Appropriationspotenz

Ängst Konferenz Identitäre covern die linke Ikonographie. Sie formulieren um, fügen hinzu und lassen weg. Sie stellen sich als außerparlamentarische Opposition im Jugendstil dar.

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Manuel Gogos erforschte die Identitären. Siehe http://www.spiegel.de/sptv/spiegel-tv-eine-reise-zu-europas-neuen-rechten-a-1149157.html

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Joseph Goebbels war der Minister für die Hipster im Dritten Reich. Zwar filterte er das ästhetische Angebot nach den Bedürfnissen seiner herrschenden Clique, aber er produzierte auch einen subkulturellen Saum. Der Bock von Babelsberg kuratierte die Realität im Kino. In der retrospektiven Betrachtung endete der faschistisch-artistische Furor 1945 tödlich. (Goebbels starb an einer Überdosis #Totalerkrieg.) In den folgenden fünfzig Jahren verbesserte keine Avantgarde mehr die Formate der extremen Rechten. Ein Mangel an kulturellem Zuspruch laugte die Reaktion aus. Im neuen Jahrhundert möbeln die Identitären einen zur Mitte strebenden Rand auf. Identitäre covern die linke Ikonographie. Sie formulieren um, fügen hinzu und lassen weg. Sie stellen sich als außerparlamentarische Opposition im Jugendstil mit eigenem Rudi D. dar. Der rebellische Gestus sorgt für Zulauf. Aufgeladen werden die patriotischen Protestanten vom „großen Austausch“. In einem genetischen Bürgerkrieg kämpfen sie um Lebensraum in den Verbreitungsgebieten ihrer Altvorderen. Sie behaupten, in einer demographischen Revolution Fremde im eigenen Land geworden zu sein.

Manuel Gogos erforschte die Bewegung im Herzen Europas. Der Sohn eines griechischen Einwanderers befragte Chefgegner der Einwanderungsgesellschaften Österreich und Deutschland. Er berichtete auf der von "Nazis und Goldmund" organisierten Literaturkonferenz zur Erosion des Demokratischen im Berliner Ballhaus Ost.

Thomas Meinecke und Fiston Mwanza Mujila freuen sich auf Manuel Gogos

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In manchen europäischen Metropolen hegen Minderheiten die Mehrheit so ein, dass sie selbst wie eine Minderheit erscheint. In Verschmelzungen entstehen hybride Identitäten jenseits der Geläufigkeit in einem Spektrum zwischen den Polen soziales Geschlecht und Appropriationspotenz. Superdiversity liefert den Identitären eine Negativfolie, auf der sie sich nationalstaatlich und kulturnational nach Vorgaben von Renaud Camus entfalten können. Camus prägte das Wort vom „grand remplacement“ – dem Selbstmord Frankreichs, stellvertretend für den Selbstmord des weißen Europas. Er argumentiert nicht verschwörungstheoretisch. Er beschreibt die Ersetzung der einen durch die anderen (der Weißen durch Braune und Schwarze) als eine Folge der Globalisierung, die alles zum Flottieren bringt - auch und gerade die Identität.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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