Durch die kulturelle Hintertür

Festung Europa Mit dem Film "Eden is West" und anschließender Podiumsdiskussion unternahm die Linke den Versuch eines unverkrampften Zugangs zum Thema Migration. Das gelang nur zum Teil

„In der Politik wird über alles gesprochen, außer über Kultur“, bemerkte der Kult-Filmemacher des politischen Spielfilms Constantin Costa-Gavras (Z, Missing, Das Geständnis) eingangs und spielte damit auf eine Kluft zwischen Politikern und Kreativen an. Es war wohl das Ansinnen von Lukrezia Jochimsen, ihres Zeichens Linken-Anwärterin auf das Bundespräsidentenamt 2010, und ihrem Parteigenossen Lothar Bisky, diese Kluft wenigstens ein Stück weit zu überbrücken. „Paradies Europa / Festung Europa“ war der Titel der Veranstaltung Donnerstagabend im Berliner Kino Babylon. Ist doch schön, wenn man das Sperrige – in diesem Fall das Thema Migration – im Gewand des Künstlerischen – hier mit Costa-Gavras Spielfilm Eden is West –, womöglich auch noch unterhaltsam rüberbringen und ganz nebenbei ein paar politische Statements in der anschließenden Podiumsdiskussion platzieren kann.

Der Film, der bereits 2009 auf der Berlinale lief, wurde seitdem das erste Mal wieder in einem deutschen Kino gezeigt, da er bis vor Kurzem noch keinen Verleih gefunden hatte. Unverständlich eigentlich, denn die Geschichte des jungen, gutaussehenden, aber illegalen Einwanderers Elias (gespielt von Riccardo Scamarcio) und seiner Odyssee nach Paris ist künstlerisch ansprechend und durchaus unterhaltsam und spannend. In der anschließenden Diskussionsrunde aus Luc Jochimsen, Lothar Bisky, Costa-Gavras und dem Berliner Filmfestspiel-Leiter Dieter Kosslick kam dann aber nicht viel Programmatisches zu Stande. Wie auch? Bei einem so schwierigen Thema, bei dem es keine einfachen Lösungen gibt. Darin waren sich alle einig. „Wir Filmemacher haben die Aufgabe, Fragen zu stellen und nicht Antworten zu liefern“, sagte Costas-Gavras denn auch. Bei den Antworten vertraue er auf die Politik.

Richtiges, Wahres, aber kaum Neues

Aber auch insgesamt bleib es in der Diskussion bei Allgemeinplätzen über Kultur als „Transmissionsriemen“ der Gesellschaft, als Kommunikationsmittel zwischen Migranten und Deutschen, über demografischen Wandel, der Forderung nach gegenseitiger Achtung, und gerechterer Verteilung. 300.000 Zuwanderer pro Jahr brauche Frankreich, um die Alterung der Gesellschaft zu kompensieren, bemerkte Costa-Gavras. Für Deutschland zeichnete Kosslick ungewollt ein doch irgendwie bedrohlich anmutendes Bild: In Deutschland lebten in hundert Jahren vielleicht so viele afrikanisch, chinesisch und indisch aussehende Menschen, wie die BRD vor der Wende Einwohner hatte, und nur noch so viele Deutschstämmige, wie die damalige DDR hatte. Damit da keine gegenseitigen Ressentiments entstünden, dafür könne die Kultur sorgen.

Auf die Frage von Jochimsen, wie die Politik sich die Kraft der Kultur dafür nutzbar machen könne, ging niemand aus der Runde so richtig ein oder wusste es schlichtweg nicht. Eine rein institutionelle Förderung in Form von mehr Geld, greife jedenfalls zu kurz, so Kosslik. Bisky warnte vor einer Krise der Demokratie und der Nahrungsmittelproduktion und forderte mehr partizipative Elemente und dass wir alle unsere Lebensweise ändern müssten. Viel Richtiges und Wahres, wenn auch kaum Neues, wurde gesagt; die Diskussion wirkte ein bisschen unbeholfen und unstrukturiert. Es fehlte die berüchtigte Leitfrage. Auf die Maximalforderung aus dem Publikum nach grenzenloser Reisefreiheit für alle wurde ebenso wenig eingegangen wie konkrete Probleme der Zuwanderung.

So war der Haupterkenntnisgewinn des Abends denn auch dem Film zu verdanken. Auch wenn Schicksal und Person seiner Hauptfigur nicht gerade repräsentativ für den Durchschnittseinwanderer sein dürften und manches einfach ein wenig zu schräg oder komödiantisch wirkt, so leistet der Film doch vor allem eines, wie auch Jochimsen konstatierte: Er verändert die Perspektive auf die Einwanderer und Flüchtlinge: Sie sind nicht mehr nur die namenlosen, bedrohlichen Massen, die sich in ‚Nussschalen’ oder überfüllten Frachtern an die europäischen Küsten ergießen, sondern Menschen mit einem Gesicht und einem Schicksal. Vor der Lösung der großen Probleme "müssen wir ihnen zuallererst Achtung entgegenbringen“, sagte Costa-Gavras.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jörn-Jakob Surkemper

Freier Publizist, Lektor und Kommunikationswissenschaftler. Seit kurzem auch für den Freitag tätig

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden