Jogurt im Knobelbecher

Maxim Gorki Studiobühne Am zweiten Abend der „Radikalen Jüdischen Kulturtage“ erschien „Celan mit der Axt“

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Celan mit der Axt

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„Wir haben die Koffer ausgepackt.“

So lautet ein Hauptsatz in Max Czolleks Selbstgespräch für eine Person im „Echoraum der toten Juden“. In der Inszenierung von Sapir Heller erscheint der Erzähler (Till Wonka) als wiederholt gescheiterter Versuch, ein „richtiger Deutscher“ zu sein und sich wohl zu fühlen in der bundesrepublikanischen „Selbstoptimierungsgülle“. Das gestundete Ich variiert Schrumpfvarianten eines wie nach Fahrplan misslingenden Lebens. Es erscheint als Skizze und gewinnt Bildhaftigkeit nur, wenn es sich historischen Größen anverwandelt. Im Verlauf des Bühnengeschehens tritt es dem Publikum als Paul Celan, Hannah Arendt und Thomas Brasch entgegen. Ferner macht es einen Bordell- und Immobilienunternehmer namens Amichai Süß aus sich. Es entlarvt Martin Walsers Paulskirchenrede von 1998. Schließlich suggeriert es dem Publikum, aus dem Stehgreif Heldentaten eines Uropas und eines Opas ins Spiel zu bringen.

„Celan mit der Axt“ geht von einem literaturgeschichtlichen Ereignis aus. Im Mai 1952 folgt Celan einer Einladung von Hans Werner Richter zur Teilnahme an der 10. Tagung der Gruppe 47 in Niendorf an der Ostsee. Der Dichter reist aus Paris an. Ihm ist nicht wohl in der Gesellschaft ehemaliger Wehrmachtssoldaten und Flakhelfer, die auf „literarischen Knüppelpfaden“ in „literarische Schützengräben“ umgezogen sind und ihre Prosa „um den Preis der Poesie“ (Wolfgang Weyrauch) gewinnen. In den Männern laufen in jeder Hinsicht starke Verdrängungsmotoren. Die Gruppe 47 beherrscht den Betrieb, sie setzt ihre Autoren durch; später auch erfolgreich gegen nachfolgende Generationen. Im Kreis der Tüchtigen liest Celan aus „Mohn und Gedächtnis“, der den ersten Band, „Der Sand aus den Urnen“, einschließt. Er liest die „Todesfuge“. Czolleks Kolportage macht daraus eine Sitzung auf dem „heißen Stuhl“. Gelächter unterbricht den Vortrag. Die da lachen sind, so Czollek, „geistiges Proletariat“.

Die nie aus ihren Knobelbechern gekommenen Kollegen verreißen den Zerrissenen.

„Der liest wie Goebbels.“

Wonkas Spiel zeigt die Methode. Wieder hat keiner was von nichts gewusst, auch nicht, dass Celans Eltern von SS ermordet wurde. Man stößt sich an der Stimme und dem hohen, von einer Tradition beglaubigten Ton.

Hannah Arendt stellt Wonka als Befragte dar, im Nachgang der Diskussion, die den Prozessbericht „Eichmann in Jerusalem“ verfolgte. Zunächst dementiert Arendt einen jüdischen Kindheitshintergrund. Über ihre Herkunft sei sie auf der Straße aufgeklärt worden. Man habe sie zur Jüdin gemacht.

„Wer als Jüdin angegriffen wird, muss sich als Jüdin wehren.“

Bei allem bleibt Eichmann für Arendt ein „Hanswurst“.

So geht es weiter im Stück. Es wimmelt von bemerkenswerten Einfällen und Sätzen. Wonka verwandelt alle Textvorlagen. Vielleicht geht er darüber hinaus in seiner Würdigung der Altvorderen. Ein Urgroßvater habe noch als „guter Deutscher“ im Großen Vaterländischen Krieg Mut beweisen dürfen. Friedrichs Pour le Mérite verdient er sich vor Otto von Emmich. Sein Sohn weicht nach England aus und wird Pilot der Royal Air Force. In einer Avro 683 kreuzt er am Himmel über Deutschland auf.

Ziemlich zum Schluss sagt der von den Helden, die er anspielen durfte, gedopte Stellvertreter:

„Wir haben nichts mehr außer Erinnerungen an Dinge, die wir nicht erlebt haben.“

Aber endlich haben „wir“ einen gemeinsamen Feind. Das ist der Feind „unserer Werte“.

„Celan mit der Axt“, ein Text von Max Czollek. Regie: Sapir Heller

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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