Der Staat gegen Nelson Mandela

Jüdisches Filmfestival „An Act of Defiance“ lief zum Abschluss und als Höhepunkt auf dem 24. Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Er hatte zwei akademische Abschlüsse, aber für seine Wärter im Johannesburger Marshall-Square-Gefängnis war Nelson Mandela nur ein „Kaffer“ oder „Boy“, den hängen zu sehen, sie kaum erwarten konnten. Das erzählt Jean van de Velde in dem Gerichtsdrama Bram Fischer, das auf dem 24. Jüdischen Filmfestival Berlin & Brandenburg unter der Titel „Act of Defiance“ lief. Der Originaltitel zeigt das Interesse des Regisseurs an. Im Mittelpunkt steht der wichtigste Verteidiger des „Angeklagten Nr. 1“.

Act of Defiance, Spielfilm, NL 2017, Regisseur: Jean van de Velde. Mit Peter Paul Muller, Antoinette Louw, Sello Motloung

Eingebetteter Medieninhalt

Abram „Bram“ Fischer (1908 – 1975) war ein Produkt südafrikanischer Eliteschmieden. Die Familie siedelte seit Generationen auf dem Territorium des Oranje-Freistaats, der als unabhängige Republik nicht lange bestand. Das burische Trutzland behielt seinen Namen als südafrikanische Provinz. Darin überlebt die Erinnerung an einen „Act of Defiance“ jener Voortrekker, die sich Anfang des 19. Jahrhunderts der britischen Vorherrschaft am Kap der Guten Hoffnung entzogen und nach Norden ausgeschert waren. Sie opponierten gegen ein Verbot der Sklaverei, gegen das britische Rechtswesen und die englische Amtssprache. Rudimentär lässt sich der anti-britische Affekt noch 1963 aufspüren, als Nelson Mandela und andere Milizführer des verbotenen African National Congress (ANC) in Pretoria der Prozess gemacht wird. Richter Quartus de Wet muss uniformierte Vollstrecker der Apartheid dazu ermahnen, vor Gericht nicht Afrikaans zu reden.

Das Standesbewusstsein der studierten Klasse überflügelt im Film manchmal den Rassismus. Es ergeben sich Momente der Wertschätzung für die gebildeten Angeklagten sowie Szenen einer fast einvernehmlichen Deklassierung der im Zeugenstand lügenden Büttel.

Rivonia

Man kennt sich. Fischers Vater figurierte als konservatives Urgestein und langjähriger Chef der Bloemfontein Bar – einer Anwaltsassoziation mit verpflichtendem Charakter. Der Sohn trägt den selten verliehenen Titel Queen’s Counsel und wird zunächst als natürlicher Verbündeter des Regimes wahrgenommen, das sich über alles hinwegsetzt und so auch über die eigenen Gesetze, um die schwarze Wut in den Griff zu kriegen.

Peter Paul Muller spielt den Anwalt als die Redlichkeit in Person. Seine Kollegen wirken neben ihm wie promovierte Laufburschen. Fischer will sich bekennen. Seine Standfestigkeit lässt ihn leuchten. Er ist listig wie Odysseus. Ihm gelingt das allgemein für unmöglich Gehaltene: er bewahrt seinen Mandanten vor dem Galgen.

Mandela kommt zu kurz als der Größte im Ring der Geschichte. Sello Motloung stellt einen titanisch sein Milieu überragenden Mann dar - unbeugsam, galgenhumorig; so todesmutig wie gesprächig. Vielleicht ist ein bisschen zu viel Jesus in Motloungs Spiel. Die meisten seiner Streiter wurden auf einer Farm in Rivonia festgenommen. Der Vorort von Johannisburg gab dem sich von Oktober 1963 bis Juni 1964 hinziehenden, den Angeklagten vor allem Sabotage und kommunistische Umtriebe zur Last legenden Prozess seinen Namen. Die Kommunistische Partei war in Südafrika seit 1950 verboten. Den militärischen ANC-Flügel (Umkhonto we Sizwe, kurz MK) kaderte die illegale South African Communist Party. Das ist ein Dreh- und Angelpunkt im Geschehen. Nicht alle Angeklagten sind schwarz. Und die Weißen sind jüdische Kommunisten, so wie der noch lebende Denis Goldberg - und so wie Arthur Goldreich, der die Farm in Rivonia als MK-Stützpunkt gekauft hatte. Goldreich war Künstler und Krieger. Ihm gelang die Flucht aus dem Gefängnis. Als Priester verkleidet, rettete er sich außer Landes.

Fischer radikalisierte sich nicht erst im Verlauf des Verfahrens gegen Mandela. Er war „bereits vorher einer von denen“. Das stellt sein Gegenspieler Percy Yutar vor Gericht fest. Die Kinopolizei guckt unter Fischers Fußmatte und wühlt im Hausmüll. Sie dokumentiert Fischers konspirativen Husarenritte. Tochter Ilse (Izel Bezuidenhout) unterstützt den Vater gewitzt. Ehefrau Molly (Antoinette Louw) bewährt sich als ihrem Gatten den stärksten Halt gebende Regimekritikerin. Mutter und Tochter gewinnen Präsenz auf Nebenschauplätzen. Immer wieder verirren sich die Schilderungen ihrer Schliche in alltäglicher Schönheit und Bougainvillea Floristik.

Leger erscheinende Herren hört man sagen:

„Die Zeit des Redens ist vorbei. Es gibt nur noch die Entscheidung zwischen Bombe und Kugel (bomb or bullet).“

Zu den Feinheiten von „An Act of Defiance“ gehört das Spiel mit den Herrschaftssprachen, während indigene Sprachen nur in Protestslogans laut werden. Die Sprache der Buren dient in der Inszenierung primär privaten Bemerkungen. Auch die Liebe erklären sich weiße Afrikaner auf Kap-Niederländisch.

Der Film schwelgt in Stimmungen der Sechziger. Die jungen Weißen sehen so aus wie der Stab des Weißen Hauses in der Kennedy Ära. Die Haifischflossen der Limousinen signalisieren die Zukunft anpackende Entschlossenheit. Die Opposition gegen das Regime ist eine schicke Angelegenheit. Alerte Poolpartygäste düpieren im Sonnenschein eingeschränkte Befehlsempfänger, die nachts und in Kellern mit Folter Geständnisse erzwingen und Informationen erpressen. In einer frühen Szene sieht man Polizisten beim Waterboarding.

Act of Defiance, Spielfilm, NL 2017, Regisseur: Jean van de Velde. Mit Peter Paul Muller, Antoinette Louw, Sello Motloung

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden