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Rassismus James Baldwins 1963 erstmals erschienener Essayband „Nach der Flut das Feuer“ atmet Widerstand und Spiritualität

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James Baldwin
James Baldwin

Foto: Townsend/Getty Images

James Baldwins 1963 erstmals erschienener Essayband „Nach der Flut das Feuer“ atmet Widerstand und Spiritualität. Im ersten Aufsatz wendet er sich an seinen Namensvetter und Neffen James. Die Anrede verknüpft er mit einem biblischen Titel.

Im Verlauf seiner Jugend bemerkte er, dass ihn sein außerordentliches Wesen nicht davon abhielt, die gefährlichen Ausbruchsphantasien eines Gefangenen zu haben. James Baldwin erkannte die Brüchigkeit der „moralischen Hürden“, die ihn von einer „kriminellen Laufbahn trennten“.

„Ich war entschlossen, niemals meinen Frieden mit dem Ghetto zu machen, sondern lieber zur Hölle zu fahren, … als meinen Platz in diesem Staat zu akzeptieren.“

Wer behauptet, Baldwin habe einen versöhnlichen Ton angeschlagen, weiß nicht, wovon er spricht. Baldwin war unversöhnlich, aber auf die smarte Tour. In einem, nicht nur an seinen Neffen und Namensvetter James gerichteten Brief, rät er dem Nachkommenden zur Radikalisierung unter den Vorzeichen taktischer Klugheit. Er spricht den Jungen von allem frei.

„Die Erfahrung des Schwarzen mit der weißen Welt kann in ihm keinen Respekt für die Normen wecken, nach denen die weiße Welt zu leben vorgibt.“

Verfasst wurde der Brief anlässlich eines Pubertätsgeburtstages sowie des hundertsten Jahrestages der Sklavenbefreiung, den der alte Abe L. allein mit Gott ausgemacht hat. Er manifestiert sich in einer Proklamation vom 1. Januar 1863.

Baldwin kontert:

„Dieses Land feiert hundert Jahre Freiheit hundert Jahre zu früh.“

Er warnt den Neffen, „zu glauben, was die Weißen über ihn sagen“.

Die Lebensumstände der Schwarzen vergleicht der Onkel mit Londoner Zuständen im 19. Jahrhundert, so wie sie von Charles Dickens beschrieben worden seien. Die Ignoranz der Weißen bezeichnet er als „Unschuld – In der Unschuld liegt das Verbrechen“.

„Deine Landsleute wissen nicht, dass es dich gibt … Deinem Streben sollen für alle Zeiten Grenzen gesetzt sein.“

Meiner Brüder Hüter/ Shereos Schwarzer Selbstermächtigung

James Baldwin traf in der Hochzeit der Bürgerrechtsbewegung, die von einem institutionalisierten und gleichzeitig tief empfundenen, aus einer Riesenangst geborenen Rassismus gekontert wurde, mit „Nach der Flut das Feuer“ mehr als einen Nerv. In Baldwins Mensch in der Revolte, um einen Titel von Camus anzubringen, begegnen sich die Positionen von Malcolm X und Martin Luther King wie in einem Kampf schierer Schönheit, den Muhammad Ali in der Verfassung des Goldmedaillengewinners von Rom mit sich selbst bestreitet.

Nie sahen sie besser aus als in den frühen Sechzigern: die Shereos Schwarzer Selbstermächtigung.

„Ich weiß, wie düster es heute für dich aussieht“, schreibt James der Ältere dem jüngeren James, auch als Hüter seines Bruders; dem Vater des Angeschriebenen … einem jähzornigen, unsteten Charakter. Einem halb Verworfenen, der dem „N… problem“ der Weißen zum Beweis diente. „Doch, wenn wir uns nicht geliebt hätten …“, dann hätte das keiner in der Familie überlebt.

Baldwin schildert, wie er als Jugendlicher von außen „definiert, beschrieben und begrenzt“ wurde. Doch plötzlich war er erwachsen und sprach als Shooting Star in einer TV-Sendung. Elijah Muhammad (Nation of Islam) umwarb den verhinderten Pfarrer … Muhammad, der als Sechsjähriger zuzusehen gezwungen war, wie sein Vater gelyncht wurde, sagte: „Alle Weißen sind Teufel“ … Muhammad fragte nach Baldwins nächstem Ziel. „Wo auch immer, man würde mich hinfahren – denn wenn wir jemanden hierher einladen,“ bewahren wir ihn auf seinem Heimweg vor den weißen Teufeln. Das sagte der greise Führer einer imaginären Nation zu einem, der gerade drauf und dran war, mit ein paar weißen Teufeln einen trinken zu gehen.

Baldwins Perspektive gewinnt gleichwohl nichts Tröstliches.

„Der Weißen Himmel ist der Schwarzen Hölle.“

Europa begriff Baldwin als „Gottes Festung“ und Hochburg der Barbarei. Doch widerfuhr ihm da etwas Wunderbares. Auf der Suche nach einem Englisch eigener Provenienz, einer vom weißen Herrschaftstext nicht restlos durchdrungenen und verseuchten Sprache, einer emanzipatorischen Sperre vor dem geschundenen Selbst, einem Refugium von Widerständigkeit und Spiritualität, einem Schwarzen Hafen jenseits der Kontinente Henry James, Walt Whitman und William Shakespeare, gelangte James Baldwin (1924-1987) zu den Quellen des Blues in einer Vorhölle des Gospels: den Spirituals. Kurioserweise gelangte er dahin in der Schweiz, und zwar in Leukerbad im Wallis. Baldwin hatte wenig mehr dabei, als eine Schreibmaschine und zwei Bessie-Smith-Platten. Aus seinen Beobachtungen vierzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel in einem auf Fremde, nicht jedoch auf Schwarze Fremde eingestellten Dorf zog Baldwin weitreichende Schlüsse. In den staunenden Europäern erkannte er den Urgrund der amerikanischen Verachtung. Er begriff, dass es möglich war - dass es im XX. Jahrhundert möglich war - dass es nach dem Schwarzen Blutzoll in zwei Weltkriegen möglich war, Schwarze nicht als Menschen zu begreifen. Irgendwo erwähnt Baldwin, wie Schwarze Soldaten nicht umhin kommen zu bemerken, dass ihre selbstverständlich weißen Vorgesetzten deutsche Kriegsgefangene besser behandeln als die Schwarzen Waffenbrüder. Das alles und noch viel mehr veranlasste Baldwin, eine weiße Unschuld anzunehmen. In diesem Kontext sind Weiße außerstande, sich selbst zu reflektieren. Deshalb können sie nicht erwachsen werden.

Unerwachsen und mythensüchtig …

„Schwarze Amerikaner haben den großen Vorteil, nie an die gesammelten Mythen geglaubt zu haben, an die sich weiße Amerikaner klammern.“

Weiter zum Spiritual:

Der Motherless-Child-Komplex

Der frühe Sacro-Pop vokalisierte auf seiner Frontlinie das Sklavenelend und spiegelte da die Herrschaftsverhältnisse, so dass weiße Zuhörer*innen geblendet wurden. Ihnen entging jene doppelte Subversion, die das Genre für Baldwin so brauchbar machte, dass er viele Überschriften diesem Fundus entnahm. Ein zentraler Titel heißt in der Übersetzung „Nach der Flut das Feuer“ und im Original „The Fire Next Time“. Wikipedia sagt: „The Fire Next Time is a 1963 non-fiction book by James Baldwin. The book‘s title comes from the couplet God gave Noah the rainbow sign / No more water but fire next time in Mary Don‘t You Weep, a N… spiritual.“

Der Spiritual war auch ein Medium der Oral History. Er transportierte Informationen über den Familienstand und exponierte eine Marke im vielfach zerrissenen Familiengefüge: die/der Waise und die unter anderen Voraussetzungen elternlos Aufwachsenden. Das ist der Motherless-Child-Komplex. Zugleich stellte sich die Übernahme der weißen Religion auch als Selbstverteidigung dar. Christianisierte Sklaven überwanden die Nutztierstufe. Sie ließen sich nicht mehr von allen Aspekten der christlichen Brüderlichkeitsgebote getrennt wahrnehmen.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Religiosität wurde also nicht nur von Paradieserwartungen angestachelt. Der Glaube half zu überleben. Im religiösen Gesang verbarg sich aber auch eine – Eingeweihten vorbehaltene - Gesellschaftskritik. Man ordnete Eigenschaften der Baumwollbarone biblischen Gestalten zu.

Call and response

Der Spiritual hatte Kassiber- und Entlastungsqualitäten und zudem eine enorme Reichweite. In den Afroamerikanischen Gemeinschaften wurde die Rekurse stets verstanden. Das erklärt, weshalb Baldwin in den Vereinigten Staaten nie aus dem Kanon gekippt ist, während in Deutschland sein Werk gerade wiederentdeckt werden muss.

James Baldwin: „Nach der Flut das Feuer“ Essays, aus dem Amerikanischen von Miriam Mandelkow, Dtv, 124 Seiten, 18,-

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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