recht. Diese Berichterstattung liefert dem braunen Mob seine Argumente, rüstet sie aus.

Es wurde über Monate hinweg ein geistig-mediales Umfeld geschaffen, in dem Rassismus und Hass weiter gedeihen können. Angefangen mit der Pegida-Berichterstattung wurde durch die Mär von den „besorgten Bürgern" ihr Rassismus medial salonfähig gemacht.

Wenn der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, so scheint die Denke der Medien, müssen wir ihn doch nicht mehr Rassismus nennen, wir können ihn doch einfach Sorge nennen. Mit dieser Taktik wurde Fremdenhass aus der braunen Ecke herausgeholt. Wenn die Medien nicht gegen rassistisches Gedankengut anschreiben, sondern es im Gegenteil schönschreiben, verraten sie ihre freiheitlichen Grundwerte und machen sich zu geistigen Komplizen des rechten Terrors.

Diesen Medien werfe ich hier Totalversagen vor.

Wir dürfen nicht zulassen, dass Nazis die Berichterstattung und den Diskurs bestimmen. Es verfestigt sich sonst leicht der Eindruck, Deutschland ist komplett von Rassisten überschwemmt. Das ist nicht so. Überall sind es immer auch Menschen, denen es das Herz zerreißt bei dem, was mit Flüchtlingen passiert. Und die sich für ihre Sicherheit und ihre Rechte einsetzen. Auf ihnen muss der Fokus liegen.

Wir müssen aufhören, beim Thema Flüchtlinge nur von Finanzierbarkeit und Arbeitsplätzen, und Unterbringung und vermeintlicher Überfremdung zu reden. Hinter jedem Flüchtling verbirgt sich eine Einzelgeschichte. Die Menschen in diesen Geschichten müssen wir sehen. Sie sind in Not und suchen nach Sicherheit. Die müssen wir ihnen geben. End of Story.

Ursprünglich erschien dieser Beitrag am 6.8.2015 auf justicenow.de

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

Jakob Reimann

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