Bundestag trifft bezüglich PID die richtige Entscheidung

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Nach mehrstündiger kontroverser Debatte quer über alle Fraktionsgrenzen hinweg hat der Bundestag am Donnerstag den liberalsten der drei vorliegenden Entwürfe zur Präimplantationsdiagnostik (PID) verabschiedet. Danach wird die PID grundsätzlich verboten sein; bei Paaren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Erbkrankheit auf ihr Kind übertragen würden oder bei denen mit Fehl- oder Totgeburten zu rechnen ist, darf die PID jedoch unter Umständen angewandt werden. Dafür sind wiederum eine Beratung und die Zustimmung einer Ethikkommission erforderlich.

Zur Erinnerung: Bei der PID werden mehrere im Reagenzglas gezeugte Embryonen untersucht und nur die in die Gebärmutter eingesetzt, die keine schwerwiegenden genetischen Erkrankungen aufweisen. „Schwerwiegend“ bedeutet in dem Gesetzesentwurf eine geringe Lebenserwartung des Kindes und/oder eine besondere Schwere und schlechte Behandelbarkeit der Krankheit. Diese Formulierung bietet freilich Interpretationsspielräume – einer der wenigen berechtigten Kritikpunkte, die in der Bundestagsdebatte an dem Entwurf geäußert wurden. Von einem „Dammbruch“ auf dem Weg zu einer Designer-Baby-Eugenik kann hingegen keinerlei Rede sein, da eine entsprechende Diagnostik technisch aktuell weder möglich ist noch rechtlich von dem Gesetzesentwurf abgedeckt wäre. In der Tat besteht unter Umständen aber die Gefahr, dass der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung ausgedünnt und etwa auch auf so genannte spät manifestierende Krankheiten ausgeweitet würde – Erkrankungen also, die erst im Erwachsenalter nach vielen symptomfreien Jahren auftreten. Hier stellt sich die Frage, ob Embryonen, die eine solche Disposition in sich tragen, deswegen aussortiert werden sollen und dürfen.

Dies ist aber gar nicht mal der Kern des ethischen Dilemmas. Dieses besteht vielmehr darin, dass bei der PID wie bei der künstlichen Befruchtung im Reagenzglas (In-vitro-Fertilisation) generell, in der Regel mehr Embryonen erzeugt werden, als tatsächlich in die Gebärmutter eingepflanzt werden können. Es kommt also in jedem Fall zu einer Selektion respektive ‚Verwerfung’ potenziellen menschlichen Lebens. Darauf wies auch der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach in der Debatte hin. Bei der PID tritt an die Stelle einer zufälligen Auswahl nun eine bewusste: Ein Embryo mit einem durchschnittlichen Krankheitsrisiko wird einem mit deutlich erhöhtem Risiko vorgezogen. Zwei Fragestellungen sind nun für die moralische Bewertung relevant. Erstens: was sind die alternativen Handlungsoptionen und ihre Folgen? Und zweitens: Welche konkreten oder potenziellen Rechtssubjekte sind betroffen und wie lassen sich ihre Interessen und Rechte gegebenenfalls gegeneinander abwägen?

Im Hinblick auf die Folgen der Entscheidung scheint eine bewusste Auswahl bei der PID eher weniger bedenklich als eine zufällige. Einen kranken oder gar totgeweihten Embryo auszuwählen und einen wahrscheinlich gesunden zu verwerfen, wäre nicht nachvollziehbar. Bleiben die Bedenken, die bei der In-vitro-Fertilisation in Gänze bestehen. Genau hier schütten die strikten Gegner der PID und die Verfechter eines absoluten, dogmatischen Lebensschutzes bereits ab der Verschmelzung von Samen- und Eizelle das Kind mit dem Bade aus: Mit dem Argument, Leben zu schützen, wollen sie dafür sorgen, dass dieses Leben überhaupt erst gar nicht entsteht. Denn dies wäre in den allermeisten Fall-Konstellation die Alternative. Für die Paare, um die es bei der Debatte ging, ist die PID oft letzte Hoffnung, überhaupt eigene Kinder zu bekommen.

Der entscheidende Punkt ist aber in der Tat, ob es sich bei den im Reagenzglas gezeugten, wenige Tage alten Embryonen bereits um vollumfängliche Träger von Menschenrechten handeln kann. Würde diese Frage bejaht, dann gehörte eine Embryonentötung strikt verboten, und unsere Rechtsprechung und -praxis wäre zumindest hochgradig widersprüchlich. Die „Pille danach“ oder die Spirale dürften nicht erlaubt sein; ganz zu schweigen von Abtreibungen, die noch deutlich später durchgeführt werden.

Nein, verschmolzene Ei- und Samenzelle machen noch keinen Menschen; erst viel später, womöglich sogar erst nach der Geburt entwickelt der Embryo seine spezifisch menschlichen Eigenschaften, die bei einer moralischen Abwägung zählen. Der Verweis auf Potenzialität ist zwar nicht unerheblich, kann aber erst ab einem bestimmten Punkt wirklich greifen; nämlich dann, wenn auch die Bedingungen gegeben sind, dass sich nach aller Wahrscheinlichkeit ein menschliches Wesen aus dem Embryo entwickeln wird. Dass die Einnistung des Embryos in der Gebärmutter hier viel bedeutender ist als die Verschmelzung von Samen- und Eizelle, darauf wiesen Abgeordnete wie Steffen Bockhahn (Die Linke), Christel Happach-Kasan (FDP) oder Karl Lauterbach (SPD), zurecht hin. Denn der Embryo sei alleine nicht lebensfähig, und nur 30 Prozent nisteten sich überhaupt in der Gebärmutter ein.

Würde man hingegen nur auf Potenzialität abheben, hätte dies, auf die Spitze getrieben, absurde Konsequenzen und würde in einem unendlichen Regress enden. Denn wo genau wäre hier die Grenze zu ziehen? Warum dann nicht schon vor die Zeugung zurückgehen? Das Potenzial ist ja bereits in Samen- und Eizelle auch getrennt voneinander angelegt. Bei jeder Verhütung, bei jeder vergebenen Chance, womöglich ein Kind zu zeugen, entscheidet man sich gegen potenzielles Leben. Es ist diese Verwechslung von Potenzialität und dem konkreten Gegenüber eines Rechtssubjektes, die mitschwingt, wenn die Gegner der PID darauf verweisen, dass es mit der PID den einen oder anderen Behinderten heute nicht geben würde. Abgesehen davon, dass der nun beschlossene Gesetzesentwurf nicht auf Behinderung sondern auf schwere, meist tödlich verlaufende Krankheiten abzielt, lässt sich dieses Argument mit gleichem Recht umdrehen. Denn auch ohne die In-vitro-Fertilisation und die PID hätte es einige Menschen nicht gegeben und wird es viele zukünftige nicht geben.

Auch der Umgang mit Behinderten in unserer Gesellschaft hängt nicht notwendigerweise mit einer etwaigen zukünftigen Vermeidung einzelner Behinderungen zusammen. Aber selbst wenn dies so wäre: Hat die Gesellschaft das Recht, einzelnen konkreten Paaren die Chance auf ein nicht-behindertes Kind zugunsten einer nebulösen gesellschaftlichen Stimmung zu verwehren? Zurecht stellte Ursula von der Leyen deshalb die Frage: Wie würden Sie entscheiden, wenn Sie in der Situation solcher Eltern wären?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jörn-Jakob Surkemper

Freier Publizist, Lektor und Kommunikationswissenschaftler. Seit kurzem auch für den Freitag tätig

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