Indoktrinierende Räuberpistolen

Kolonialismus Im KLAK Verlag präsentierte Bartholomäus Grill seine Bestandsaufnahme „Wir Herrenmenschen: Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte“.

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Friedrichshain-Kreuzberg/Paul-Lincke-Ufer – Im KLAK Verlag präsentierte Bartholomäus Grill seine Bestandsaufnahme „Wir Herrenmenschen: Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte“. Im Gespräch mit der InterKontinental-Agentin Stefanie Hirsbrunner erklärte der Afrikaexperte und „Spiegel“-Korrespondent, dass die bis heute funktionierende Struktur der Entnahme afrikanischer Ressourcen und die Auslagerung der Wertschöpfung im Sklavenhandel der Konquistadoren-Ära fundamentalisiert wurde.

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Der letzte Überlebende

Man kann es drehen und wenden wie man will. Geht es um Afrika, läuft man stets Gefahr, die nahezu klassische Manier der Kolonialabenteuergeschichte zu kolportieren, wenn sich denn etwas nicht im Tonfall der Schelte darlegen lässt. Europäer meiner Generation vereint ein Wahrnehmungsgrundstock, der von indoktrinierenden Räuberpistolen beeinflusst wurde. Es klingelt, wenn das Wort „Askari“ fällt. Sofort habe ich bubenhafte Fußgänger mit aufgeworfenen Lippen/in kurzen Hosen/folgend einem berittenden Weißen in langen Hosen vor Augen und der „Sarotti-M…“ ist nicht weit. Womöglich entfaltet die Erziehung zum Rassisten eine stärkere Prägungskraft als jede andere einweisende Unterrichtung eines zur übernehmenden Weiterführung des Unternehmens Gesellschaft Vorgesehenen.

Grill reagiert auf die Frage, ob „deutsche Askari“ auch in Europa eingesetzt worden seien. Der Experte schließt das aus. Er erinnert an die von der französischen Generalität im Ruhrgebiet eingesetzten „Senegalschützen“. Der „Senegalschütze“ bildet ein Paar mit dem „Rheinlandbastard“. So vergiftet ist der Untergrund.

Grill erzählt von einem greisen „Askari“, den er noch kennengelernt hat: als Empfänger eines „Treuegeldes“ oder „Ehrensoldes“ aus irgendeinem bundesrepublikanischen Fond. Hochgeachtet war dieser letzte Überlebende einer Epoche. In der lange vergangenen Gegenwart der deutschen Kolonialpräsenz in Afrika genossen die Schwarzen Soldaten der Weißen in der indigenen Bevölkerung ein hohes Ansehen, da sie über Geld und Waffen verfügten. Die militärische Hierarchie spiegelte die institutionalisierte Verachtung. Im Nationalsozialismus habe es aber eine „Glorifizierung“ der Auxiliartruppe gegeben. Treue und Opfermut der Afrikaner erschienen zur Einschärfung tauglich.

Grill moniert, dass „zwei Generationen von Historikern“ kein Versäumnis darin erkannten, nach dem rassistischen Gefällekonzept einst militarisierte Schwarze als Zeitzeugen zu befragen. Die Geschichtsschreibung gehorche immer noch einer „machtpolitischen Perspektive“.

Ja, der Blick des Kolonialherren dominiert die Rezeption auch da, wo das Vokabular die rassistische Wahrheit verblendet.

Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm in der verspäteten Nation ein Typus Gestalt an, der im ferneren Europa schon lange dem Ideal des Tatmenschen entsprach. In Deutschland entstand der koloniale Charakter im Einklang mit der Reichseinigung. Der Kaiser riet zu Empowerment. Hundertfünfzig Jahre später fahndet Grill nach der deutschen Handschrift im europäischen Kolonialerbe. Er entdeckt „kariöse Gebäude“ und identifiziert sie als Fremdkörper in der Landschaft. Er unternimmt eine genaue Betrachtung der Machart. Er stellt das Baujahr fest.

Ein Haus deutscher Bauart

„Ziegeln, Kalk und Zement“ kamen aus dem Wilhelminischen Reich und wurden übers Meer geschafft. Mit dem Material verfuhr man so, wie eine Berliner Verordnung es empfahl. Man baute für die Ewigkeit in Afrika.

Das stellt Grill fest. Alles durfte für vorläufig und verbesserungswürdig gehalten werden, die Arbeitsmoral der Kolonisierten genauso wie die Attitüden der Potentaten und die Manieren der Konkurrenten – nur nicht der Architektur gewordene Anspruch auf den soeben ergatterten, schwer umstrittenen „Platz an der Sonne“ (Bismarck). Briten, Franzosen und Portugiesen bauten Vorsprünge in alle Richtungen aus. Sie waren seit Jahrhunderten im Eroberungs- und Ausbeutungsgeschäft.

Koloniale Denkstrukturen

Ein ehemaliger Afrika-Berater der Bundeskanzlerin lieferte besonders anschauliche Beispiele für unbegriffenen Rassismus. Solche Leute, so Grill, unterscheiden sich sogar im Habitus kaum von den Kolonialadministrialen im Wilhelminischen Deutschland. Ihre sonst wie bundesrepublikanisch-humanitär deklarierten Interventionen dienen der Etablierung und Unterhaltung „vorgeschobener Posten der Festung Europa“.

Wer sich den Prozessen der Dekolonisation entzieht, bleibt da stehen, wo sich ein Kontinent in die Vorwärtsverteidigung abzuschließen versucht. Inzwischen verlaufen europäische Außengrenzen in Westafrika. Der Kolonialismus setzt sich in einem rigiden Grenzregime fort, das künstliche und natürliche Barrieren auch als tödliche Migrationshemmnisse kalkuliert.

Das funktioniert nur auf einer Basis der Entmenschlichung und des krassen Otherings. Nichts beweist eine größere Resistenz gegen Erkenntnisse als das Ressentiment. Wir sind darauf angewiesen, schnell zu urteilen, da hilft das Vorurteil. Das erklärt im Verein mit den Machtverhältnissen, warum Menschen nicht aufhören, etwas für biologisch zu halten, was nur einer Konvention entspricht, oder um Stuart Hall zu zitieren, „Rasse ist ein gleitender Signifikant“. Der Kulturwissenschaftler zieht „Rasse“ oft, aber nicht immer aus dem Rahmen der Markierung eines kontaminierten Begriffs. Hall beschreibt das „verhängnisvolle Dreieck“ Rasse, Ethnizität und Nation, sich beziehend und berufend auf W. E. B. Du Bois.

Nachtrag 1

Grill meint, dass die chinesische Präsenz in Afrika in zwanzig Jahren mehr bewirkt habe als sechzig Jahre europäische Entwicklungshilfe zu bewirken vermochten. Es gäbe von Chinesen vorbildlich geführte Betriebe und zweiundvierzig Konfuzius-Institute in Afrika.

Nachtrag 2

Grill hat seine letzten Dienstreisen als Korrespondent absolviert. Ein Scheitern auf der ganzen Linie registrierte er in Simbabwe. Die Bevölkerung leide unter den Folgen des Klimawandels und der politischen Korruption. „Ein Apparat von Parasiten“ bediene sich und lasse selbst von Katastrophenhilfslieferungen wenig übrig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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