US-Sanktionen gegen europäische Firmen?

Europas Chance Nach Trumps Ausstieg aus dem Iran-Deal kann das selbstbewusste Festhalten am Deal Europas Schlüssel sein, sich schlussendlich von Washingtons Diktat zu lösen.

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Am vergangenen Dienstag verkündete Donald Trump medienwirksam den seit Beginn seiner Amtszeit angestrebten Ausstieg der USA aus dem Iran-Nuklearabkommen und das Wiedereinsetzen der desaströsen US-Sanktionen gegen den Iran.

Obwohl das ohnehin rein zivil genutzte iranische Atomprogram unter dem Iran-Deal auf ein Minimum heruntergefahren wurde – Reduzierung der Bestände an schwach angereichertem Uran um 98 Prozent auf 300 Kilogramm, die des medium angereicherten Urans auf 0 Kilogramm, die Anzahl der Zentrifugen auf weniger als ein Drittel, die der Hochleistungszentrifugen auf 0 – und das laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) „robusteste Kontrollsystem der Welt“ installiert wurde, ließ Trump erkennen, dass er die Inhalte des Abkommens nicht begreift.

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Der 2015 geschlossene Iran-Deal gilt als Musterbeispiel internationaler Diplomatie, er ist einer der wichtigsten internationalen Verträge des noch jungen Jahrhunderts. Hier die Delegierten der Vertragsparteien der P5+1-Länder, der EU und des Irans in Écublens-Lausanne, Schweiz, am 2. April 2015.

Alle acht Vertragsparteien des Iran-Deals – darunter die Trump-Regierung selbst – sowie die IAEA bescheinigten dem Iran in Dutzenden Untersuchungen stets die vollständige Einhaltung der Vorgaben, dennoch beschwor Trump das Schreckgespenst des „Irrsinns einer iranischen Atombombe“ herauf.

Trump stieß eine weitere Warnung aus, die in seiner Uneindeutigkeit die Welt mit Fragezeichen zurückließ: „Jede Nation, die dem Iran auf seinem Weg zu Atomwaffen behilflich ist, könnte ebenfalls massiv sanktioniert werden.“

Bedeutet gewöhnliches Handeltreiben bereits, „behilflich“ zu sein? Wird Trump europäische Firmen sanktionieren, die in den letzten Jahren Multimilliardengeschäfte mit dem Iran eingefädelt haben?

Auftritt des Kriegstreibers #1: John Bolton

Trumps neuer Sicherheitsberater John Bolton sorgte gestern in einem Interview auf CNN für etwas Klarheit. Doch zunächst einen kurzen Bolton-Kriegstreiber-Crashkurs:

John Bolton war Teil oder Kopf etlicher rechtsextremer Neocon-Thinktanks und ist Moderator der rechtsaußen FOX News. Als George Bushs Botschafter bei den Vereinten Nationen war er ein euphorischer Befürworter der illegalen Invasion des Irak 2003 – die er bis heute verteidigt. Er plädierte für den illegalen Regime Change gegen Gaddafi in Libyen 2011 und rief erst vor Kurzem im Wall Street Journal zur illegalen Bombardierung Nordkoreas auf. Vehement fordert er den illegalen Cyberkrieg gegen Russland, China, Iran und Nordkorea – und gegen WikiLeaks als „Zielübung“. 2017 schrieb er im Sydney Morning Herald, die russische Einmischung in die US-Wahl 2016 sei eine „wahrhaftiger kriegerischer Akt, den Washington niemals tolerieren wird“ und impliziert seine Befürwortung für einen illegalen Krieg gegen Russland. 2017 versprach Bolton auf einer Tagung der Iranischen Volksmudschaheddin – einer terroristischen Sekte aus Exil-Iranern – in Paris den illegalen Regime Change im Iran noch „vor 2019“ und forderte bereits 2015 in einem Op-Ed in der New York Times die illegale Bombardierung des Iran.

Es gibt schlicht und ergreifend keinen Krieg auf diesem Planeten, den John R. Bolton nicht kämpfen will – allen voran ist jedoch der Iran das Target seines Hasses. Er verachtet Völkerrecht und Diplomatie und ist der Ansicht, das US Empire müsse auf der ganzen Welt mit militärischer Gewalt unilateral seine Interessen durchsetzen. Diesen rechtsradikalen Kriegstreiber machte Donald Trump Anfang April schließlich zum US-Sicherheitsberater, dem mächtigsten und einflussreichsten Berater des US-Präsidenten, seine rechte Hand in Fragen der Kriegspolitik.

Bolton beginnt das CNN-Interview mit Echos seines Vorgesetzten Trump und den von beiden unablässig kolportierten Lügen über den Iran-Deal: „[Der Deal] würde den Iran nicht davon abhalten, Atomwaffen zu bekommen. Ganz im Gegenteil, er bot dem Iran die Möglichkeit, seine Bemühungen im Geheimen fortzusetzen.“

Bolton behauptet weiter, der Iran hätte gewisse Vorgaben des Deals verletzt. Auch das ist gelogen. Auf den Einwand des Kommentators, unter allen acht Parteien des Iran-Deals würden die USA in ihrer Opposition vollständig isoliert dastehen, erwidert Bolton, „wir haben die Unterstützung Israels, wir haben die Unterstützung der arabischen ölproduzierenden Monarchien“. Die iranophobe Kriegsachse Washington-Tel-Aviv-Riad bringt sich in Stellung.

Drohender Handelskrieg gegen Europa?

Nach einigen Ablenkungsmanövern fragte CNN’s Jake Tapper Sicherheitsberater Bolton nachdrücklich nach den Implikationen von Trumps Drohung:

CNN: Werden die USA Sanktionen gegen europäische Unternehmen verhängen, die weiterhin Geschäfte mit dem Iran machen?

Bolton: Es ist möglich.

Bolton bestätigte also schlussendlich, worüber die letzten Tage spekuliert wurde: Die USA erwägen Wirtschaftssanktionen gegen ihre engsten Verbündeten in Europa. Wirtschaftlich läuft der Iran-Deal für Europa deutlich positiv, Bolton hingegen bringt wiederholt sein Statement: „Ich denke, die Europäer werden sehen, dass es letztlich in ihrem Interesse liegt, mit uns diesen Weg zu gehen.“

Abgesehen vom diplomatisch-politischen Interesse Europas und der Tatsache, dass die Welt durch den Iran-Deal in einen besseren, weil sichereren Ort verwandelt wurde, liegt auch das ökonomische Interesse klar in der Weiterführung des Deals, die europäische Wirtschaft sehnt sich nach dem Iran-Deal.

Obwohl die Aufhebung der Sanktionen schleppend – und nicht unbedingt nach den erhofften Vorstellungen Teherans – vollzogen wurde, investierten europäische Firmen Multimilliardenbeträge im Iran:

  • Frankreichs Total unterzeichnete einen Deal von knapp 5 Mrd. Dollar zur Erschließung des South Pars-Gasfelds
  • Norwegens Saga Energy investierte 3 Mrd. Dollar in Solaranlagen
  • Frankreichs Airbus schloss einen Deal über 100 Jets an IranAir im Wert von rund 18 Mrd. Dollar ab (erst drei wurden geliefert)
  • Siemens unterzeichnete Millionenverträge zur Modernisierung der iranischen Eisenbahn
  • Italiens FS unterzeichnete einen Deal über 1,4 Mrd. Dollar zum Neubau einer Eisenbahnstrecke
  • Frankreichs Renault investierte massiv, um die jährliche Produktion im Iran auf 350.000 Automobile hochzufahren

Hinzu kommen viele weitere Deals, an denen Zehntausende Arbeitsplätze hängen, die nun alle in Gefahr sind. Das jährliche Handelsvolumen zwischen der EU und dem Iran hat sich im Vergleich zum Zeitraum vor dem Deal auf knapp 21 Milliarden Euro mehr als verdreifacht und stieg allein von 2016 auf 2017 um über 7 Milliarden. Die EU ist nach China und den Vereinigten Arabischen Emiraten zum drittwichtigsten Handelspartner des Iran aufgestiegen.

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Das Handelsvolumen zwischen der EU und dem Iran hat sich zwischen 2013 und 2017 mehr als verdreifacht. Quelle der Daten: European Commission, TRADE, Market Access Database.

Frankreich, Deutschland, Griechenland, Niederlande und Spanien kamen 2017 auf ein Handelsvolumen mit Iran im Wert von teils je weit über 1 Milliarde Euro, Italien mit über 5 Milliarden als Spitzenreiter. Boltons Behauptung, ein Ausstieg aus dem Iran-Deal wäre von Vorteil für Europa, ist schlicht absurd.

Es ist bezeichnend für die Lage unserer Welt, dass im selben Moment, als der wichtigste Berater des US-Präsidenten sein CNN-Interview gibt, der iranische Außenminister Javad Zarif seine diplomatische Welttournee nach Peking, Moskau und Brüssel startete, um sich dort bei den verbleibenden sechs Parteien des Iran-Deals für dessen Fortbestehen einzusetzen: „Der Führer der freien Welt“ ergeht sich in Unilateralismus, in Drohungen, Erpressung und Zwang, während der „Schurkenstaat“ auf der „Achse des Bösen“ unablässig für globale Diplomatie kämpft.

Wie könnte – und sollte – Europa reagieren?

Allen voran die drei Unterzeichnerstaaten des Iran-Deals Deutschland, Großbritannien und Frankreich, sowie die EU – die ebenfalls Vertragspartei des Deals ist – sollten angesichts der unverhohlenen Drohungen aus Washington nun unmissverständlich klar machen, dass sie sich von der Tyrannei des Trump’schen White House nicht einschüchtern lassen und sich der mafiösen Erpressungen des US-Präsidenten nicht ergeben.

Mitte der 1990er plante die Clinton-Administration die Einführung von Sanktionen gegen Firmen, die mit Kuba Handel trieben. Die EU kündigte ihrerseits schwerwiegende Strafsanktionen gegen die USA an und Washington sah sich gezwungen, seine Pläne zu begraben. Ein analoges Prozedere wäre auch anno 2018 denkbar. EU-Bürokraten bereiten die ersten Schritte in diese Richtung bereits vor.

Denn es ist zwar richtig, dass die USA mit knapp 16,9 Prozent der wichtigste Handelspartner der EU ist, vor China mit 15,3 Prozent. Doch selbstredend ist dies keine Einbahnstraße: Denn auch die EU ist der wichtigste Handelspartner der USA, weit vor China auf Platz 2. Im Jahr 2017 betrug der US-EU-Handel stattliche 718 Milliarden Dollar, der mit Europa insgesamt gar 840 Milliarden. Und mit 18,5 Prozent Anteil am gesamten Handelsvolumen der USA ist die Abhängigkeit der USA gegenüber der EU gar leicht höher als andersherum.

Das Schwergewicht in Sachen Androhung von Sanktionen liegt also in Europa, nicht in den USA.

Es versteht sich von selbst, dass niemandem ernsthaft an einem Wirtschaftskrieg mit den USA gelegen sein kann. Doch insbesondere in diesen historischen Zeiten, in denen Donald Trump mit einem Projekt nach dem anderen die Welt in Brand setzt, steht viel mehr auf dem Spiel als Handelsbilanzen und Exportüberschüsse: Europas noch teilweise vorhandene Integrität, seine Souveränität, sein Restrückgrat sind massiv in Gefahr. Ein Einknicken unter Trumps Rowdytum und ein Fallenlassen des Iran zugunsten einer unterwürfigen falschen Freundschaft mit den USA würde die transatlantische Impotenz Europas und dessen Duckmäusertum gegenüber Washington auf ungekannte Sphären katapultieren.

Positiv formuliert lautet die gegenwärtige Situation hingegen: Mit seiner mafiösen Einschüchterungstaktik bietet Trump Europa die einmalige Chance, die Ära der jahrzehntelangen Unterwerfung unter Washingtons Diktat zu überwinden und schlussendlich eine eigenständige, selbstbewusste und europäische Politik zu betreiben.

Das unmissverständliche Festhalten am Iran-Deal kann der Schlüssel zur Emanzipation des europäischen Kontinents von den Damen und Herren in Washington sein.

Dieser Artikel erschien zuert auf JusticeNow!.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Reimann

Auf meinem blog justicenow.de setze ich mich kritisch mit den Themen Kapitalismus, Krieg und Rattenschwanz auseinander. Herrschaftsfrei, gewaltfrei!

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