Eskalierendes Engagement

Feminismus Reyhan Şahin fühlt sich „im gesamtdeutschen feministischen Diskurs … wie eine feministische Insel“. Das offenbart sie in ihrem Pamphlet „Yalla, Feminismus!“

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Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray, 2012
Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray, 2012

Foto: imago images / Hoffmann

Anders als alle – Reyhan Şahin fühlt sich „im gesamtdeutschen feministischen Diskurs … wie eine feministische Insel“. Das offenbart sie in ihrem Pamphlet „Yalla, Feminismus!“

„Es gibt keinen Feminismus, der Rassismus ausklammert. Intersektionalität ist „a way of seeing“; „ein Depot voller ungehörter Geschichten“; eine Kraftquelle und ein Fundus der Gegenrede – backtalk.

„Die Widerrede hat mich zu einer politischen Person gemacht.“

Kimberlé Crenshaw

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Fuckademia nennt sie den Wissenschaftsbetrieb. Reyhan Şahin marschiert wie eine Alexandra-Alien von Humboldt unserer Tage durch Academia – anders als alle. Mit neun ging sie als Nutte zum Karneval, ganz so als hätte sie etwas grundsätzlich nicht verstanden oder als weigere sich etwas in ihr, auf der fett eingezeichneten Anpassungsmagistrale zu bleiben. Ihren Hamster nannte sie Ice-T, als Hommage an ihre musikalische Sozialisation, die man auch als Zwangsbeschallung bis zum Blow- oder Burnout der Liebe beschreiben kann.

Reyhan Şahin, „Yalla, Feminismus!“, Tropen-Verlag/Klett-Cotta, 316 Seiten, 20,-

Ich war klug schon als Kind, schreibt Şahin dem Sinn nach. Sie lachte Jungen aus, die in ihrer „weißdeutschen“ Ahnungslosigkeit nicht richtig über Rap Bescheid wussten. Aus ihrem Vornamen schmiedete Şahin den Künstlernamen Lady Ray. Die Ergänzung zum vollen Programm ergab sich im Verlauf eines Auftritts in Bremen-Tenever. Soziale Stadt Tenever spuckt Google zuerst aus, gibt man Tenever ein. Muss so was wie Neue Vahr Süd (Sven Regener) sein.

Ihr nennt mich Bitch und so (geht es) weiter. Man nennt das Reclaiming. Irgendwann geht Bitch so durch wie Schwul oder Punk. Dann guckt man nach und stellt fest: Aha, 2. September 1666 - Wie Mr. Povy sagt, verbringt der König die meiste Zeit damit, die Frauen, die man ihm nackt ans Bett schickt, abzutatschen und abzuküssen. Der alte Punk wird seine Geilheit nie los. Ungefähr Samuel Pepys

Natürlich stand Şahin mit ihrem Antizipationsvermögen ziemlich allein auf weiter Schulflur. Sie nahm #metoo vorweg. Zum Feminismus „kam sie über die Praxis, nicht über die Theorie“. Heute steht sie für „subversiven Feminismus via expliziten Sex-Rap“ fern jeder „feministischen Benenn-Mafia“.

Der weiße Mittelstandsfeminismus ist ein Hauptgegenstand der Kritik, die Şahin übt. Die Autorin, Musikerin und Wissenschaftlerin bringt Yalla in den Feminismus. Aufbruch und Zuversicht sind Marken des Yalla-Feminismus. Das YF-Konzept erlaubt zwar konfrontative, aber keine konformistischen Lesarten.

Feministische Intersektionalität

1989 prägte Kimberlé Crenshaw den Begriff der Intersektionalität, um das Zusammenspiel von unterschiedlichen Unterdrückungsformen zu beschreiben. Intersektionalität gibt Mehrfachdiskriminierungen nicht nur einen Namen, sondern auch eine Analyse.

Unter der Überschrift „Feministische Intersektionalität“ behandelt Şahin die Hauptstoßrichtung des nicht-weißen Feminismus. Sie stimmt mit Natasha A. Kelly überein, die gelegentlich feststellte:

„Der Schwarze Feminismus hat viele Ansätze.“

Das Verbindende ist die Intersektionalität.

Şahin referiert eine feministische Traditionslinie von Sojourner Truth über … bis zu ihr selbst.

Kurz zu der bannbrechenden Rede, die Sojourner Truth 1851 auf einem Frauenkongress in Akron, Ohio, hielt:

Lasst sie nicht sprechen

Es waren Frauen, die eine der ersten Schwarzen Feministinnen auf einem Emanzipationskongress vor hundertsiebzig Jahren nicht zu Wort kommen lassen wollten. Weiße Feministinnen traten als Garantinnen der Ungleichheit auf. Sie forderten:

„Lasst sie nicht sprechen.“

Sojourner Truth hielt trotzdem eine die Himmel der weißen Selbstgerechtigkeit erschütternde Rede vor Geschlechtsgenossinnen, die zwar strukturell erniedrigt wurden …

Dagegen rappt, schreibt und forscht Şahin an.

„Ich habe für mich Räume festgelegt … in denen ich unabhängig sein konnte.“

Das brachte Probleme und entschleunigte die Karriere.

Şahin weiß, dass nicht-weiße …

Emotionale Stahlbolzen in einer von Penissen bestimmte Infrastruktur

… deutsche Frauen „als Schlagbolzen für die Emotionen aller Menschen in ihrer Umgebung herhalten“ müssen (Natasha Kelly).

Eingebetteter Medieninhalt

Şahin beschreibt „eine von Penissen bestimmte Infrastruktur“ in dem Geschäft mit den Gefühlen Heranwachsender. Die aus den Ketten der Fremdbestimmung zumindest halbwegs geschlagene Visionärin schafft das Narrativ von der zumindest halbwegs unabhängigen, die Benennung von Missständen sozial überlebenden, mit verschiedenen Positionen jonglierenden Akteurin.

Şahin schildert ihre Vorgängerinnen und Mitbewerberinnen als Garantinnen eines Partisanenmuts in einer breitbeinigen Männerdomäne mit lyrisch gehypten Abzweigungen Richtung Kriminalität und menschenfeindlichem Verhalten. Eine falsche Berichterstattung hilft Profiteuren des Systems die Mutlosigkeit jener zu fördern, die ohnehin zur Unsicherheit neigen, ohne die Mächtig-Miesen aus dem Sattel zu heben.

Şahin spricht über die Krux des „hinnehmenden Song-Sexismus“. Sie plädiert für „gezielte feministische Interventionen“, die Rap-Rahmenbedingungen ändern und Sexismus ächten sollen. Das ist bestimmt die nächste Welle. Die Macho-Marginalisierung hat schon angefangen. In ihrer Logik setzen die Verteidiger einer untergehenden Welt nur noch das Geld des Hauses aufs Spiel. Das heißt, niemand, der jetzt mit großem Potential dazustößt, wird es so machen wie die Altvorderen mit und ohne „Migrationsdefizit“. Der nächste Newcomer mit Kawumm wird Chimamanda Ngozi Adichies Titel/Slogan/Ansage/Aufruf We Should All Be Feminists auf der Brust und auf den Lippen tragen.

Deshalb kommt Şahins Plauderei zur rechten Zeit. Die Pionierin steckt ihre Claims ab, bevor ein run auf das Gold der genderfluiden Diversität losgeht und Agent*innen der Zukunft den Rap der alten Männer zu Makulatur erklären.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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