Jüdischer Frauenwiderstand
Im August 1939 reist die aus Beuthen (heute Bytom) gebürtige Aktivistin Zivia Lubetkin zum 21. Zionist:innenkongress nach Genf. Die Delegierte genießt die zivile Eleganz des gehobenen Schweizer Alltags. Sie könnte sich absetzen und in Sicherheit bringen.
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Während Privilegierte europaweit das Weite suchen, kehrt Zivia nach Polen zurück. Sie begibt sich sehenden Auges in Gefahr. Sie brennt für ihre Sache und kann es kaum erwarten, sich als fragile Schutzmacht ihrer Schützlinge zu bewähren. Sie ist eine jener, die „beherzt und unverfroren“ den Kampf gegen einen mörderischen Antisemitismus aufnehmen.
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„Beherzt und unverfroren“
Judy Batalion folgt den oft verwehten Spuren jener Schwestern im Mut, die Gewalt mit Gewalt beantworteten, fern der „Aura der Viktimisierung“, die Batalions Herkunftsklima bestimmte. Sie erinnert an jüdische Kämpferinnen, die Chancen, dem Grauen zu entkommen, nicht nutzten, um „beherzt und unverfroren“ am Kriegsgeschehen beteiligt zu bleiben.
Für Renia ist jede Waffe ein „Schatz“. Den Waffenmangel erlebt sie als größtes Manko des jüdischen Widerstands. Ein Gewehr wird herumgereicht. Es dient der Gewöhnung und Übung an/mit Schussapparate(n). In Wilna beschießt man mit einem Revolver eine Lehmwand, pult die Kugeln aus dem weichen Baustoff und verwendet sie wieder.
Krakau nimmt den Kampf ohne Schusswaffen auf. Warschau startet mit zwei Pistolen.
Die Unterstützung des polnischen Untergrunds bietet keine verlässliche Basis. Versprechen werden gebrochen, verabredete Lieferungen zurückgezogen. Der destabilisierende Charakter solcher Allianzen bedarf keiner Ausführlichkeit. Umso wertvoller ist das psychologische Geschick der „Kuriermädchen“. Sie sind „beim Verstecken, Bestechen und dem Zerstreuen von Misstrauen“ unschlagbar.
Judy Batalion, „Sag nie, es gäbe nur den Tod für uns. Die vergessene Geschichte jüdischer Freiheitskämpferinnen“, auf Deutsch von Maria Zettner, Piper, 620 Seiten, 25,-
Sie präsentieren sich so blond wie möglich, borgen sich modische Kleidung und legen sich teure Handtaschen zu. Sie geben sich die Leichtigkeit der Vergnügungssuchenden auf dem Weg zur Matinee.
Die weichen Anmutungen ihrer Performance täuschen den Feind. Manchmal ziehen sie sich mit einem Lächeln aus der Affäre. Oder sie „beichten“ dem Repräsentanten der Usurpationsherrschaft eine kleine Übertretung. Die Unterwerfungsgeste legt dem Schergen eine gnädige Machtausübung nah, wenn sie nicht sogar den Beschützerinstinkt weckt.
In Kartoffelsäcken transportieren die Kurierinnen Konterbande. Sie bringen in Brote eingebackene Handgranaten und in der Unterwäsche verwahrte Sprengkörper durch Kontrollposten. Sie gehen mit Dynamit unter die Leute. Oft bibbern ihre polnischen Kontaktpersonen vor Angst, während sie gefasst im Feld ihre Frau stehen. Auf der Folie globaler Machtverhältnisse nimmt sich ihre Inferiorität wie eine Totalität aus. Doch im Nahkampf des täglichen Kleinklein triumphiert die Findigkeit und Leidenschaft. Da sind die Kombattant:innen dem Feind mit ihrem Mut, ihrer Intelligenz, ihrem Einfallsreichtum und ihrer psychologischen Finesse ab und zu herrlich überlegen.
Fasst man sie, brechen sie aus. Ihrer Beinfreiheit tragen sie mit kurzen Mänteln Rechnung.
Weiblicher Widerstand
2007 stößt die Autorin in der Londoner British Library auf die Anthologie „Frauen in den Ghettos“. Der Band enthält Geschichten von „Ghetto-Girls ... (die) Nazis ... mit Wein, Whiskey und Gebäck gefügig (machten), bevor sie sie mit Tücke und List umbrachten“. Kämpferinnen „führten Spionagemissionen ... durch, (sie) verteilten gefälschte Papiere und Untergrundflugblätter“. Sie sabotierten, sprengten, schossen, schmuggelten und bestachen voller Tapferkeit und Tatkraft.
„Sie trugen den ... Widerstand in allen Phasen und Formen (mit) ... insbesondere (riskierten) sie als Kurierinnen tagtäglich ihr Leben ... Die außergewöhnlich starke Beteiligung von Frauen am Ghetto-Aufstand von Warschau ist ihrer Zahl und ihrer Bedeutung nach ein außergewöhnliches Phänomen im jüdischen Widerstand und im Widerstand gegen den Nationalsozialismus allgemein.“ Regina Pahling
Batalion wuchs in der „eingeschworenen jüdischen Gemeinde“ von Montreal unter Nachkommen von - dem Holocaust auf Fluchtwegen - Entgangenen auf. Ihr Ideal von jüdisch-weiblichem „Wagemut“ verkörperte die als Kombattantin hingerichteteHannah Szenes. Die Autorin folgt den oft verwehten Spuren jener Schwestern im Mut, die Gewalt mit Gewalt beantworteten, fern der „Aura der Viktimisierung“, die Batalions Herkunftsklima bestimmte. Sie erinnert an jüdische Kämpferinnen, die Chancen, dem Grauen zu entkommen, nicht nutzten, um „beherzt und unverfroren“ am Kriegsgeschehen beteiligt zu bleiben.
„Sie feierten gelebte Tapferkeit und Unerschrockenheit.“
„Von Frankreich bis Rußland haben vor allem auch die Frauen den jüdischen Widerstand mitgetragen und mitorganisiert.“ Regina Pahling
Aus der Ankündigung
Jüdische Frauen im Widerstand gegen die Nazis
Vor einiger Zeit stieß Judy Batalion auf die Berichte junger jüdischer Frauen, die im Widerstand gegen die Nazis kämpften. Diese „Ghetto-Mädchen“ versteckten Revolver in Brotlaiben und bombardierten Züge. Sie flirteten mit den Nazis, bestachen sie mit Schnaps – und töteten sie. Warum hatte Batalion, die in einer Familie von Holocaust-Überlebenden aufgewachsen war, nie davon gehört? Hier erzählt sie die wahre Geschichte dieser mutigen Frauen. Im Zentrum steht die Polin Renia Kukielka, die sich durch ihr vom Krieg gezeichnetes Land bewegt und ständig riskiert, für den Widerstand zu sterben.
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