Das gute Geld

Meine Oma Als Witwe versorgte sich meine Großmutter ständig mit Barem. Ach, war das eine Freude, sie in einer Bank zu sehen. Die Scheine jubilierten in ihren Händen

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Das gute Geld

Foto: John Downing/Daily Express/Getty Images

„Unbegabt für den Argwohn.“

Die Mutter öffnet ein Fenster, nachdem sie den „Zinnaschenbecher“ mit der Idee geleert hat, „die Tochter rauche entschieden mäßiger“.

Der falsche Schluss veranlasst die erzählende Tochter zu der Feststellung, „die Mutter sei unbegabt für den Argwohn“.

Es ist September. Im Vorjahrsseptember starb der Vater. Die Witwe empfindet seither „abwechslungsreicher“.

Das erzählt Gabriele Wohmann in „Ausflug mit der Mutter“, einem Roman voller fabelhafter Beobachtungen. Ich habe das Phänomen der unverhofften Lebenszunahme bei meiner Großmutter beobachtet, die nach dem Tod ihres Mannes Verehrer auf der nie fertiggebauten Terrasse empfing; Männer, die sie ein halbes Jahrhundert zuvor in wertvollen Fahrzeugen zu Spritztouren eingeladen hatten. Mein Großvater hatte diese „Fabrikantensöhne“ daran gehindert, in Kontakt mit ihrem „Jugendschwarm“ zu bleiben.

Meine Großmutter wurde auf den Schauplätzen ihrer Kindheit und Jugend alt, und ich war ihr Zeuge; beinah ein Nachzügler aus ihrer eigenen Gebärmutter. Es hatte die für die Fünfzigerjahre typische Fehlgeburt gegeben und dann kam ich als Erster meiner Generation und erfüllte eben auch die Aufgaben des verlorengegangenen Kindes.

Meine Großmutter war auf eine komplizierte Weise aufgewachsen. Väterlicherseits gehörte ihre Familie dem Pforzheimer Bürgertum an. Mütterlicherseits entstammte sie einem Württemberger Geschlecht, das sich bis auf eine Pestepidemie vor dem Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen ließ. Seither waren die(se) Schäufeles Bauern in einem Klosterdorf. Die Industrialisierung lockte mit zusätzlichen Erwerbsmöglichkeiten. Mein Ururgroßvater bewältigte werktäglich einen Fußmarsch von zehn Kilometer zur Fabrik. Vor der Lohnarbeit kam die Landwirtschaft. Man nannte das zwar Nebenerwerbslandwirtschaft, aber es war ein kompletter Hof, der dann eben von der Ehefrau und den Kindern bewirtschaftet wurde. Mein städtisch-eleganter Urgroßvater stellte meine bäurisch-emsige Urgroßmutter vor furchtbare Entscheidungen. Dreimal verkaufte der schöne Emil Britsch den Hausstand, mit der Vorstellung, seine extrem bodenständige Frau Pauline ließe sich auf der Basis vollendeter Tatsache aus ihrer Ursprungsumgebung loseisen. Er hatte einen Job in Dänemark als Hofjuwelier. Das war die Chance seines Lebens. Aber Pauline wollte partout nicht in Kopenhagen die feine Dame spielen.

Sie hatte ihren eigenen Kopf. Also zog Emil allein los und führte dann auch standesgemäß ein großes Haus in der Hauptstadt seines königlichen Arbeitgebers. Meine Großmutter schrieb Briefe. Ihr fehlte der Vater als Garant der Großbürgerlichkeit. Sie ging aufs Gymnasium, spielte Feldhockey und schwamm im Verein.

Sie stand der Ikonografie ihrer Kohorte Modell und passte als Partie nur zu einem Unternehmerhaushalt. Deshalb die Fabrikantensöhne mit Geschossen aus dem Familienfuhrpark. Wir reden über die 1920er Jahre. Das waren die Snobs von Baden, die meine Großmutter verehrten. Fünfzig Jahre später gab sie den verwitweten Grandseigneurs, die ihr einst die Cour geschnitten, die schönsten Körbe, um allein mit mir in den Schwarzwald und auf den Dobel zu donnern. Da hatte mein Großvater dies und das gebaut.

Ständig versorgte sich meine Großmutter mit Barem. Ach, war das eine Freude, sie in einer Bank zu sehen. Die Scheine jubilierten in ihren Händen. Geld, das war was Gutes.

Meine Großmutter erzählte gern von ihren Verehrern, nur sehen wollte sie sie nicht mehr. Das hatte nichts mit ihrer Trauer zu tun, und nichts mit der langen Ehe, die hinter ihr lag. Nichts deutete auf Unglück hin. Vielmehr genoss sie die Verfügungsgewalt über das Erarbeitete. Sie schaffte einen Hightech-Fernsehsessel (mit einem Joystick) an, einen riesigen Fernseher und eine Satellitenschüssel, so dass wir gemeinsam MTV gucken konnten. Ich war fasziniert von all dem Neuen, meine Großmutter schlief zuverlässig ein. Mein Großvater schien ihr nicht zu fehlen. Wir gossen ihn wie die übrige Verwandtschaft. Wir waren beide gern auf dem Friedhof, wo sich für meine Großmutter stets Gespräche mit Verwandten ergaben, die mühelos in mir den Außerseiter erkannten.

Mit dieser Abschweifung reagiere ich auf einen Satz in Wohmanns Roman: „Die Mutter empfindet abwechslungsreicher, im Verlust besitzt sie, sie besitzt den Verlust.“

So erging es meiner Großmutter. Sie verzehrte als Witwe so vehement, wie sie als Ehefrau eisern gespart hatte. Mir gegenüber war sie großzügig. Ich fand sie nachsichtig und milde. Aber das war sie nicht (nur). Erst heute erlaube ich mir, ihren flotten Egoismus zur Kenntnis zu nehmen, diese überhaupt nicht omahafte Freude an der Autonomie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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