Humanismus statt Klassenkampf

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Wenn ein kommunistischer Regisseur ein Grunddilemma spätkapitalistischer Gesellschaften zum Thema eines Filmes macht, dann klingt das zunächst nach schwerer Kost. Dass es auch anders geht, beweist Robert Guédiguian mit seinem neuen Film „Der Schnee am Kilimandscharo“.

Nicht der höchste afrikanische Berg, sondern die französische Hafenstadt Marseille bildet die Kulisse für Robert Guédiguians anrührendes Sozialdrama. Dort ist Michel (Jean-Pierre Darroussin) Gewerkschafter bei der Werft. Die Werksleitung droht mit der Schließung des Werkes, wenn sich die Gewerkschaft nicht auf Entlassungen einlässt. Und die muss Michel nun zähneknirschend organisieren. Er hält das Los für die gerechteste Lösung. Aus Solidarität wirft er auch seinen eigenen Namen mit in die Lostrommel – und entlässt sich, zusammen mit einigen anderen Kollegen, prompt selbst.

Wie der sympathische Mitfünfziger und Familienvater nun mit dem vorzeitigen Ruhestand fertig wird, darüber hätte man schon eine nette Komödie machen können; dramatisch wird es indes, als Michel zuhause im engsten Familien- und Freundeskreis überfallen und ausgeraubt wird. Unter dem Raubgut befinden sich auch die Tickets und Ersparnisse für eine Reise zum namensgebenden Kilimandscharo. Schwerer als dieser Verlust wiegt für Michel jedoch, dass er den Drahtzieher des Überfalls als einen mitentlassenen Ex-Kollegen (Grégoire Leprince-Ringuet) identifiziert. Nach anfänglichem Groll entwickelt Michel langsam Verständnis für den Delinquenten. Denn den Täter, der sich allein um seine minderjährigen Brüder kümmern muss, trifft die Arbeitslosigkeit deutlich härter als ihn. Und die beiden Jungs sind überdies nun völlig auf sich allein gestellt.

Ihr Schicksal steht im Kontrast zu den mediterranen Bildern, die an Urlaub und leichtes Leben erinnern – Bilder einer Umgebung, in der man sich gerne einrichten will. Auch Michel hat sich darin eingerichtet; auf seiner Terrasse mit Meerblick, den er nun jedoch kaum noch genießen kann. Sein Konflikt, seine Selbstzweifel stehen stellvertretend für ein linksliberales Bürgertum, das sich mit Kompromissen und materiellen Annehmlichkeiten abgefunden hat, ohne an den grundsätzlichen Verhältnissen und ihren vermeintlichen Sachzwängen etwas zu ändern.

Guédiguian verzichtet dabei auf jegliche Gut-böse-Schubladen: Michel ist gut situiert, aber er hat es sich verdient und wird Opfer eines brutalen Überfalls. Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage nach seiner Mitschuld an den Verhältnissen, die immer mehr Prekarisierte aus dem Wertschöpfungsprozess ausspucken. Da die wahren Schuldigen – wie im richtigen Leben – gesichtslos bleiben, richtet sich der Zorn der Unterprivilegierten gegen ihn, den vermeintlichen Kollaborateur, der doch eigentlich aufseiten der Ausgebeuteten, aufseiten der Arbeiterklasse zu stehen glaubte. Doch die Arbeiterklasse – auch das macht der Film deutlich – existiert so nicht mehr.

Wer weiß, dass Robert Guédiguian ein überzeugter Linker ist und zeitweilig Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs war, den wundert es womöglich, dass seine Lösung des Dilemmas, zumindest im Film, nicht im Klassenkampf liegt. Stattdessen verweist er auf das Individuum bzw. die Paarbeziehung von Michel und seiner Frau Marie-Claire (Ariane Ascaride). Der Schnee am Kilimandscharo – er könnte für das Große, aber Ferne, Unerreichbare stehen; für die sprichwörtliche Taube auf dem Dach. Vielleicht aber auch für das Materielle, Nebensächliche.

Michel und seine Frau wenden sich davon ab und widmen sich den Spatzen in ihren Händen, sprich: den Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung. Einander blind verstehend, mit viel Güte und Courage bemühen sie sich im Kleinen rührend um Gerechtigkeit. Auch wenn ihr Beispiel mitnichten einen gesamtgesellschaftlichen Ausweg bietet – Guédiguian schafft es, einen erstaunlich leichten, durch und durch positiven und immer wieder situationskomischen Film zu erschaffen, der dennoch ein Nachdenken über grundlegende Dilemmata unserer Zeit anzustoßen vermag und das große Ganze nicht aus den Augen verliert. Sehr sehenswert!

„Der Schnee am Kilimandscharo“ kommt am 15. März in die Kinos.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jörn-Jakob Surkemper

Freier Publizist, Lektor und Kommunikationswissenschaftler. Seit kurzem auch für den Freitag tätig

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