Eine Löwin in Berlin

Elif Shafak hielt die Rede zum Auftakt des 17. Internationalen Literaturfestivals im Haus der Berliner Festspiele

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„Ich komme aus einem Land, in dem Worte schwer wiegen. Jeder Kommentar in den sozialen Medien kann dich in Schwierigkeiten bringen.“ - Elif Shafak hielt die Rede zum Auftakt des 17. Internationalen Literaturfestivals im Haus der Berliner Festspiele. Sie stellte fest: „Als türkische Schriftstellerin kann man es sich überhaupt nicht leisten, nicht politisch zu sein.“

Die Autorin mit Fan

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Foto: Jamal Tuschick

Shafak brach das Gesetz des Schweigens, indem sie sich zum Völkermord an den Armeniern äußerte. Eine Anklage wegen Beleidigung der Republik nach Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuchs wurde fallengelassen. Türkische Nationalisten werfen ihr kulturellen Verrat vor, weil sie auf Englisch schreibt. Shafak ist trotzdem die meistgelesene Autorin in der Türkei. Den Zuspruch versteht man richtig als Hinweis auf eine gesellschaftliche Spaltung. Im Haus der Berliner Festspiele flogen Shafak die Herzen zu. In ihrer Auftaktrede beschrieb sie den zynischen Umgang politischer Rückwärtsgeher mit demokratischen Spielregeln. Sie erinnerte an das Credo der Lupenreinen: „Wir benutzen die Demokratie wie eine Straßenbahn. Wenn wir angekommen sind, steigen wir aus.“

„Autoritäre Gesellschaften sind sexistisch.“

Shafak analysierte eine Türkei, die nicht mehr laizistisch ist. Sie schilderte Paradoxien einer konservativen Revolution. Die Gesellschaft verweigert ihre Emanzipation zugunsten eines religiösen Cocooning - als Reaktion auf Schock und Scham in Konfrontationen mit mehr als einer Moderne seit den letzten osmanischen Zuckungen. Die Türkei startet nun hinter den Markierungen von Atatürk.

Shafak warnte: „Wer die Türkei isoliert, spielt den Nationalisten in die Hände.“

„Die Überflüssigkeit der Demokratie in der islamischen Welt“ ist zu einer intellektuellen Flaniermeile geworden. Zu Wildreisrisotto und Kaviar sehnt sich die Creme nach einer „fürsorglichen Diktatur“. „Demokratie ist reine Zeit- und Geldverschwendung”, heißt es in Shafaks letztem Roman „Der Geruch des Paradieses“.

Die Festrednerin skizzierte ihre Biografie als eine Nomadenexistenz in Straßburg, Ankara, Istanbul, Phoenix und London. Sie habe mehr als einen Herkunfts- und Ursprungstext. Sei wie das Wasser, sagte sie mit Bruce Lee. Mit Antonio Gramsci bot sie dem Auditorium einen Trost für den Totalverlust der westlichen Fortschrittsgläubigkeit: „Er glaubte an all den Pessimismus des Verstandes und an all den Optimismus des Willens.“

Shafak schloss mit der Gleichung: „Totalitären Staaten Unterworfene sind in ihrer Mehrzahl unglücklich.“ Individuelles Unglück führe zu staatlicher Instabilität.

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Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

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