Jeder Song war ein kleines Jahrhundert

Pop-Musik Jede Menge tolle Alben sind 2019 erschienen. Doch „Was passiert ist“ der Hamburg Band Die Heiterkeit war das großartigste

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Sängerin Stella Sommer ist die Konstante der Band „Die Heiterkeit"
Sängerin Stella Sommer ist die Konstante der Band „Die Heiterkeit"

Foto: imago images/Votos-Roland Owsnitzki

Als die Band Die Heiterkeit im Jahr 2012 ihr Debütalbum veröffentlichte, lieferte Spiegel online die passende Erzählung gleich mit: Das erste Foto der Band, schrieb das Nachrichtenmagazin, sei bereits im Kasten gewesen, bevor der erste Song geschrieben war. Die Entstehungsgeschichte der Band, so Spiegel online, ließe sich fast als Lehrstück erzählen: „So wird man 2012 die neue coole Band.

Die Geschichte mit dem Bandfoto verbreitete sich, auf Konzerten, in Musikforen. Ihre Botschaft: Alles hier ist Inszenierung, die Musik zweitrangig.

Das war aus zwei Gründen seltsam. Denn zum einen stellte Sängerin Stella Sommer rasch klar, worum es sich bei der Geschichte handelte: um ein Gerücht, das nicht der Wahrheit entsprach. Und zum anderen ist es doch seltsam, einer Pop-Band Inszenierung vorzuwerfen. Wo Pop doch genau in diesen Momenten richtig gut ist: in der großen Geste, der weiten Umarmung – in der Inszenierung eben.

Elegisch und Elegant

Was passiert ist heißt das mittlerweile vierte Album von Die Heiterkeit, das im März 2019 erschien. Und es ist viel passiert bei dieser Band aus Hamburg, seit ihrem Debütalbum im Jahr 2012. Eigentlich hat sich fast alles verändert. So wie die Besetzung: Von den damaligen Mitgliederinnen ist nur noch Sängerin Stella Sommer dabei, die die neuen Songs alleine geschrieben und mit Produzent Moses Schneider aufgenommen hat. Oder der Sound: Vom Gitarrengeschrammel des Debüts ist nichts mehr übrig, oft nicht mal die Gitarre selbst.

Was geblieben ist, ist die Inszenierung: nicht die der Band und ihrer Entstehungsgeschichte, sondern die der Musik. Die Songs auf Was passiert ist sind pompöser Pop. In all seinen Facetten: getragene Klavierballaden, knarzige Wave-Songs, verhältnismäßig fröhliche Folklieder. Ein Ereignis ist, wie Stella Sommer sie singt: elegisch und elegant, die Stimme tief, die Stimmung mal finster, oft fröhlich. Der Song Ich sehe dich am liebsten etwa ist so eine Umarmung, ohne sich jedoch anzubiedern: „Du bist ein Geheimnis, ein verschwommener Bereich / Ein Umriss in der Ferne, den man nie erreicht.“

Mit Pauken und Trompeten

Nicht nur jeder Song, das gesamte Album folgt einer fein inszenierten Dramaturgie. Der Titeltrack eröffnet Was passiert ist mit einem Paukenschlag und setzt den Sound dieses kleinen Meisterwerks: erst Synthieklänge, dann ein treibender Beat, am Schluss Trompeten, alles orchestral produziert. Inszenierung bedeutet hier, dass Die Heiterkeit sich – das vorangegangene Album Pop & Tod I+II kündigte es bereits an – einen eigenen Sound geschaffen haben. Oder, um in der Sprache der Band zu bleiben: ein eigenes Universum.

„Man muss mit dem Kühlen auch spielen können. Das geht aber nicht, wenn man keinen Platz zum Spielen hat“, sagte Sommer dieses Jahr in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Da ging es um Konzertbühnen. Aber das ließe sich genauso über die Musik sagen: Bass und Gitarre, nun aber vor allem Schlagzeug, Klavier und Synthesizer formen ein Fundament, auf dem Stella Sommer ihre Lyrics ausbreitet, die von Sehnsucht, vom Suchen und vielleicht auch von Sommer selbst handeln, aber kaum greifbar sind.

Eingebetteter Medieninhalt

Und so klingt jedes dieser Lieder im besten Sinne abgehoben: wie nicht von dieser Welt, über den Dingen schwebend, zeit- und bodenlos. Erst Zeilen wie „Ich sehe dich am liebsten / Als Bild auf Instagram“ erinnern wieder daran, dass wir dieses Album im letzten Jahr der Nullerjahre hören.

Immer neue Lieblingslieder

Und wie es sich für ein tolles Album gehört, ordnen sich bei jedem Hören die Songs neu, finden sich immer neue Lieblingslieder: Am Anfang waren das die offensichtlichen Hits wie der Titelsong oder auch Jeder Tag ist ein kleines Jahrhundert, später entwickelte sich die Klavierballade Im Fluss zum Ohrwurm, live entfaltete vor allem Das Wort Energie.

Jeder Song war ein kleines Jahrhundert. Dafür zeichnete sogar Spiegel online das Album – als einziges in diesem Jahr – mit der Höchstwertung aus: zehn von zehn Punkten.

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Geschrieben von

Jakob Rondthaler

Online-Redakteur, Blogger

Jakob Rondthaler

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