Kampfgeist & Intelligenz

Holocaust An einem Knotenpunkt zwischen Jüdischem Widerstand und dem Anstand eines Einzelnen - Mehr zu Viktoria Hertlings Annäherung „Mietek Pemper. Der kluge Kopf ...

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Dem dreiundzwanzigjährigen Mietek Pemper gelang es, die „mörderische und als übermächtig geltende Nazibürokratie … erfolgreich zu täuschen.

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In Steven Spielbergs „Schindlers Liste“ findet der Privatstenograf des KZ-Kommandanten Amon Leopold Göth nur am Rand Erwähnung. Die im Film zur bedeutungslosen Kunstfigur abgesunkene, historisch jedoch eindrucksvolle Person des Mieczysław „Mietek“ Pemper (1920 - 2011) taucht in einer Szene auf. Der Regisseur verdichtete wesentliche Aspekte der mit dem Namen des Unternehmers Oskar Schindler verbundenen Rettung von mehr als 1100 Menschen und niemand nahm ihm die künstlerische Freiheit übel. Pemper verteidigte Spielbergs Entscheidungen zu seinen Lasten als notwendig. Das erzählt Viktoria Hertling in ihrer Würdigung eines großen Mannes.

In seiner Rede zur Entgegennahme einer Ehrenbürgerschaft sprach Pemper vom saeculum horribile. Die Autorin weist darauf hin, dass horribilis sowohl schrecklich als auch staunenswert bedeuten kann. Es gibt mehr Gründe für die Annahme, dass sich Pemper nie nur als Opfer, sondern stets auch als Zeuge betrachtete, und darüber hinaus als Akteur auf dem höchsten Grat der Gefahr. Er bewies Kampfgeist und Intelligenz.

Viktoria Hertling, „Mietek Pemper. Der kluge Kopf hinter Oskar Schindlers Liste“, Hentrich & Hentrich, 126 Seiten, 16,-

Pemper schrieb mit Schindlers Liste Geschichte. In einem Aktionskonstruktivsmus heikler Manöver war er Handelnder und zum Schein allein ausführendes Organ. Hertling deutet ihn als Kopf offensiv-defensiver, akkurat abgezirkelter Operationen. Pemper legte dem Fabrikanken von leicht brechenden Haushaltswaren Schindler die Produktion kriegsrelevanter Metallgegenstände nah. In Erfahrung gebracht hatte er da längst, wovon die tausend Stäbe träumten.

Gleich mehr.

Zur Einordnung

Pemper diente einem Massenmörder. Dem Kommandanten von Krakau-Płaszów wurden mehr als fünfhundert Morde von eigener Hand nachgewiesen. Pemper sagte als Hauptzeuge aus. In einem „Spiegel“-Interview aus dem Jahr 2002 erklärte Pemper, wie er in nächster Nähe eines lustmörderischen Sadisten konspirativ überlebt hat:

„Göth hat mich unterschätzt.“

Jede große Erzählung atmet in einer Korona und gibt von ihrer Essenz nie einfach alles preis. Seit „Schindlers Liste“ zum geflügelten Wort wurde, verbindet sich damit das Bild eines aufrechten Deutschen, den die moralischen Grundsätze seiner Erziehung nach einem langen Eiertanz dazu zwangen, vom Weg des geringsten Widerstands und größten Profits abzuweichen und sich gerade zu machen im Kampf gegen den nationalsozialistischen Verbrecherstaat.

Ein Todgeweihter rät dem herrschaftlich trinkenden Frauenhelden Schindler im Herbst 1943 dazu, umzusatteln und ins Rüstungsgeschäft einzusteigen. Das Reich braucht Waffen. Der Tipp ist totsicher.

Was aber bewegt Mietek Pemper?

Als intimer Kenner der Göth’schen Administration weiß er, dass in Berlin beschlossen wurde, jüdische Zwangsarbeitslager aufzulösen, sofern sie nicht unmittelbar dem Endsieg zuarbeiten. Schindler erweitert seine Produktion entsprechend. Er verlegt sich auf die Fertigung von Artilleriehülsen. Deshalb bleibt Płaszów in Betrieb.

Schreibsätze in Spiegelschrift

In seinen Sekretariatsfunktionen gewinnt Pemper Einblicke wie sonst nur hochrangige NS-Kader. Er jagt die Namen und Adressen besonders widerwärtiger Aufseher durch Partisanen-Pipelines. Der deutschen Sekretärin diktierte Schreibsätze studiert er in der Spiegelschrift auf dem Kohlepapier für die Durchschläge.

Viktoria Hertling schreibt: „Nach der blutigen Auflösung des Krakauer Ghettos, (muss) der hochgebildete, inzwischen 23-Jährige unfreiwillig als Stenograf … für den Kommandanten im Lager Płaszów arbeiten.“

Pemper qualifiziert zumal, als Einziger weit und breit „die deutsche Einheitskurzschrift“ zu beherrschen, „für eine … Dienststelle … unentbehrlich“.

Seine Devise lautet: „Die Ursachen der Dinge erkennen“

Pemper „schönt“ Produktionslisten. Er bemüht sich um technische Details, die Wissensfülle und einen erheblichen Ausstoß von Metallgegenständen suggerieren. Er geht ein hohes Risiko ein, aber sein Kalkül geht auf. Göths Macht hängt von dem Lager ab, dessen „König“ er zu sein beliebt. Löst man das Lager auf, endet Göths Allgewalt.

Hertling skizziert ein Dreieck: Schindler - Pemper - Göth. Es geht um Schindlers Spielräume als verdeckter Antifaschist und Fabrikant, um Pempers Genie und um Göths herrschsüchtige Eitelkeit.

Pempers Coup rettet zunächst das Leben von Tausenden. Das Lager behält seine Existenzberechtigung als Eckpfeiler im Rahmen einer Rüstungsanstrengung.

Aus der Ankündigung

Mietek Pempers Lebensgeschichte als unfreiwilliger Schreiber des berüchtigten KZ-Kommandanten Amon Göth ist einzigartig. Als dessen persönlicher Stenograph verschaffte sich der damals 23-jährige polnisch-jüdische Häftling rasch Einblick in die Verwaltungsstrukturen des Lagers Płaszów und bekam sogar Kenntnis von geheimen Plänen der Nazis zur Liquidierung tausender Mithäftlinge. Oskar Schindlers mutige Rettungsaktion ist inzwischen weltbekannt. Es gab zuvor mit den „gefälschten Produktionslisten“ aber eine weitere, nicht minder kühne Widerstandsleistung. Mietek Pempers klug eingefädeltes Täuschungsmanöver war eine unverzichtbare Vorbedingung für Oskar Schindlers berühmte Liste.

Zur Autorin

Viktoria Hertling - Professorin für Holocaust- und Exilforschung, arbeitete von 1994 bis 2009 als Direktorin des von ihr gegründeten Center for Holocaust, Genocide & Peace Studies an der University of Nevada in Reno. Sie hat zahlreiche Bücher und Essays zum Thema veröffentlicht. Bis 2013 lehrte sie in Berlin. Sie lebt in Köln und ist Cellistin in einem Kammerorchester.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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