Trump, May und Macron sind Kriegsverbrecher

Vergeltung in Syrien Der Westen hat etwa dieselbe moralische Autorität, sich über Giftgasangriffe zu empören, wie Jack the Ripper zur Empörung über Sexualmassenmord im Viktorianischen London.

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Es begann mit einem grauenhaften Giftgasangriff.

Die „Verbrechen eines Monsters“ oder Fake News?

Ost-Ghouta ist die letzte größere Enklave des Widerstands gegen Syriens Präsident Bashar al-Assad, in der sich in erster Linie dschihadistische Terroristen (nach westlichem Mediennarrativ: Rebellen) einen erbarmungslosen Kampf gegen syrische Truppen liefern, in dem sich beide Seiten Kriegsverbrechen schuldig machten. Tausende Menschen wurden hierbei in den letzten Wochen getötet, Ärzte ohne Grenzen zählte allein in den von ihr betriebenen Krankenhäusern „mehr als 1.000 Tote und 4.800 Verletzte“.

Im März kam es schließlich zu einem Deal, unter dem die Mehrheit der in Douma verbliebenen Dschihadisten und deren Familien nach Idlib im Norden ausgefahren wurden. Lediglich einige Kämpfer der von Saudi-Arabien unterstützten Terrorgruppe Dschaisch al-Islam verschanzten sich in Douma. Am 7. April kam es schließlich zu einem Giftgasangriff, dessen Umstände noch ungeklärt sind. Angaben über Opferzahlen schwanken von 40 bis zu 150 Toten, Hunderte mehr wurden verletzt.

Syrische und russische Regierungsstellen behaupteten, es hätte überhaupt keinen Angriff gegeben. Moskau beschuldigt die britische Regierung, mit Hilfe der syrischen Weißhelme die Giftgasangriffe inszeniert zu haben. Russlands Außenminister Sergej Lawrow gab an, er habe „unwiderlegbare Beweise dafür, dass dies ein weiterer inszenierter Vorfall war“, ohne diese jedoch zu präsentieren.

Für die westlichen Staaten stand der Täter von Anfang an fest: Bashar al-Assad und dessen Protegés in Moskau und Teheran. US-Präsident Trump beschuldigte via Twitter „Animal Assad“, für den „Putin, Russland und Iran“ verantwortlich wären. Auch sprach Trump von den „Verbrechen eines Monsters“.

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Ein gefährliches rhetorisches Säbelrasseln wurde in Gang gesetzt.

Das Spiel mit dem Feuer

Trumps UN-Botschafterin Nikki Haley erklärte, die USA würden auf den mutmaßlichen Giftgasanschlag „antworten“, egal ob der UN-Sicherheitsrat handle oder nicht. Trump kündigte auf Twitter Raketenangriffe gegen Syrien an, woraufhin das syrische Militär die wichtigsten Basen evakuierte. Russland erklärte, es werde „US-Raketen und sogar den Punkt, von dem die Raketen abgefeuert wurden, abschießen.“ Trump twitterte daraufhin, Russland solle sich „bereit machen” für die „schönen, neuen und smarten!“ Raketen, woraufhin das russische Außenministerium antwortete, Trumps „smarte Raketen sollten lieber auf Terroristen fliegen, nicht auf [Syriens] rechtmäßige Regierung.“

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In der Nacht zum Samstag machte Trump seine Drohung schließlich wahr und feuerte in einer Dreierkoalition zusammen mit Frankreich und Großbritannien aus der Luft und von der See aus über 100 Raketen auf drei strategische Positionen in Damaskus und Homs, die nach Angaben der US-Regierung zur Herstellung und Lagerung von Chemiewaffen dienen sollen. Laut Trump war das Ziel des Angriffs, „eine starke Abschreckung gegen die Produktion, die Verbreitung und die Benutzung chemischer Waffen herzustellen.“

Syrische Medien berichten von drei verletzten Zivilisten, sowie sechs verletzten Soldaten. Das russische Militär gab an, die syrische Luftabwehr – die maßgeblich von Russland eingerichtet wurde – habe „71 der 103 Cruise-Missiles abgefangen“, während das Pentagon angab, alle Raketen hätten ihr Ziel erreicht.

Trumps UN-Botschafterin Nikki Haley erklärte vor dem UN-Sicherheitsrat, die Luftschläge gegen syrische Einrichtungen seien „keine Rache, keine Bestrafung, keine symbolische Machtdemonstration“, sondern dass die US-Koalition „gehandelt hat, um den künftigen Einsatz chemischer Waffen zu verhindern, indem wir das syrische Regime für seine Gräueltaten gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung gezogen haben.“

In einer George-Bush-Reminiszenz twitterte Donald Trump „Mission accomplished!“, und bedankte sich bei der französischen und der britischen Regierung. Bundeskanzlerin Merkel befürwortete die Angriffe als „erforderlich und angemessen“ und unterstützt es, dass „unsere amerikanischen, britischen und französischen Verbündeten … in dieser Weise Verantwortung übernommen haben.“ Auch die israelische Regierung bekundete ihre „vollste Unterstützung“ für den Angriff und lobte „Trumps Entschlossenheit“.

Die syrische Regierung verurteilte den Angriff hingegen als „barbarische und brutale Aggression“ und Syriens Präsident Assad erklärte, „die Aggression wird Syrien und die Syrer noch entschlossener machen, weiterzukämpfen.“

„Wir haben davor gewarnt, dass solche Handlungen nicht ohne Konsequenzen bleiben werden“, erklärte die russische Botschaft in Washington in einem Statement. Auch der Iran warnte nach dem Angriff vor „regionalen Konsequenzen“.

Die Beziehungen des Westens zu Russland sind so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Entgegen dem Gerede von Trump als „Putins Marionette“ eskaliert Trump an sämtlichen Fronten den Konflikt zu Russland.

Was auch immer jede einzelne moralisch von dem Angriff halten mag, es sei darauf hingewiesen – auch wenn dies unserer Tage keinerlei Relevanz zu haben scheint – dass er illegal war. Weder waren die drei angreifenden Staaten einer Selbstverteidigung legitimierenden Bedrohung ausgesetzt, noch gab es eine Handlungsanweisung des UN-Sicherheitsrates.

Am 14. April brachen die USA, Großbritannien und Frankreich das Völkerrecht. Donald Trump, Theresa May und Emmanuel Macron sind Kriegsverbrecher.

Schurkenstaaten und das Völkerrecht

„Wir haben Beweise dafür, dass letzte Woche Chemiewaffen … vom Regime von Bashar al-Assad eingesetzt wurden,“ erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Tage nach dem Giftgasangriff in Douma vom 7. April und veröffentlichte am Samstag einen Bericht des französischen Geheimdienstes, der eben diese „Beweise“ enthalten und damit Militärschläge gegen Assad rechtfertigen soll.

Nach sorgfältiger Lektüre des seitenlangen Geheimdienstberichts ergibt sich mir nur ein Problem: Er enthält nicht einen einzigen Beweis für eine Täterschaft der syrischen Regierung, keinen einzigen Punkt, der von einem Gericht nicht als bloße Mutmaßung abgewiesen werden würde. Der Bericht ist gespickt mit Unterstellungen, vermeintlichen Plausibilitäten und Anschuldigungen gegen Assad, zusammengeschustert in einer dilettantischen Art und Weise, wie sie dem Geheimdienst eines der mächtigsten Länder der Welt schlicht unwürdig ist. USA Today, BILD und FAZ verbreiteten neben anderen die Fake News des französischen Geheimdienstberichts.

Am Samstag entsandte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) schließlich ein Team nach Syrien, um mit wissenschaftlichen Mitteln die Täterschaft für den Giftgasangriff vom 7. April zu untersuchen und der Welt im Anschluss ihre Ergebnisse mitzuteilen. 1. Vorwurf, 2. Ermittlung, 3. Schlussfolgerung: Ein Mechanismus, der den zivilisierten Rechtsstaaten dieser Welt per Definition geläufig sein sollte, von den kriminellen Regierungen in Washington, Paris und London (und deren Cheerleadern in Berlin, Tel Aviv und andernorts) jedoch mit Füßen getreten wird. Das Timing hätte kaum exemplarischer für die Missachtung des Westens für das Völkerrecht sein können: das OPCW-Team traf wenige Stunden nach dem Vergeltungsschlag des Westens in Syrien ein.

Das Weiße Haus bezeichnet Länder wie Syrien, Iran und Nordkorea gern als „Schurkenstaaten“, da diese sich nicht an das internationale Völkerrecht halten würden. Doch der US-geführte Westen nimmt für sich selbst das Recht in Anspruch, in Gänze über eben diesem Völkerrecht zu stehen. Der größte Völkerrechtsverletzer seit Adolf Hitler ist die Institution des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der angefangen mit der Vernichtung Nordkoreas in den 1950ern bis zur Vernichtung von Raqqa 2017 eine Blutspur über die Welt zieht. Eine Empörung dieses Präsidenten über Kriegsverbrechen anderer Regierungen kann kein politisch interessierter Mensch ernst nehmen.

Der Westen und die Chemiewaffen

Besonders zynisch ist die Empörung des Westens über Giftgasangriffe in Syrien wie der jüngste in Douma, denn die Geschichte des Giftgases ist eine westliche – allen voran eine deutsche Geschichte:

Es waren deutsche Firmen wie Bayer, BASF und Hoechst, die die chemische Kriegsführung großmachten, mit der Zweiten Flandernschlacht im Ersten Weltkrieg als weltweit erstem Masseneinsatz von Giftgas. Das Zyklon B der BASF-Tochter Degesch richtete in den Gaskammern der Nazis über eine Million Menschen hin.

Die deutsche Karl Kolb GmbH setzte Saddam Hussein in den frühen 1980ern die zu diesem Zeitpunkt modernste Chemiewaffenanlage der Welt in die irakische Wüste. Den verheerendsten Giftgasangriff auf Zivilisten in der Geschichte der Menschheit – Saddams Giftgas-Massaker auf Halabja mit über 5.000 Toten – hätte es ohne Deutschland nicht gegeben. Nachdem deutsches Giftgas zentral in der versuchten Auslöschung des Judentums war, ermöglichte es vier Jahrzehnte nach Hitler den Genozid an den Kurden im Nordirak.

Auch half Deutschland massiv am Aufbau des syrischen Giftgasprogramms mit – exakt jenes Gas also, das für die grauenhaften Bilder aus Syrien der letzten Jahre verantwortlich ist. Bauten deutsche Firmen in den 1980ern und 90ern Giftgasanlagen in Syrien, war es vor allem die fahrlässige Ausfuhrpolitik von Dual-Use-Gütern der Bundesregierungen der letzten 20 Jahre, die die Herstellung von syrischem Sarin möglich machten.

Und schließlich waren deutsche Konzerne auch am Aufbau des libyschen Chemiewaffenprogramms maßgeblich beteiligt und bauten für Gaddafi eine Sarin- und Senfgasfabrik in Rabta südlich von Tripolis, die US-amerikanische Analysten als die „größte Chemiewaffenfabrik der Dritten Welt“ bezeichneten.

Der Tod war, ist und bleibt ein Meister aus Deutschland.

Nachdem die USA mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki den größten und widerwärtigsten Einsatz von Massenvernichtungswaffen aller Zeiten zu verantworten haben, geht auch der größte Einsatz von Chemiewaffen in der Menschheitsgeschichte auf Washingtons Konto: der Ökozid in Vietnam. 76,000,000 Liter Chemikalien ließen die USA auf Vietnam niederregnen, hauptsächlich Agent Orange, das als Verunreinigung Dioxin enthält, welches auch 40 Jahre nach Kriegsende weiterhin für Leukämie und schwerste Missbildungen bei Neugeborenen sorgt.

Bei der sogenannten „Befreiung“ der syrischen Stadt Raqqa vom IS im vergangenen Jahr wurde die Stadt nicht nur in weiten Teilen buchstäblich pulverisiert, sondern wurden neben weiteren schwersten Kriegsverbrechen der US-Koalition auch Chemiewaffen eingesetzt: Weißer Phosphor, „der sich durch Fleisch und Knochen brennt“, wurde auf Wohnviertel abgeworfen; ebenso wie im irakischen Mossul geschehen. Auch die israelische Regierung setzte in ihren Kriegen gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens wiederholt weißen Phosphor ein.

Nachdem Russland 2017 seine letzten Chemiewaffen vernichtet hat, sind es anno 2018 die USA selbst, die im Besitz der weltweit größten Vorräte an Chemiewaffen sind.

Die moralische Autorität von Jack the Ripper

Die voranstehende Auflistung mag einigen Leserinnen wie Whataboutism in Reinform erscheinen – was ich gut verstehen kann. Was hat der Vietnam-Krieg vor fünf Jahrzehnten schon mit toten syrischen Babys 2018 zu tun? Es geht mir jedoch um die Anprangerung von Doppelstandards und größter Heuchelei westlicher Regierungen. Haben Staaten, die als Täter oder Komplize Verantwortung tragen für faktisch jeden Chemiewaffentoten der letzten 100 Jahre, die moralische Autorität, sich über Giftgaseinsatz zu empören?

Hat Jack the Ripper die moralische Autorität, sich über Sexualmassenmorde im Viktorianischen London zu empören?

Es geht um die moralische Glaubwürdigkeit der USA und deren Juniorpartnern. Und beim Themenkomplex Chemiewaffen haben diese Länder nicht ein Nanogramm moralischer Glaubwürdigkeit. Die Intention hinter Trumps Luftschlägen war nicht die Verhinderung von „Gräueltaten gegen die Menschlichkeit“, sondern eben die drei Punkte, die Nikki Haley vor dem UN-Sicherheitsrat explizit verneinte: Rache, Bestrafung, symbolische Machtdemonstration.

Denn anstatt als „schwach“ zu gelten – für die Kriegstreiber des US-Establishment in Politik wie Medien ist das Gegenteil von Bombenabwerfen: „Schwäche“ – riskiert „der Anführer der freien Welt“ lieber einen offenen Krieg der USA mit Russland, zwei Länder also, in deren Silos 92 Prozent der weltweiten Atomwaffen lagern.

Würde die rechtsradikale Trump-Regierung sich tatsächlich um das Wohlergehen und den Schutz der syrischen Bevölkerung scheren – um das der „wunderschönen Babys“, wie Trump es ausdrückt – so würde sie statt Bomben auf Damaskus Medikamente und Nahrung auf Ost-Ghouta abwerfen. Und vor allem würde sie an die Stelle des zutiefst rassistischen Muslim Ban ein Programm zur Aufnahme von 500.000 syrischen Flüchtlingen setzen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf JusticeNow!.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

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