Jerusalem als Textland

Stefan Zweig Vorausschauend und hellsichtig diagnostiziert Stefan Zweig Antisemitismus als Verliererkrankheit. Er erkennt aber auch eine künstliche Erweckung abgestorbener Sprachen

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Mittelmächte versus Entente

Vorausschauend und hellsichtig diagnostiziert Stefan Zweig Antisemitismus als Verliererkrankheit. Bereits zu Beginn des Krieges sieht er Reaktionen der Mittelmächte auf die en passant prognostizierte Niederlage voraus.

Stefan Zweig, Briefe zum Judentum, herausgegeben von Stefan Litt, Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 24,-

An Abraham Schwadron schreibt Zweig im Frühjahr 1915: „Ich bin fest überzeugt, dass die Erbitterung, die jetzt schon latent ist, nach dem Kriege sich nicht gegen die Kriegshetzer, die Reichspost-Partei, sondern gegen die Juden entladen wird.“

Zweig verweist auf ein Register innerjüdischer Konkurrenz. Felix Salten macht er zum Vorwurf: „Sein Zionismus war immer Privatsache – von seinen tausenden Artikeln hat nie einer das Wort enthalten Ich als Jude.“

Im Gegenzug fand Salten Zweig bei Gelegenheiten zu „germanenfreundlich“.

Im Sommer 1916 postuliert Zweig in einem Brief an Martin Buber, dass sich jeder „deutsche Autor jüdischen Ursprungs“ offenbaren müsse.

„Was die Stellung zum Judentum betrifft - wäre es nicht die Aufgabe gerade Ihrer Revue* in einer Art großzügigen Rundfrage von jedem deutschen Autor jüdischen Ursprungs ein Bekenntnis seiner Stellung zu verlangen?“

*„Der Jude“, herausgegeben von Martin Buber beim Jüdischen Verlag in Berlin, erschien 1916-1928.

Geistiges Jerusalem

Zweig gibt der Volksgemeinschaft als letztem Aufguss (vormals prächtiger gedachter) Kommunionen im Geist des Nationalismus keine Chance. Er stellt einen Zusammenhang her, den ich nicht auf meiner Liste hatte. „Die tschechische ... (und) die ungarische (Literatur) sind ... in gewissem Sinne Beispiele künstlicher Erweckung abgestorbener Sprachen durch einen nationalen Willen und vielleicht ...“

Auf das vielleicht komme ich gleich zurück.

Zweig fehlt der zionistische Drive. Für ihn ist Jerusalem ein Textland. Er fasst Israel metaphorisch auf. Umso bedrängender findet der vom Start an überaus erfolgreiche Autor die Anforderungen, die echte Leute und ihre Leiden mit sich bringen. Zweig dient in der Etappe, als er einen Kollegen so kritisiert: „Sie wecken das Interesse an (einer Figur), bauen (sie) auf und im Augenblick, wo wir (sie) fühlen, geben Sie (sie) auf.“

Gleich mehr.

Skeptische Söhne

Stefan Zweig (1881–1942) war ein Akteur der Walter Benjamin-, Franz Kafka- und Gershom Scholem-Kohorte. Er gehörte zu den skeptischen Söhnen arriviert-assimilierter Gründerväter. Wohlstand wies ihnen einen Weg; Antisemitismus einen anderen. Zunächst ahnten sie mehr als sie verstanden, wie vergeblich und deshalb fatal der altvordere Anpassungsfuror war. Ihre Sicherheiten erwiesen sich als Irrtümer, die der Holocaust aufklärte.

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Judentum und Dichtung. Ein Tonfall des 19. Jahrhunderts klingt in diesem Verhältnis an. So hat man über die Aussichten in einem jüdisch-christlichen Abendland geredet, unter den Vorzeichen der Assimilation – erfasst und angehoben von der Aufklärung, deren Sonne allen scheinen sollte. Das Unbehagen an der Assimilation war schon ein Merkmal des Fin de Siècle. Während die Patriarchen noch ihre Zigarren mit den Flammen der Chanukka Kerzen in Brand setzten, ihre Kaiser Wilhelm Bärte wichsten und sich angekommen wähnten im Deutschen oder Habsburger Reich als Deutsche oder Österreicher jüdischen Glaubens, ahnten ihre Töchter und Söhne ein Scheitern des Projekts der jüdischen Selbstaufgabe. Sie wurden Zionisten und Kommunisten.

Stefan Zweig sieht im Judentum „Ferment und Bindung aller Nationen“. Das formuliert er 1917 in einer informellen Mitteilung, niedergedrückt von der Stupidität aller Kriegspropaganda. Stefan Litt überliefert eine Schätzung, nach der Zweig rund 25 000 Briefe und Postkarten geschrieben hat. Der Editor rechnet die Post in besonderer Weise zum Werk. Er wählte 120 Korrespondenzexponate an 43 Adressaten aus. „An erster Stelle wurden solche Briefe berücksichtigt, die ausführliche Passagen über verschiedene Aspekte und Probleme des Judentums enthalten.“

Litt folgt einer forschungsliterarisch bewährten Gliederung. Man unterscheidet „drei Leben“. Die Zeit von 1900 bis 1918. Den Ersten Weltkrieg überstand der Pazifist Zweig in einem Zustand bedrückter Gegnerschaft. In dieser Zeit schrieb er sich vor allem mit Martin Buber, Marek Scherlag, Abraham Schwadron Karl Emil Franzos und Emil Ludwig. Der zweite Abschnitt rahmt die Zeit von 1920 bis 1932. Schließlich folgen die Epistel der schweren Jahre von 1933 bis 1941.

„Die für diesen Zeitabschnitt zusammengestellten 72 Briefe befassen sich mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, dem sich damit weltweit verstärkenden Antisemitismus.“

Wenn ich es richtig lese, reagiert Zweig verzögert, vielleicht sogar widerwillig auf Solidaritätsforderungen im Zusammenhang mit Pogromen und anderen Emanationen des Judenhasses. Wie Hannah Arendt, so empfindet Zweig, zumindest glaube ich das, die automatischen Zuschreibungen als Zumutungen. Der gut gestellte Bürger bequemt sich nachgerade dazu, so etwas wie eine jüdisch basierte Leidensgenossenschaft anzunehmen. Zweig erkennt nicht den Nutzen und die Notwendigkeit einer israelischen Wagenburg zur Sicherung des Überlebens. Zweig hält individuelle Manöver erst einmal für ausreichend.

In einem Brief an Abraham Schwadron vom April 1915 wringt er sich förmlich aus, um seinen persönlichen Abstand zu der galizischen Katastrophe zu verkleinern. Litt schreibt:

„Die schlimmen Übergriffe auf die jüdische Bevölkerung im teilweise russisch besetzten Galizien führten Zweig zu einer gewissen Solidarisierung mit dem Schicksal der von dort vertriebenen Juden.“

Confessionelle Schwierigkeiten

Der erste von Stefan Litt edierte Brief datiert auf den 29. März 1900. Stefan Zweig wendet sich an Karl-Emil Franzos. Er nennt den Angeschriebenen Meister und gibt auch im Weiteren seiner Hochachtung Ausdruck. Der Künstler als junger Mann verspricht, die Muskeln seiner Kontakte spielen zu lassen. Er streicht feuilletonistische Verbindungen heraus. Zumal dreht sich die Spindel der Korrespondenz um - unter dem Titel „Die Juden von Barnow“ zusammengefasste -Ghetto­novellen.

Der junge Zweig stimmt die Epistel auf den Ton der jubelnden Zustimmung. Darunter könnte sich ein leiser Dissens verbergen, dem der Autor es nicht erlaubt, sich bemerkbar zu machen.

In einem anderen Zusammenhang memoriert er die „confessionellen Schwierigkeiten“ eines Redakteurs mit einer Geschichte, die ihm Zweig angeboten hatte. Die confessionellen Schwierigkeiten flossen in die Begründung einer Ablehnung, die der Debütant bemerkenswert ernstnimmt. Als Veteran muss man sich das erst einmal wieder klar machen, wie bedeutend einem publikationshungrigen Greenhorn das Dahingesagte eines Bestimmers erscheint ... dieser Quark eines jeden Tages.

Zweig kommt dem „verehrten Meister“ Karl-Emil Franzos mit Gedichten. Er zeigt sich engagiert in eigener Sache. Da will sich einer durchsetzen. Sein Verhältnis zum Judentum klärt er plakativ. Wieder sind es die vielen indirekten Einwände, die den Leser auch noch über hundert Jahre später begreifen lassen, wie Zweig zu brechen fürchtet unter den Lasten der Verwahrung gegen alle möglichen Vorurteile.

„Absolut treu dem Judentum habe ich von Jahr zu Jahr eine stärkere Abneigung, es logisch nur zu decretieren, alle Bücher, die es erklären wollen (Vom Judentum z.B. sind mir nur widerwärtig), ich verstehe es nur als Gefühlstatsache, als formlose, grenzenlose und unabgrenzbare: ich spüre, dass wir jeder damit etwas anderes meinen und jeder nur das, was er davon ist. Deshalb nur deshalb möchte ich dies Thema auch nicht streifen …“

Aus der Ankündigung

Stefan Zweig, einer der erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie, in der allerdings die jüdische Tradition kaum eine Rolle spielte. Seine Korrespondenz aus den Jahren 1900 bis 1940, unter anderem mit Martin Buber, Anton Kippenberg, Romain Rolland, Felix Salten und Chaim Weizmann vermittelt unmittelbare Einblicke in die Gedanken des weltberühmten Schriftstellers zum Judentum und zum Zionismus, die in dieser Form bisher nur aus wenigen Werken herauszulesen war.

Die vorliegende von Stefan Litt zusammengestellte und kommentierte Edition umfasst 120 in der Mehrzahl bislang unveröffentlichte Briefe und unternimmt erstmals den Versuch, Zweigs Stellung zum Judentum genauer zu erschließen.
Zu den Autoren

Stefan Litt, geboren 1969, Studium der Geschichte und Judaistik an der FU Berlin und der Hebräischen Universität Jerusalem, Promotion in frühneuzeitlicher jüdischer Geschichtean der Hebräischen Universität 2001, Habilitation an der Karl-Franzens-Universität Graz 2008. Seit 2010 Mitarbeiter an der National Libraryof Israel, seit 2011 für derendeutschsprachige Nachlässe und Sammlungen verantwortlich, seit Juni 2018 zudem für die europäisch-westlichen Kulturen.

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Stefan Zweig, wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und starb am 23. Februar 1942 in Petrópolis bei Rio de Janeiro. Er studierte Philosophie, Germanistik und Romanistikin Berlin und Wien, reiste viel in Europa, nach Indien, Nordafrika, Nord- und Mittelamerika. 1938 emigrierte Zweig nach England, ging 1940/41 nach New York, dann nach Brasilien, wo er sich 1942 das Lebennahm.
»Er war in seiner Zeit weltweit einer der berühmtesten und populärsten deutschsprachigen Schriftsteller. Seine unter dem Einfluß Sigmund Freuds entstandenen Novellen zeichnen sich durch geschickte Milieuschilderungen und einfühlsame psychologische Porträts aus, in denen die dezente, doch unmißverständliche Darstellung sexueller Motive auffällt. Seine romanhaften Biographien akzentuieren die menschlichen Schwächen der großen historischen Persönlichkeiten.« Marcel Reich-Ranicki
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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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