Wenn Jörg Schönenborn am Wahlabend auf seine Leinwand klopft und erst die Hochrechnungen, später die ausgezählten Stimmenanteile erscheinen; wenn die bunten Teile des Tortendiagramms am Ende ein ganzes, also 100 Prozent ergeben, vergisst man eines leicht: dass es sich dabei eben nicht um 100 Prozent handelt.
Nur 61,6 Prozent der Wahlberechtigten im Saarland haben gestern einen neuen Landtag gewählt. Im Jahr 2009 waren es immerhin noch 67,6 Prozent – ein Rückgang um 6 Prozentpunkte. Wenn nun die Rede ist von einer „stabilen“ und „bequemen“ Mehrheit der Großen Koalition – CDU und SPD kommen gemeinsam auf 65,8 Prozent –, dann haben in Wahrheit nicht zwei Drittel aller Saarländerinnen und Saarländer so gewählt, sondern lediglich etwas mehr als 40 Prozent aller Wahlberechtigten.
"Aus persönlichen Eitelkeiten heraus“
Warum die geringe Wahlbeteiligung? Es mag einerseits mit der Situation im Saarland zusammenhängen. SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas und CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer hatten sich früh auf eine gemeinsame Koalition verständigt. Die Wahl, die nur noch darüber entschied, wer die Regierung führen darf, hat auf manch einen wohl gewirkt wie eine Farce – und dazu geführt, dass manch einer zu Hause geblieben ist. Die Vorfestlegung barg kein allzu hohes Mobilisierungspotenzial.
Caren Lay, Bundesgeschäftsführerin der Linken, warf dem SPD-Landeschef Maas gestern Abend vor, er habe „nur aus persönlichen Eitelkeiten heraus“ schon vor der Wahl die zentralen Versprechen über Bord geworfen. „Wenn Inhalte in der Politik so wenig eine Rolle spielen, dann muss sich die SPD nicht über ein mäßiges Wahlergebnis wundern, und dann dürfen wir uns auch nicht wundern, dass immer weniger Menschen zur Wahl gehen“, sagte sie in der Berliner Runde zur Landtagswahl in der ARD.
Sinkende Beteiligung seit 1998
Die (potenziellen) FDP-Wähler hatten angesichts mieser Umfragewerte wohl auch keine Hoffnung mehr. An alle Lager hat die Partei Stimmen verloren – 9.000 ehemalige Wähler gingen gar nicht mehr zur Urne. Das zeigt eine Infratest-Dimap-Umfrage für die ARD. Letztlich scheint auch die aufgekündigte Jamaika-Koalition ihren Teil zur Verdrossenheit beigetragen zu haben: Nur 21 Prozent zeigten sich laut der Umfrage mit der Arbeit der jüngsten Regierung zufrieden.
Gleichzeitig beweist das Saarland, dass die Stimme jedes Einzelnen eben doch zählt. 185 Stimmen weniger für die Grünen, und sie wären nicht in den Landtag eingezogen.
Doch trotz dieser spezifischen Lage im kleinsten westdeutschen Flächenland: Es ist zu befürchten, dass die bis 2013 anstehenden Landtagswahlen auch in dieser Hinsicht kleine Vorwahlen sind. Seit 1998 zumindest ist die Wahlbeteiligung bei den vergangenen vier Bundestagswahlen kontinuierlich gesunken, von damals 82,2 Prozent auf zuletzt 70,8 Prozent.
Kommentare 2
Der wahre konsternierte Partei-Untertan wählt doch ungültig! Ungültige Stimmen zählen als abgegeben...
in den usa ist die wahlbeteiligung gewöhnlich noch geringer. bei etwa 50%.
wenn also der präsident mit 52% der abgegebenen stimmzettel gewählt wurde, war es in wirklichkeit nur gut ein viertel der wahlberechtigten, die ihn wählten.
das nennt man dann die mehrheit.
es ist ein durch und durch irrationales spiel. die wichtigen leutchen z.b. in banken und industrie sind nicht wählbar. das nennt man demokratie...
william lippmann hat darüber und speziell über die rolle der medien schon 1922 sein buch "Public Opinion" veröffentlicht, das noch im handel ist. er stellt das system der massendemokratie grundsätzlich in frage. aber er betätigte sich trotzdem als berater der regierenden.