Die Königskinder von Cambridge

Deutsch-Israelische LT Zwischen den Fronten – Wie streitet man richtig? Auch darüber diskutierten Autoren anlässlich der 13. Deutsch-Israelischen Literaturtage.

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Takis Würger

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Amichai Shalev nannte Israel im zweiten Panel eine „gewalttätige Gesellschaft“.

„Der nächste Krieg steht stets bevor.“

Man spürte, wie sehr Shalev die angespannte Lage in seinem Land belastet. Er sicherte seine Position mit Hinweisen auf eine begrenzte Zuständigkeit für große Fragen. Wenige verlässliche Informationen – „Ich weiß nicht, was gerade an den Grenzen los ist“ – gehen in einer Flut von erfundenen, verdrehten und zu systemischen Narrativen umgebauten Informationen unter. Vor diesem Hintergrund sei der Kampf um die Wahrheit ein Kampf gegen Windmühlen.

„Ich will keine soziale Tagesordnung vorgeben.“

Dem defensiven Konzept begegnete Nicol Ljubić mit lebhafter Streitbereitschaft.

Von links: Nicol Ljubić, Amichai Shalev

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Auch er vermutete die Wahrheit in der Verdrängung. Sich selbst sieht er „in einem Kampf um gemeinsame Regeln“. „Die Stellschrauben des gesellschaftlichen Zusammenlebens“ seien in Deutschland falsch eingedübelt. Ljubić riet dazu, sich aktivistisch in Parteien zu engagieren, Mehrheiten für linke Politik strategisch zu schaffen und außerdem neue Parteien zu gründen. In seinem literarischen Beitrag erinnerte er an den Lehrer Hartmut Gründler, der sich 1977 verbrannte, um ein Fanal zu setzen gegen die Verlogenheit der Bundesregierung in Fragen zur friedlichen Nutzung von Atomenergie. Folgt man Ljubić, dann handelte Gründler aus Wahrheitsliebe. Der Autor filtert das biografisch Verbürgte in die Sicht eines Zehnjährigen. Hanno Kelsterberg kann seiner Mutter nicht nahekommen, ohne ihre Verehrung für den kompromisslosen Gründler zu teilen. Der Wahrheitskrieger hatte im Kelsterberger Keller gehaust und war so nah der Familie, Frau K. ans Herzen gewachsen. Nun pflegt sie fordernd sein Andenken. Hanno macht mit als Spendensammler. Eines Tages klaut er einer Frau hundert Mark und kauft sich damit die Anerkennung seiner Mutter.

Ljubić betrachtet Gründler „als Sinnbild der Siebzigerjahre“. Seine Schilderungen ignorieren das offensichtlich Verbohrte und Fanatische des Helden. Vielleicht dient Ljubić die menschliche Fackel Gründler tatsächlich als Vorbild. Es gab eine Irritation im Gespräch. Shalev entzog sich dem Empowerment Impetus seines Gesprächspartners mit einlenkenden und zurückweichenden Formulierungen. Er bekannte, seit dem Tod von Yitzhak Rabin nicht mehr zum Demonstrieren auf die Straße gegangen zu sein. Seine Streitlust habe ihren Raum in der Literatur. Die Streitlust der anderen fand Shalev in den sozialen Medien besser aufgehoben als auf Asphalt. Er betonte die Vorteile des Unkörperlichen und machte eine interessante Rechnung auf. Der Platz, den ein Ereignis mit Likes, Kommentaren und Freundeskreiszuwächsen in den Medien bekomme, entscheide über die Bedeutung. Die mediale Wirkung ersetze das Gesetz der Straße als einer Frage der großen Zahl aufwändig Anwesender.

Frank Riede las für Amichai Shalev

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Im sozialen Souterrain der israelischen Gesellschaft

Für Shalev las Frank Riede aus „Splendid Isolation“. Der Roman spielt in einem Hotel und verdaut Erfahrungen, die Shalev in der Gastronomie sammelte.

„Beim Militär war es nicht schlimmer.“

Es gibt „sabbernde Hotelflügel“, eine „blutende Sonne“ und „Wörter, die in der Kehle vorrätig gehalten werden“ in diesem Kosmos. Das Personal rekrutiert sich aus ehemaligen GUS-Genossen, die im sozialen Souterrain der israelischen Gesellschaft angekommen sind. Das erzählende Ich phantasiert vom Aufstieg. Es faselt sich durch die Maloche und registriert mit der dickfelligen Dünnhäutigkeit der Deklassierten die Finessen arrivierter Gemeinheit.

Splendid Isolation ist ein Begriff des 19. Jahrhunderts. Als Mutterland eines Weltreichs gefiel sich England in Zeremonien der Abschottung. Fand man es angebracht, die Zugbrücke herabzulassen, unterbrach man eine freiwillige Isolation. Bis heute gibt es exklusiv geschlossenen Räume auf der Insel. Takis Würger erzählt davon in seinem ersten Roman „Der Club“, der genauso gut Cambridge Fight Club heißen könnte. Siehe meine Besprechung: https://www.freitag.de/autoren/jamal-tuschick/im-auftrag-der-tante

Würger trat gemeinsam mit Yiftach Ashkenazy auf. Natascha Freundel moderierte. Ich weiß nicht mehr, welche Frage von Freundel Würger dahin brachte, zu erzählen, wie er, der musikalische Laie, einmal von seinem Chef nach Paris geschickt worden war, um einen Pianisten zu porträtieren.

„Schreib über ihn wie du über einen Boxer schreiben würdest.“

Der Musiker erkannte schnell, dass er einen Ahnungslosen bewirtete. Er nahm es mit Humor und fixte den Journalisten mit Chopin an. Seither muss Würger klassische Musik hören, um sein Level zu halten.

Das College im Roman prägte zwanzig Staatsoberhäupter und zehn Nobelpreisträger. Nur die reichsten Kinder kriegen in der Eliteschmiede die Feinform verpasst. Und jetzt kommst du aus Niedersachsen und brauchst vier Stipendien, um in der Holzklasse mitzufahren. Den Rock’n’Roll bringt das Boxtraining. Alle boxen. Alle außer dir sind zwanzig, voll versnobt und von Testosteron durchgeladen. Mangel kennen sie nicht.

Neun Mal Training pro Woche ist Standard. Würger boxt einen guten Mann und verliert anständig. Nach der Niederlage bittet man ihn im Pit Club zum Lunch; die Königskinder von Cambridge erscheinen im blauen Blazer. Würger wird initiiert. Der Weitere steht im Roman.

Hammer- und Sichel-Lieder

Braucht eine Gesellschaft Eliten? – Auch diese Frage war ein Thema.

„Ich liebe Sport, der wehtut.“

Das offenbarte Ashkenazy.

„Man kann Schmerz genießen.“

Mir hat das Amos Oz erklärt. Die Sache ist ganz einfach: Wer mit Schmerz klarkommt, muss nicht gewinnen, um nicht zu verlieren. Der nimmt, was sich nicht vermeiden lässt, und bleibt stehen. Der steht einfach alles durch. Takis Würger begriff schnell, dass er früher als gewohnt aufstehen musste, um in Cambridge mithalten zu können. Einmal tat er nicht genug und stand deshalb entblößt vor seinem Tutor, der ihm eine Rekordzeitlektüre von Thomas Hobbes‘ „Leviathan“ zur Hausaufgabe gemacht hatte. Mit der Idee, fast alles (gelesen zu haben) sei genug, um nicht durchzufallen, fiel er durch bis auf den Boden der Einsicht, dass sich manche Leute nicht grundlos für besser als andere halten.

„Wir finden in der menschlichen Natur drei Gründe für Streit: erstens Konkurrenz, zweitens Mangel an Selbstvertrauen, drittens Ruhmsucht.“ Thomas Hobbes

Takis Würger (links) und Yiftach Ashkenazy stritten nicht und überzeugten wohl.

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Moderatorin Natascha Freundel hatte das Gespräch auf die Frage gebracht, ob eine Gesellschaft Eliten braucht. Ashkenazy, der eben noch daran erinnert hatte, dass es in einem sozialistisch-zionistischen Kibbuz Zigaretten und Kondome umsonst gab, obwohl ein vorbildlicher Sozialist Nichtraucher - und ein Rauchverbot in jeder zionistischen Pfadfinder-Verfassung festgeschrieben war, hob den Nutzen einer Oberschicht hervor.

„Wir gehen mit (Hammer- und Sichel-) Gesang, denn wir sind nicht zimperlich. Erst nehmen wir Hiram und dann die ganze Welt.“ https://en.wikipedia.org/wiki/Operation_Hiram

Auch Würger bestand darauf: die Besten müssen es machen, egal, ob in der Politik oder im Journalismus. Bloß keine Luschen, wenn es darauf ankommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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