Ich will Hass nicht verstehen

Jaafar Abdul Karim „Wir sind eine Stimme für alle, die ihre Freiheit wollen.“ - Der Plural umfasst das Team, mit dem Jaafar Abdul Karim seit Jahren journalistische Aufklärung betreibt.

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Jaafar Abdul Karim

Eingebetteter Medieninhalt

Leute mitnehmen, ihnen eine Stimme geben und da, wo sie selbst sprechen wollen, ein Mikrofon – Der Emotionalist in seinem Element.

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Sie kommen aus Syrien nach Deutschland und noch bevor sie ausgepackt haben, engagieren sie einen Scheidungsanwalt. Sie trennen sich von Männern, die ihnen in Zwangsehen zugemutet wurden. Sie entledigen sich ihrer Fesseln und tauschen die Werkzeuge der Befreiung in Facebook-Gemeinschaften aus.

Obwohl seine „Welt zu schnell für Bücher“ ist, hat Karim seine Erfahrung als Leitfigur und Orientierungshelfer für Millionen einerseits und andererseits als investigativer Agent der Zukunft in „Fremde oder Freunde? - Was die junge arabische Community denkt, fühlt und bewegt“ auf über dreihundert Seiten zusammengefasst. Darüber sprach er gestern Abend mit der Prinzipalin des literarischen Salons Britta Gansebohm. Karim beschreibt in seinem Buch Emanzipationsschübe und Diskursverschiebungen als Migrationsfolgen. Syrerinnen, die auf der Flucht vor dem Krieg in der Türkei als Kellnerinnen das Geld für die Weiterreise nach Westeuropa verdienten, wollen ihre auf die harte Tour gewonnenen Freiheitsgewinne nicht mehr in der Verhandlungsmasse eines Ehealltags untergehen lassen.

Natürlich ragen über den emanzipatorischen Nebenwirkungen von Flucht und Vertreibung Elendsmassive auf. Karim besteigt sie professionell. Er moderiert die mehrfach ausgezeichnete arabischsprachige DW-Sendung Shabab Talk, in der sich junge Leute mitteilen können und die schon für manchen Eklat gesorgt hat. Der Tabubrecher geht dahin, wo es wehtut, ohne seine Ängste zu verschweigen. „Manchmal brauche ich Polizeischutz“, sagte er achselzuckend.

Das ist der Preis der Freiheit und der mitunter schwindelerregenden Überwindungen patriarchaler Strukturen.

In „Fremde oder Freunde?“ erzählt Karim noch einmal die Geschichte vom Arabischen Frühling, als via Facebook und Twitter die Zensur umgangen wurde und ein Rausch der Ermächtigung Millionen erfasste, die sich als eine Generation im Aufbruch erlebten. Man merkt Karims einladendem Schreibstil noch an, wie bewegungsorientiert und sozialmedial der Anfang war. Leute mitnehmen, ihnen eine Stimme geben und da, wo sie selbst sprechen wollen, ein Mikrofon: dieser im Gespräch deutlich gewordene Impetus spricht sich auch im Text aus.

„Die junge Generation ist voller Energie und Ambitionen und will etwas aus ihrem Leben machen. Was die Älteren nicht raffen, ist, dass sich die Jugend per Knopfdruck in andere Welten beamen und sich Zugang zu Informationen verschaffen kann.“

Inzwischen rangiert Karim als Mentor „der jungen Leute“, die ihn überall erkennen und für seinen Aufstieg mehr achten als für seine Ideen. In ihrer kritischen Bewunderung – „Jaafar, du gibst den Frauen zu viele Rechte“ - erkennt er seinen Auftrag. Karim macht keinen Hehl daraus, dass er sich den westlichen Werten auf der Höhe einer radikalfeministischen Agenda verpflichtet fühlt. Er will nicht, dass ethnisch differente Gruppen in Deutschland nach ihren eigenen Rechtsbegriffen handeln und die Dinge „unter sich“ austragen. Er weiß aber, „dass die Angst vor dem Skandal diese Menschen beherrscht“. Schande wiegt schwerer als der Tod.

Dagegen geht der Journalist vor. Doch findet auch seine Findigkeit keinen Dreh zum Glück mehr, wenn er irgendwo in Afrika einen Flüchtling aufgabelt, der drei Mal im Mittelmeer beinah ertrunken ist und nun das Geld für den vierten Versuch, nach Europa zu gelangen, auf die mühseligste Weise zusammenkratzt. Dabei ist ihm sonnenklar, dass er als asylunwürdiger Wirtschaftsflüchtling abgelehnt werden wird, sollte er es bis zu einer Ablehnungsstelle schaffen, und ihm in der weißen Welt nur die Hinterzimmer der Illegalität nicht vollkommen verschlossen bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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