Die politische Kraft der Kultur

Deutsch-Israelische LT Die Deutsch-Israelischen Literaturtage stehen 2018 unter dem Motto „Fair enough?“

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Clemens Meyer kurz vor der Eröffnung der 13. Deutsch-Israelischen Literaturtage im Berliner Deutschen Theater

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In seiner Eröffnungsrede der Deutsch-Israelischen Literaturtage 2018 beschwor Klaus-Dieter Lehmann „die politische Kraft der Kultur“. Der Präsident des Goethe Instituts sprach als Veranstalter. Gemeinsam mit der Heinrich Böll Stiftung richtet das Goethe Institut die Deutsch-Israelischen Literaturtage zum 7. Mal in Berlin aus. Sechs Mal war Tel Aviv Schauplatz eines Begegnungsformats, das Lehmann frei von der Patina einer Traditionsveranstaltung wähnt.

Die Deutsch-Israelischen Literaturtage sind ein Zukunftsbasar auf historischer Grundlage. Sie stellen ein Veto dar gegen alle Bestrebungen einer Distanzierung Deutschlands von Israel. Das sagte Lehmann ohne Wenn & Ach. Beide Demokratien seien hohen Belastungen ausgesetzt.

Weiter fragte Lehmann: „Was hindert uns daran, gerechter zu sein?“

In einem überraschend inspirierten Vortrag startete er an etlichen Stellen des Themenparks rund um die Siegessäule Ungerechtigkeit durch. Man wundert sich doch stets, wenn man bei einer Rede, die man nicht selbst hält, nicht total gelangweilt ist.

Nach Lehmann sprach Ellen Überschär vom Vorstand der Heinrich Böll Stiftung. Überschär bezeichnete das Streitmittel „Debatte als Lebensader der Demokratie“. Sie erinnerte daran, dass Demokratie sich nicht von Harmonie ableitet, sondern von dem Willen freier Leute, ihre Interessen zu wahren. Darin steckt bereits eine Erklärung für die globale Ungerechtigkeit. Oder um es mit der israelischen Schriftstellerin Mira Magén zu sagen: „Menschen sind nicht gleich.“

Magén trat gemeinsam mit Clemens Meyer auf, in einem von Shelly Kupferberg gewohnt souverän moderierten und unter der Überschrift „Schöner Wohnen“ der Gentrifizierung gewidmeten Dialog. Magén nahm das Publikum in die Pflicht, zur Kenntnis zu nehmen, dass sie am aktuellen Jom haScho‘a - dem Holocaust-Gedenktag in Gewissensnot nach Deutschland gekommen sei, wo kein Boulevard Trauer trägt. Sie und ihre Geschwister tragen die Namen von Ermordeten zum Andenken an das Undenkbare.

„Ich kann zu keiner Stunde des Tages vergessen, dass ich einem Volk angehöre, dem kein Platz auf diesem Planeten gehören sollte.“

Magén ortete die Menschheit zwischen diversen noch nicht. Sie nannte den Zweifel die Grundbedingung ihrer Existenz.

„Würde ich in einer Welt der Ausrufezeichen leben, könnte ich nicht schreiben.“

Bei Magén daheim werden nach einem Familienabkommen Politik und Religion thematisch ausgespart, um Streit in lautem Schweigen zu vermeiden. Sie ist eine Linke unter Orthodoxen, die in Israel gut untergekommen sind und – im Gegensatz zu späteren Einwanderern – etwas zu Vererben haben.

Tel Aviv beschrieb Magén als Fraß der Immobilienhaie. Migranten werden mit Kosten erschlagen oder an die Peripherie abgeschoben. Man drückt das Preispedal bis zum Anschlag und unterminiert Passagen zu den urbanen und kulturellen Kraftwerken. So entsteht Elend.

Auch Jesus war ein kleiner Mann

Spiralköpfe des Feuilletons stellen Meyer hin, als sei er ein Sprachrohr für Randfiguren. Im Deutschen Theater brachte der Schriftsteller diese Einordnung in die richtige Reihe. Ein Wahn der Hochkultur ziseliert die Vorstellung, dass Normale ergäbe sich am gesellschaftlichen Schmutzsaum. Die Imbissbude böte nur dem Gescheiterten ein Auskommen im Nirwana eines prekär-hybriden Selbstentwurfes. Tatsächlich ist jeder Bratwurst-Joe ein Kleinunternehmer wie Jesus selbst einst, so Meyer in einer grandiosen Korrektur von höherem Blödsinn.

„Auch Jesus war ein kleiner Mann. Auf einem Esel kam er in die Stadt und tat, was nötig war.“

Meyer hat eine Dissensprägung als von Christen in der DDR zum Christen erzogener Leipziger. Ihm schwebt die Bergpredigt als Ideal vor, daher Jesus als Beispiel für einen anachronistischen Selbständigen in der Sektenbranche. Meyer brach auch eine Lanze für den Friseur.

„Friseur ist ein normaler Beruf“ und keine soziale Notdurftverrichtung für ins Unglück Gefallene.

Meyer las aus dem Erzählband „Die stillen Trabanten“. Ein Imbissbetreiber bezweifelt die Lauterkeit einer zum Islam konvertierten Deutschen, die mit ihm im Treppenhaus einer Hochplatte rituell raucht. Sie lebt mit einem Iraker zusammen, der vielleicht gar kein Iraker ist.

Von links: Mira Magén, Shelly Kuperberg, Clemens Meyer

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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