Die paläolithische Revolution der Affen

Tierische Kognition Ludwig Huber, „Das rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche“ - Papageientaucher kratzen sich mit Holzstäben. Mangrovenreiher legen Köder aus. Große Tümmler krönen ihre Schnauzen mit Schwämmen ...

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„Man selbst zu sein ist ein Gefühl; und niemand anders wird das je so direkt wissen wie man selbst.“ Ludwig Huber

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Papageientaucher kratzen sich mit Holzstäben. Mangrovenreiher legen Köder aus. Große Tümmler krönen ihre Schnauzen mit Schwämmen, die sie am Meeresboden ernten. Visayan-Warzenschweine nutzen Rinde und Stöcke für ihre Untergrabungen. Elefanten schwenken Palmwedel mit ihren Rüsseln. Schimpansen nehmen Wasser in Blätterkelchen auf. Sie schützen sich mit Handschuhen und Schirmen aus Blättern. Manche Verbände jagen mit Holzspießen nicht anders als unsere direkten Vorfahren. Rückenstreifen-Kapuzineraffen imSerra Da-Capivara-National Parkschießen den Vogel ab, sobald es um den Einsatz von Werkzeug geht. Vereinzelt kombinieren sie Steine mit Stöcken.

„Nach archäologischen Untersuchungen an Schlagplätzen im Nationalpark Serra da Capivara in Brasilien reicht das Verhalten, Nüsse … (mit Steinen) aufzubrechen, in der Region rund 3000 Jahre zurück.“ Wikipedia

Die Koryphäen agieren wie Menschen im Paläolithikum. Sie hämmern und haken und modifizieren die Instrumente ihrer Wahl. Sie graben Wurzeln und Knollen aus, zertrümmern Holz und legen Larven frei. Sie schlagen Splitter aus Blöcken, pulverisieren Quarzeinschlüsse in Zubereitungs- und Darbietungsakten. Vermutlich spekulieren sie auf mineralische Prisen im Quarzpulver.

Ludwig Huber, „Das rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche“, Suhrkamp, 34,-

Mineralische Prisen

Bei der Analyse des kognitiven Potentials ergab die Massenspektrometrie, das technische Informationen über „hundert Generationen“ weitergegeben wurden.

Primaten transferieren steinaltes Wissen aus der Vergangenheit in die Zukunft.

Die Geradschnabelkrähe stellt „Stocherwerkzeuge mit Widerhaken“ her. Sie bastelt „aus den Zweigen des Lichtnussbaumes … Hakenangeln“, die multifunktional einsetzbar sind.

„Werkzeuggebrauch ist eine zielgerichtete Handlung mit einem geeigneten Mittel.“

Der schlichten Definition flankieren hochkomplexe Begriffsbildungen. Was dem Laien selbstverständlich erscheint, bleibt unter Expert:innen umstritten. Die Frage, ob Werkzeugbau und -gebrauch Intelligenz indiziert, lässt sich so einfach nicht beantworten.

Das erklärt Ludwig Huber.

Zustimmend zitiert erMalcolm McCullough, der ein Werkzeug als „angewandte Intelligenz“ bezeichnet. Folglich muss geklärt werden, ob ein zum Ameisenangeln eingesetzter Zweig dieser Bedingung genügt. In jedem anspruchsvollen Deutungsschema reicht dasGesetz der Wirkung(nachEdward Lee Thorndike) nicht aus. Daraus ergibt sich die Unterscheidung „zwischen einem intelligenten Ergebnis und einer intelligenten Handlung“.

Aus der Ankündigung

Kann man nichtmenschlichen Lebewesen Rationalität und Bewusstsein in einem anspruchsvollen Sinn zugestehen? Der international führende Kognitionsbiologe Ludwig Huber zieht in diesem grundlegenden Buch die Bilanz des gegenwärtigen Forschungsstands zum tierischen Denken. Mittels zahlreicher, eigens für dieses Buch angefertigter Abbildungen erklärt er anschaulich die wichtigsten Experimente und Beobachtungen und vermittelt so, was Affen, Hunde, Bienen, Krähen, Keas, Pfeilgiftfrösche, Schildkröten oder Kraken alles können: Werkzeuge gebrauchen und herstellen, kommunizieren, planen, Gedanken lesen und vieles mehr. Eine faszinierende Reise durch die Kognitionsforschung.

Huber will aber nicht nur zeigen, was wir heute über den Geist der Tiere wissen und wie wir es herausgefunden haben, sondern auch, wozu das gut ist. Neben der zweckfreien Befriedigung unserer Neugierde treibt ihn auch ein moralischer Imperativ: »Um sie zu retten, müssen wir uns kümmern, und kümmern können wir uns nur, wenn wir sie verstehen.« Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse verlangen eine entschiedene Revision unserer irrationalen und ethisch fragwürdigen Einstellungen gegenüber Tieren.

Zum Autor

Ludwig Huber, geboren 1964, ist Professor und Leiter des interdisziplinären Messerli Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Er leitet dort die von ihm gegründete Abteilung für Vergleichende Kognitionsforschung, deren Schwerpunkt auf der Erforschung der kognitiven und emotionalen Fähigkeiten von Tieren liegt.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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