Eine Stadt für viele Pins

Eventkritik Die Berliner Grünen präsentieren auf einer Loft-Baustelle ihre neue Mitmachkampagne. Auf einem Stadtplan sollen die Bürger eintragen, wo sich überall etwas ändern müsste

Freitagvormittag auf dem Berliner Moritzplatz. Vor dem Modulor-Haus, einem "Kreativ-Kaufhaus" in Kreuzberg, stehen drei junge Männer. Sie tragen grüne T-Shirts, auf denen "Eine Stadt für alle. Zwei helfende Hände" steht. Auf dem Bürgersteig steht prominent das Wahlplakat von Renate Künast, die sich bei den Wahlen im September zur Regierenden Bürgermeisterin wählen lassen will. Vom Erdgeschoss aus führt eine Treppe in den ersten Stock, mit grünem Klebeband ist eine Bahn nach oben geklebt, die wohl den Weg zur Pressekonferenz weisen soll. Man wird dann aber an den Fahrstuhl verwiesen. Die Grünen haben hierher eingeladen, um ihre neue Online-Kampagne vorzustellen. "Ein Novum in Sachen Online-Kommunikation mit dem Wähler", versprich die Ankündigung.

Das Modulor-Haus sei ein wunderbarer Ort, wird Renate Künast später sagen. Es stehe für "die drei Ks" – nicht "Kinder, Kirche, Kochen", sondern "Kunst, Kultur, Kiez". Es steht wohl auch ein bisschen für K wie Klientel der Grünen, die sich hier wohl fühlt: urban und kreativ. Der erste Stock des Hauses, ein offener, Loft-ähnlicher Raum, genießt den Charme des Unfertigen, Farbspritzer auf dem Boden, unverputzte Wände. Spartanisch, aber schick eingerichtet. Das Holzregal, auf dem in einer Seite des Raumes Kaffeetassen stehen, sieht aus wie aus dem Manufactum-Katalog. Durch eine Glastür sieht man in den Raum nebenan, in dem regaleweise Farben stehen. Das Leben ist bekanntlich eine Baustelle – also warum nicht auch dauerhaft in einer arbeiten und leben? So viel Berlin-Klischee muss dann schon sein.

Bevor es losgeht, gibt es noch eine dringende Durchsage: Ein schwarzer Audi stehe in der Feuerwehreinfahrt, der Besitzer möge ihn bitte wegfahren.

Die Kandidatin versucht, leiser zu sprechen

Dann tritt Renate Künast auf. Sie setzt im lauten Wahlkampf-Ton an, merkt, dass dieser hier seltsam deplatziert wirkt und korrigiert sich selbst. "Ich muss leiser sprechen", sagt sie. Künast erzählt ein bisschen über Berlin, das Modulor-Haus, spannt dann den Bogen zum Wahlkampf. Sie bemüht das alte Willy-Brandt-Zitat, nicht ohne aber ihre Weiterentwicklung hinzuzufügen: Die Maxime "Mehr Demokratie wagen" sei überholt, es müsse heute heißen: "Demokratie anders und besser wagen." Künast redet über Großprojekte, die als alternativlos bezeichnet und einfach gebaut würden, ohne dass die Bevölkerung mitsprechen könne. Sie nennt Stuttgart 21 nicht beim Namen, aber jeder weiß, was gemeint ist.

Der Berliner Wahlkampfmanager der Grünen, Heiko Thomas, zählt ein paar Zahlen zum Online-Wahlkampf auf – welche Gruppen wie aktiv sind im Netz, wie viele Leute glauben, im Netz könne man politisch etwas bewegen. Nach Thomas’ Zahlen sieht es gut aus für die Grünen: Im Netzt politisch aktiv sind vor allem junge Leute – und sie wählen vor allem Grün.

"Da-müssen-wir-ran"-Pins

Dann stellt Daniel Kruse, Geschäftsführer der Online-Agentur Nest, die neue Online-Kampagne vor. Sie heißt "Mit Sprache Stadt" und funktioniert so: Auf einer Stadtkarte von Berlin sollen Bürger Punkte markieren, an denen ihrer Meinung nach etwas zu tun ist. Das Ganze sieht aus wie die Karte eines Navigationssystems, mit vielen Pins, nur dass es sich eben nicht um Start- oder Zielpunkte handelt, sondern um die "Da-müssen-wir-ran"-Pins, die man von den Wahlplakaten der Partei kennt. Jeder kann einen solchen Beitrag einreichen, jeder kann einen Ort auswählen und einen Auftrag oder eine Frage stellen. Man kann sich den Abgeordneten eines Wahlkreises genauer anschauen, mit persönlichem Profil, teilweise mit Facebook-Kontakt und Handy-Nummer. Das Tool ist eine Mischung aus Geo-Mapping und Social Media.

Als Kruse am Ende vorne steht und "noch eine Sache" ankündigt, wirkt er ein bisschen wie Steve Jobs, wenn er die neuesten Produkte aus dem Hause Apple präsentiert. Im Publikum zücken dann auch alle ihr iPhone, um die entsprechende App zur "Mit Sprache Stadt" auszuprobieren.

Am Ende fragt eine Frau aus dem Publikum, welche Zielgruppe die Partei denn erreichen wolle. Ob wirklich jeder online sei, oder ob es auch Leute gebe, denen dieser Zugang verwehrt bliebe. Darauf antwortet Wahlkampfmanager Thomas, dass mittlerweile auch viele alte Menschen im Internet unterwegs seien. Er hat die demografische Frage beantwortet, nicht die soziale.

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Geschrieben von

Jakob Rondthaler

Online-Redakteur, Blogger

Jakob Rondthaler

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