Augenblick der Stille

Antisemitismus Vier Tage nach dem Terroranschlag von Halle demonstrierten in Berlin Tausende gegen Antisemitismus und rechte Gewalt. Ausgangspunkt war der Bebelplatz.

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Augenblick der Stille

Vier Tage nach dem Terroranschlag von Halle demonstrierten in Berlin Tausende gegen Antisemitismus und rechte Gewalt. Ausgangspunkt war der Bebelplatz. Da fand zunächst eine u.a. von „Unteilbar“ initiierte Kundgebung statt. Wir gedachten der Opfer des Amokschützen Stephan Balliet und zeigten unsere Solidarität mit der jüdischen Gemeinde. Einvernehmlich wandten sich alle Redner*innen gegen die staatliche Erzählung vom selbstermächtigen Einzeltäter. Mit einer Schweigeminute endete der Stehprotest. Das gemeinsame Schweigen im öffentlichen Raum manifestierte - über Symbol & Metapher und sämtliche Emissionen der Verzweiflung hinausgehend - den Willen der Zivilgesellschaft, sich der rechten Gewalt entgegenzustellen. Dann formierten sich die Demonstrant*innen zum Zug Richtung Neue Synagoge.

Dünnes Konsenseis

Der vier Tage zurückliegende Terrorangriff auf die Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag beweist einmal mehr die Notwendigkeit eines Schulterschlusses der zivilgesellschaftlich Engagierten im Kampf gegen Rechtsextremismus.

Zwei Tote und mehrere Verletzte forderte der Terrorangriff auf die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Die Deutungen des Anschlages zeigen einmal mehr, wie dünn das Konsenseis dieser Gesellschaft ist. Was sich da auf der Gegenschräge gewaltfreier Gemeinschaftlichkeit zusammenbraut, oszilliert in der Gegneranalyse zwischen radikalisierter Minderheit sowohl im Einsamer-Wolf- als auch im Rudel-Modus und in der randlosen Annahme einer schweigenden Vielfalt.

Abwesend in den Betrachtungen sind jene, die in einem persönlich unmittelbaren Verhältnis zum handelnden Täter gestanden haben: Polizist*innen, Passant*innen: Verkehrsteilnehmer*innen. Es könnten historische Leistungen vollbracht worden sein im Beweis von Einzelmut.

Der Rechtsextremismus weiß sich nicht im Einklang mit der Dominanzgesellschaft. Da, wo es Überschneidungen gibt, gibt es Spannungen und Spaltungen, also Verwerfungen, deren Produkte verworfen werden. Die Risse in der Republik haben zweifellos manchen Ursprung im bürgerlichen Lager; doch haben sie da keine Legitimation.

Die Sprecher*innen auf dem Bebelplatz vor der Humboldt-Universität sprachen nach Schätzungen der Veranstalter*innen vor sechzehntausend ungehaltenen Bürger*innen. Es gab keine(n) Repräsentant*in der Zivilgesellschaft, der/die nicht auch dieser Wut Ausdruck verliehen hätte.

Die Polizei zählte weniger Demonstrant*innen. Die meisten werden kaum auf dem Schirm gehabt haben, dass wir exakt ein Jahr zuvor eine Viertelmillionen Unteilbare auf den Straßen Berlins gewesen sind. Gemessen daran wären auch zweiunddreißigtausend Protestant*innen nicht viel gewesen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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