"Whistleblowing" - Der neue Journalismus?

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Die Wogen der Berichterstattung über Wikileaks und dessen Protagonist Julian Assange haben sich gerade gelegt. Doch auf Deutschlands größter ‚Nerd’-Konferenz über „Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft“ – kurz: Re:Publika – darf eine Diskussion über „Whistleblowing“ natürlich nicht fehlen. Das englische Wort – wörtlich übersetzt eigentlich „Pfeife blasen“ – steht für das meist anonyme Bekanntmachen und Streuen von mehr oder weniger brisanten Informationen. Führen die neuen Möglichkeiten des Internets zu mehr Transparenz in Bereichen, die einige lieber unter Verschluss halten würden? Aber wie transparent sind derartige Plattformen selbst und die verbreiteten Informationen? Welche neuen Herausforderungen ergeben sich dadurch für den klassischen Journalismus, wenn Quellen und deren Wahrheitsgehalt nicht mehr überprüft werden können? Darum ging es auf der Podiumsdiskussion unter dem Titel "Leaking Transparency – Whistleblowing und Journalismus" am 14. April im großen Saal der Kalkscheune hinter dem Berliner Friedrichstadt-Palast.

Freitag-Verleger Jakob Augstein begrüßte die Entwicklung in seiner Anmoderation der Podiumsdiskussion jedenfalls zunächst: „2010 war ein großartiges Jahr für die alten und neuen Medien. Wikileaks hat Geheimnisverrat begangen, und die klassischen Medien haben dabei geholfen.“ Mehr Transparenz zu schaffen, das ist auch das erklärte Ziel von Daniel Domscheit-Berg. Der ehemalige Wikileaks-Sprecher betreibt seit Januar die neueWhistleblower-Plattform OpenLeaks. „Der klassische Journalismus baut zu sehr auf Exklusivität“, sagte er. Das sei aber nicht immer das Effizienteste für die Allgemeinheit, wenn es darum geht, Informationen möglichst breit zu streuen.

Neue Medien und Informationskanäle also als Ergänzung der klassischen mit dem Ziel: so viel Veröffentlichung wie möglich? Etwas skeptischer sieht dies schon berufsmäßig der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, insbesondere bei persönlichen Informationen. Womit er allerdings ausdrücklich nicht die Veröffentlichung von Merkels Gästeliste meinte, die kürzlich wieder zum Thema wurde. Zur Erinnerung: Anlässlich des Geburtstages von Deutsche Bank-Chef Ackermann hatte Merkel 2008 zu einer Feier ins Kanzleramt geladen. Das Kanzleramt hatte sich mit dem Hinweis auf Persönlichkeitsrechte der Gäste gegen eine Veröffentlichung der Gästeliste gewehrt. Das Berliner Verwaltungsgericht hatte nun aber das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit als höherwertig eingestuft. „Darüber freue ich mich“, so Schaar.

Dass wir auch weiterhin nicht auf klassischen Journalismus verzichten können, darauf wies der Dortmunder Journalistik-Professor Horst Pöttker hin: „Whistle-Blowing ist kein Journalismus, solange es dort keine Selektion gibt“. Klassische Medien hingegen bündelten Informationen und ordneten sie ein. „Ohne die klassischen Medien wäre zu Guttenberg nicht zurückgetreten“, ist er sich sicher.

„Die Gatekeeper-Funktion der Medien wird bleiben“, meint auch der Kommunikationswissenschaftler Lutz Hachmeister. Besorgniserregend sei aber, dass der Journalismus heute kein Traumberuf mehr sei. Er forderte eine Diskussion über die Journalistenausbildung. Hinsichtlich der Frage, ob der Journalismus gut auf die neue Quellenvielfalt im Internet vorbereitet sei, reagierte auch Pöttker zwiespältig: „Er ist gut vorbereitet durch seine professionellen Regeln. Aber er ist schlecht vorbereit durch Ressourcenschwund“ und spielte damit auch auf Redaktionsschließungen und Entlassungen wie jüngst bei der Frankfurter Rundschau an. Pöttger ist Mitglied der Initiative Nachrichtenaufklärung, welche jährlich die „Top 10 vernachlässigter Themen“ herausgibt.

Einig war man sich in der Männerrunde auf dem Podium offenbar, dass professionellen Journalisten weiterhin eine die Rolle bei der Gewichtung und Einordnung der Informationen zukomme. Zukünftig gehe es dort aber weniger um Aktualität; „Das Aktuelle kriegen wir von überall. Orientierung wird wichtiger. Erfolgsversprechender sehe ich da eher das Projekt von Herrn Augstein“, sagte Horst Pöttken. Augstein nahm den Ball gerne auf: „Das musste auf diesem Podium auch noch gesagt werden“, sagte er mit Augenzwinkern.

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Geschrieben von

Jörn-Jakob Surkemper

Freier Publizist, Lektor und Kommunikationswissenschaftler. Seit kurzem auch für den Freitag tätig

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