Familie

Schwarzer Feminismus Plötzlich begreift Ralindu die Sorge und Not ihrer Mutter. In „Meine Mutter, die durchgeknallte Afrikanerin“ beschreibt die geniale Chimamanda Ngozi Adichie eine ...

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Plötzlich begreift Ralindu die Sorge und Not ihrer Mutter. In „Meine Mutter, die durchgeknallte Afrikanerin“ beschreibt die geniale Chimamanda Ngozi Adichie eine Kollision von Schwarz und Schwarz.

Ralindu, die lieber Lin genannt wird, sucht den Anschluss in Philadelphia im Rahmen afroamerikanischer Lebensmodelle sowie der Spielräume an den Rändern der Schwarzen Gemeinden, wo sich die Segregation in ihrer Auflösung beweist. Doch die Mutter will Ralindu afrikanisch; will, dass die Tochter den nigerianischen Abstammungshintergrund vor sich herträgt wie ein Transparent.

Chimamanda Ngozi Adichie, „Mehr Feminismus“, 112 Seiten, 8.-

Ralindu bemüht sich, den mütterlichen Starrsinn mit Beispielen aus ihrem Freundeskreis aufzuweichen. In Amerika identifiziert man die Herkunft mit der Geburtsstadt. Und das ist die konservative Variante.

„Cathy … ist aus Chicago, weil sie dort zur Welt kam.“

Niemand macht eine Wissenschaft aus der Differenz. Nach ein paar Jahren in Atlanta kommt man eben aus Atlanta.

Für die Mutter liegen Dinge auf einem anderen Kontinent näher als der Supermarkt und das Fitnessstudio an der nächsten amerikanischen Ecke. Ihr geht es darum, heilige Verbindungen in das Dorf der Ahnen nicht abreißen zu lassen. Die Tochter soll der Stammesgesellschaft nicht abhandenkommen. Und umgekehrt. Das reiche Erbe aus dem Ursprung darf nicht zum Kelch werden, der an Ralindu vorbeigeht.

Ralindu hat einen Anspruch, den sie kaum erkennt und soweit für wertlos erachtet. Die afrikanischen Traditionen funktionieren nicht in der Migration. Sie stehen der Anpassung im Weg. Sie machen Ralindu das Leben schwer.

Mit „Meine Mutter, die durchgeknallte Afrikanerin“ beweist Chimamanda Ngozi Adichie einmal mehr ihre Ausnahmestellung als Erzählerin. Sie balanciert ihr Ensemble auf der Spitze einer kühlen Modernität. Gleichzeitig sondiert sie die Chancen der historisierenden Introspektion. Während in der mütterlichen Sphäre die Gnade im Ursprung liegt und ihre Formulierungen für alle Zeiten feststehen, gehört Ralindu einer stotternden Zukunft, deren Feststellungen noch keine Ankerkraft haben.

Die Mutter ist zu festgefahren, um große Sprünge zu machen. Ralindu springt für sie. Ihr Engagement trägt Züge familiärer Wohlfahrt, sie versucht der Unbeweglichen einen Weg in die Wirklichkeit vor Ort zu zeigen.

Das ist eine großartige Anordnung. Die Jüngere weist in die Zukunft, die Ältere in die Vergangenheit. Zusammen erscheinen sie im Erzählraum als Galionsfiguren, die von einem Facharzt poliert werden, der seiner Frau und Tochter nach Amerika vorausgegangen ist und dort das Richtige getan hat, indem er nach der Ausbildung erst einmal drei Jahre für ein anständiges Anwesen arbeitete, schwarz und regulär. Auf die doppelte Anstrengung legt die Erzählerin wert. Sie klopft dem Vater auf die Schulter. Sie schildert „die eleganten steinernen Mauern, den Rasen von der Farbe unreifer Mangos… die geschwungene Treppe … das glänzende Geländer“.

In dem Musterhaus ist viel Platz für Streit.

Der Gatte ruft die seelisch in Afrika zurückgebliebene Frau zur Ordnung. Sie bietet sich ihm als Entstehungsort massiver Enttäuschungen an. Seine Erwartungen zerschellen an ihrer Resistance. Ralindu versteht sie besser, nachdem sie sich selbst im Spiegel einer Abwehrreaktion gesehen hat. Ein von der Mutter vor die Tür gesetzter Schwarzer Verehrer der Tochter reagiert auf die Regulierung gewissermaßen rassistisch. Ralindu erkennt, dass die Zuschreibung sie einschließt. Sie begreift den Schutzcharakter der häuslichen Gemeinschaft – und die Not der Mutter, die den Preis der Entwurzelung für die ganze Familie zahlt.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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