Außerhalb unseres Kulturkreises

NSU Fadime Simsek, Nichte des ersten NSU-Opfers, erschossen 2000 in Nürnberg, wartete elf Jahre auf Aufklärung. Es wurde gegen die Opferfamilie ermittelt, die Täter ...

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Nach Aktenlage des baden-württembergischen Landeskriminalamts aus dem Jahr 2007 vermuteten die Psychologen und Ermittler eines Profiler Teams die so genannten „Döner-Mörder weit außerhalb unseres Kulturkreises“ - mit einer bizarren Begründung: „Da in unserem Kulturkreis die Tötung eines Menschen mit einem hohen Tabu belegt ist, müsse davon ausgegangen werden“ und so weiter. Als ob es auch zärtliche Morde gäbe, wurde in der Brutalität der Taten eine Irrationalität erkannt, die ihre Ursache in der verletzten Ehre „eines Häuptlings“ haben könnte. Da sind sie wieder: die Ehrenmorde als Relikt und Erkennungsmelodie archaisch-tribaler Organisationsformen, kurz türkischer Alltag.

„Wir haben Rassismus und Rechtsextremismus in allen Schichten der Gesellschaft“. (Uwe-Karsten Heye) Heye spricht „von unglaublichen Fehlleistungen der Polizei“, viele Beamte hätten „im Polizeidienst nichts verloren“. „Die Linke“ Petra Pau nennt die Situation für Andersartige (aus der Mehrheitsperspektive) „lebensgefährlich“. Sie könne „das Wort Pannen im Zusammenhang mit der NSU-Aufklärung nicht mehr hören“, da nichts Gelungenes einen Gegensatz zum analytischen Desaster ergäbe. 1997 ermittelte thüringische Polizei wegen Bombenattrappen, abgelegt u.a. vor einem Jenaer Theater. Das Publikum identifizierte sie „als Multikulti“ in Nachbarschaft „schwarzafrikanischer Männer, die mit weißen Frauen tanzten“. Das stand so im Bericht, im Weiteren hielt man „linke Intellektuelle“ für die Ableger. Auf die „Kameradschaft Jena“ mit den noch offen agierenden NSU-Aktivisten in spe kam man nicht.

Kam man doch: „Die rechte Spur“, so Ströbele, sei „erkannt worden“. Günther Beckstein habe in seiner Eigenschaft als bayrischer Staatsminister „eine braune RAF“ erwogen. Seine Beamten waren dann sehr kreativ in ihren diese Möglichkeit ausschließenden Begründungen. Zum Beispiel vermissten sie Banküberfälle, als Finanzierungsmodell bei politischer Bandenbildung. Die NSU passte aber genau in dieses Schema.

Selda Özdag sagte als Zeugin des NSU-Nagelbomben-Attentats in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004 vor Gericht aus. Darauf wies sie hin: Jahrelang sei in Richtung PKK und ethnisch organisierter Kriminalität im Spektrum zwischen Drogendelikten und Schutzgelderpressung ermittelt worden. Man habe die türkisch belebte Keupstraße als undurchsichtiges Milieu „unter Generalverdacht gestellt“.

Fadime Simsek, Nichte des ersten NSU-Opfers, erschossen 2000 in Nürnberg, wartete elf Jahre auf Aufklärung. In der Zwischenzeit lebte sie mit Unterstellungen, es hieß, ihr Onkel Enver habe mit seinem Blumenhandel Drogengeschäfte getarnt. Es wurde gegen die Opferfamilie ermittelt, die Täter mussten sich schon selbst enttarnen, um die Simseks zu rehabilitieren.

Nachtrag zu Rostock-Lichtenhagen und Mölln

„Die Polizei hat sich in einer sehr heißen Phase vor dem Mob zurückgezogen.“ (Wolfgang Richter, ehemaliger Ausländerbeauftragter der Stadt Rostock.)

Richter war dabei, als im August 1992 ein Heim für vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen belagert und schließlich angezündet wurde. Im November desselben Jahres geschahen die Brandanschläge von Mölln mit drei Toten. Emrah Arslan, der seine Großmutter, eine Schwester und eine Cousine verlor und selbst nur mit einer posttraumatischen Belastungsstörung überlebte, erinnert sich: „Wir waren das Schandbild von Mölln.“

Man verdächtigte seinen Vater, das Haus der Familie in Brand gesetzt zu haben.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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